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Politik: Rein zufällig Rinderwahn

Die USA haben ihren ersten BSE-Fall. Die kranke Kuh sah völlig gesund aus. Nur 0,01 Prozent der Tiere werden in Amerika getestet

Eine Kuh ist trächtig. Sie ist vier Jahre alt, sieht gesund aus. Bei der Geburt kommt es zu Komplikationen. Das Kalb ist sehr groß. Die Kuh verletzt sich. Daraufhin wird sie untersucht. Ohne das Resultat abzuwarten, wird die Kuh am 9. Dezember von der Bundesaufsichtsbehörde zum Schlachten freigegeben. Routinemäßig schickt der Arzt eine Probe ihres Gehirns zur Analyse ein. Dreizehn Tage später trifft das Laborergebnis ein. Die Kuh war an der Bovinen Spongiformen Enzephalopathie (BSE) erkrankt, dem Rinderwahnsinn. Britische Pathlogen haben dies inzwischen bestätigt. Amerika hat seinen ersten BSE-Fall.

Und seinen ersten Skandal. Nur durch einen Zufall war die Krankheit entdeckt worden. Jetzt bricht jäh der Mythos zusammen, die Herden des Landes seien auf wundersame Weise verschont geblieben von der Krankheit, und besorgt stellen die Verbraucher fest, wie lax die Überprüfungs-Gesetze sind. Es sind Strichproben, mehr nicht. Weniger als 30 000 der etwa 300 Millionen Kühe, die in den vergangenen neun Jahren geschlachtet worden waren, wurden getestet. Das sind 0,01 Prozent. Ein Zentralregister für die Herkunft von Rindern fehlt in den USA. Der Chefveterinär des US-Landwirtschaftsministeriums, Ron DeHaven, kündigte nun an, den mehr als 96 Millionen Rindern im Land sollten Mikrochips zur Überwachung ihres Werdegangs eingepflanzt werden.

Fieberhaft versucht die Agrarbehörde, die Herkunft des betroffenen Tieres zu ermitteln. Wie und wo hat es sich infiziert? Die vergangenen zwei Jahre hat die Kuh, eine Holstein, als eine von 4000 Milchkühen auf der „Sunny Dene Ranch“ in Mabton im Staat Washington an der Pazifikküste gelebt. Doch aus Washington stammt sie nicht. Womöglich wurde sie importiert. Wahrscheinlich wurde sie bereits in der Geburtsherde mit infiziertem tierischem Abfall gefüttert. Die Experten gehen ohnehin davon aus, dass es nicht der einzige BSE-Fall in den USA bleiben wird. „Wir wissen nur nicht“, sagt William Hueston von der University of Minnesota, „ob es ein Dutzend oder zwei Dutzend sind“.

Die ökonomischen Folgen des ersten BSE- Falls sind bereits gravierend. Amerikanisches Rindfleisch galt lange als Symbol einer vitalen amerikanischen Wirtschaft. Amerika ist der weltgrößte Beef-Produzent. Jährlich setzen die Unternehmen 50 Milliarden Dollar um. Der Konkurrenzkampf ist groß, die Gewinnspanne klein. Zehn Prozent des Rindfleischs werden exportiert, in erster Linie nach Japan, Mexiko und Südkorea. Diese drei Länder, und zwanzig weitere, reagierten umgehend. Sie alle haben unbefristete Importstopps verhängt. Innerhalb von zwei Tagen brach der Auslandsmarkt für US-Rindfleisch um zwei Drittel ein. In Europa gilt, wegen der Behandlung von US-Rindern mit Wachstumshormonen, ohnehin ein Importverbot.

Um die Kunden des heimischen Marktes zu beruhigen – jeder Amerikaner isst rund 30 Kilogramm Rindfleisch pro Jahr –, wiegelte US-Agrarministerin Ann Veneman zunächst ab. Die Sicherheit der Verbraucher sei nicht gefährdet. Möglicherweise befallene Organe wie Gehirn, Rückenmark und Teile des Dünndarms seien entfernt worden, bevor sie in die Nahrungskette hätten gelangen können. Das Gesundheitsrisiko für Menschen, durch den Verzehr von BSE-verseuchtem Rindfleisch an der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (CJD) zu erkranken, sei „extrem niedrig“. Sie selbst wolle ihrer Familie zu Weihnachten Rindfleisch servieren.

Mit ähnlich abwiegelnden Bemerkungen begann einst der BSE-Skandal in Großbritannien. Am Ende mussten 3,7 Millionen Tiere geschlachtet werden. An der neuen Variante der CJD starben bislang 137 Briten. Es ist zu früh zu sagen, wie die Amerikaner reagieren. Über Weihnachten hatten die meisten Restaurants und Supermärkte geschlossen. Und in den Medien wird die Angst vom Terror-Thema absorbiert. Die Alarmstufe „Code Orange“ gilt mindestens bis Ende Januar.

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