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Einheit in Vielfalt: Ein Wandbild des Projekts "Artbridge" zur Unterstützung der Black-Lives-Matter-Bewegung in New Yorks 6th Avenue.

© Timothy A. Clary/APF

Rassismus und Polizei: Reichtum durch Vielfalt

Die Debatte um strukturellen Rassismus tritt zu oft auf der Stelle. Dabei ist sie eine Chance für alle. Ein Kommentar.

Rassismus und Polizei – das Thema wird seit einiger Zeit endlich diskutiert, aber oft genug auch totgeredet. Wenn am heutigen Mittwoch eine der wenigen Studien veröffentlicht wird, die sich des Problems wissenschaftlich annimmt - freilich im Kontext polizeilicher Gewaltanwendung -, die Arbeit des Bochumer Kriminologie-Professors Tobias Singelnstein und seiner Kolleginnen, dürften die bekannten Pawlowschen Reflexe wieder anspringen. Üblicherweise die: Dass es vielleicht einzelne Übergriffe, aber keinen systematischen Rassismus gebe, dass Misstrauen gegen die Polizei objektiv Kriminellen helfe und Beamtinnen und Beamte schon am besten wüssten, was sie täten und gegen wen sie vorgingen. Und dass die Angehörigen von Minderheiten vielleicht auch zu leicht „Rassismus“ schrien, nur weil sie vielleicht mal die Hand eines Streifenpolizisten auf der Schulter gehabt hätten.

Abstoßungsreaktionen gegen ein Zukunftsthema

Wer mit Betroffenen spricht, hört das sogar von ihnen: Ja, es kann Überreaktionen geben. Wer sein Leben lang bei jedem Schritt aus den eigenen vier Wänden vorbereitet sein musste, nur wegen des eigenen Akzents, Namens oder des dunkleren Teints herab- und zurückgesetzt, nicht für voll genommen oder als Einzige im Zug einer - anlasslosen - Passkontrolle vor aller Augen unterzogen zu werden, die oder der kann schon mal etwas für rassistisch halten, was nicht nur nicht so gemeint, sondern objektiv auch nicht rassistisch war. Dann aber sollte man sich nicht auf die eine Überreaktion fokussieren, sondern auf die lange schreckliche Erfahrung, die es dazu hat kommen lassen.
Wie all die anderen Abstoßungsreaktionen gegen eine breite Auseinandersetzung mit Rassismus geht auch diese am tatsächlichen Problem vorbei. Setzen sechs, Deutschland, Thema verfehlt. Und zwar eins, das dir gehörig auf die Füße fallen wird, wenn du es ignorierst. Ein Viertel der Bevölkerung sind bereits Eingewanderte und ihre Nachkommen, hinzu kommen People of Color, deren Familien seit Generationen deutsch sind: Auch wem deren Menschenrechte schnurz sein sollten - gibt es das? - sollte sich klarmachen, dass der Kreis der potenziell Betroffenen gefährlich groß ist, deren Chancen täglich gemindert, deren Lebensgefühl bedrückt und deren Beitrag zur Gesellschaft durch Rassismus verhindert wird. Das ist auch gefährlich für die Zukunft der übrigen drei Viertel.

Rassismus ist überall - aber in den Institutionen besonders gefährlichst

Rassismus, da hat der Bundesinnenminister ganz recht, gibt es überall, nicht nur bei der Polizei. Man könnte ergänzen: Auch die, die ihn ernst nehmen und bekämpfen, tragen ihn in sich – als unser aller Erbe, es ist das koloniale und völkermörderische „Wissen“ dieses Teils der Welt, seine alten „Rasse“-Rangordnungen. Das ist aber der entscheidende Grund, sich überall damit auseinanderzusetzen. Und natürlich zuallererst in den mächtigen und unumgehbaren Institutionen des Staates. Das ist, nebenbei, nicht nur die Polizei, das sind auch Behörden und die Schule.
Was haben sie alle zu befürchten, wenn sie umlernen, wenn sie rassistische Vorurteile durch Verhalten ersetzen, das, wie vom Grundgesetz verlangt, dem und der Einzelnen gerecht wird, statt nach Hautfarbe und (Aus-)Sprache zu sortieren? Keinen Pranger jedenfalls, keine erhobenen Zeigefinger - haltet den Rassisten! - sondern die Möglichkeit, an einem friedlichen, vielfältigen Land mitzuarbeiten. Einem reichen Land. In mehr als einer Hinsicht.

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