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Richter Baltasar Garzón.

© AFP

Richter Furchtlos: Prozess gegen Baltasar Garzón spaltet Spanien

Er ist der bekannteste Jurist Europas, der umstrittenste Richter Spaniens. Baltasar Garzón klagte Bush an, er ließ Pinochet verhaften. Dann ließ er nach den Opfern des Franco-Regimes suchen. Jetzt steht er selbst vor Gericht.

Als ein kleiner, schlanker Mann mit eisgrauem Haar, Anzug und Krawatte in derselben Farbe, auf das Gerichtsgebäude in Madrid mit schnellem Schritt zugeht, applaudieren rund hundert Menschen. Und mehr noch: Sie johlen und halten Transparente in die Höhe „Garzón, wir unterstützen dich“ und „Wir sind auf deiner Seite“, steht darauf. Garzón, der kleine, schlanke Mann, eilt weiter. Auf seinem Gesicht: keine Regung.

Es ist Baltasar Garzón, Ermittlungsrichter am Obersten spanischen Gerichtshof und ein Star, denn er bekämpft das Unrecht ohne Rücksicht auf große Namen. Er ließ den chilenischen Ex-Diktator Augusto Pinochet und argentinische Generäle verhaften, weil sie Oppositionelle aus Flugzeugen in den Ozean geworfen hatten. Er kämpfte gegen die Drogenmafia und gegen Terroristen. Sogar den früheren US-Präsident George Bush klagte er an, weil er den Irakkrieg für völkerrechtswidrig befand.

Er geht mit aufrechtem Haupt ins Gerichtsgebäude, ganz so, als wäre es ein normaler Arbeitstag. In Interviews sagt er später: „Ich bin Richter und werde als Richter sterben. Ob sie mich jemals wieder als Richter arbeiten lassen, ist eine andere Sache.“

Denn diesmal geht Garzón nicht als Richter ins Gericht. Sondern als Angeklagter. Zwei Prozesse laufen gegen ihn, ein dritter könnte folgen. Ihm drohen bis zu 20 Jahre Berufsverbot, das Aus für die Karriere des 56-Jährigen. Trotzdem ist er kein gebrochener Mann, ganz im Gegenteil.

Für Garzóns Anwalt Gonzalo Fresneda ist klar, unabhängig davon wie die Urteile ausfallen: Der Richter wird den Gerichtssaal als Gewinner verlassen. Fresneda ist ein erfahrener Strafverteidiger, er hat eine Reihe von Anwälten und Richter verteidigt, die gegen das Gesetz verstoßen haben sollen, doch der Fall Garzón ist der wichtigste Fall seiner Karriere. „Er ist eine historische Figur, die Prozesse werden das Bild dieses großen Mannes nicht trüben“, sagt Fresneda in Madrid. Er sitzt in seiner Kanzlei in einer der schicksten Gegenden von Madrid, ein paar Tage vor Auftakt des zweiten Prozesses.

Ein Pförtner kontrolliert, wer die breite Marmortreppe hinauf darf. Und es dauert eine Zeit, bis der Anwalt die Erlaubnis erteilt, ihn in seiner Kanzlei – holzgetäfelte Räume, Samtvorhänge, schwere polierte Holzmöbel – zu besuchen. Fresneda ist vorsichtig, denn der Fall Garzón ist heikel. Sein Mandant wird schon seit Jahren von Leibwächtern begleitet, von der Öffentlichkeit abgeschirmt. Er hat viele Feinde.

Wer es doch nach oben schafft, steht vor einem schmalen alten Mann, er trägt feines Tuch, und was als Erstes auffällt, sind die tiefen Furchen im Gesicht. Gleich nach der Begrüßung sagt er: „Baltasar Garzón wird in die Geschichte eingehen als der Richter, der auf der Anklagebank saß, weil er seine Pflicht getan hat.“ Er holt eine Ausgabe der „New York Times“ vom vergangenen Jahr, tippt mit dem Zeigefinger auf die Überschrift des Leitartikels, „Ungerechtigkeit in Spanien“.

Fresneda vertritt Garzón im zweiten der drei Prozesse, der heute um halb elf Uhr vor dem Obersten spanischen Gerichtshof in Madrid beginnt. Er nennt ihn nicht Prozess, sondern Justizskandal.

Garzón wird etwas Seltsames vorgeworfen: die Aufarbeitung der Franco-Diktatur. Das juristische Problem an der Sache: In Spanien gibt es ein Amnestiegesetz, das für alle politischen Verbrechen gilt, die im Bürgerkrieg und während der Diktatur passiert sind. Es wurde 1977 erlassen, zwei Jahre nach dem Tod des Diktators Franco, und gilt als Grundlage des in Spanien als vorbildhaft geltenden Übergangs zur Demokratie. Die Verantwortlichen waren damals überzeugt, dass die juristische Aufarbeitung der Vergangenheit das Land destabilisieren würde. Die Kläger sagen, Garzón habe dieses Gesetz ignoriert, alte Wunden aufgerissen. Der Richter sagt jedoch, er habe nur diejenigen Verbrechen untersuchen lassen, bei denen Menschen getötet und in Massengräbern verscharrt wurden, Verbrechen gegen die Menschlichkeit also. Und für die gelte das Amnestiegesetz nicht.

In der Anklageschrift gegen Garzón heißt es, er habe sich „mit kreativer Vorstellungskraft“ über das Amnestiegesetz hinweggesetzt. Im Klartext: Die Kritiker stört, dass er das internationale Rechtsprinzip der „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ über das spanische Amnestiegesetz gestellt hat. „Ist das der Grund für einen Prozess?“, fragt Fresneda. Der Oberste Gerichtshof hätte die Klage ablehnen müssen. „Es gibt keinen einzigen Grund, Garzón vor Gericht zu bringen“, sagt der Anwalt. „Die Prozesse sind wie ein Panzer, der ihn plattmachen soll.“ Wer will den Richter plattmachen? „Diejenigen, die nicht wollen, dass in Spanien über die Vergangenheit gesprochen wird.“ Die Erben des Diktators Franco.

Das halbe Land ist davon überzeugt, dass der Fall Garzón eine Verschwörung ist.

Das von Garzón angetastete Amnestiegesetz soll den sozialen Frieden garantieren, aber dieser Frieden ist brüchig. Die Prozesse gegen den Richter machen das nur deutlich: In Spanien liebt oder hasst man Garzón, einen Mittelweg gibt es nicht. Das halbe Land ist davon überzeugt, dass der Fall Garzón eine Verschwörung ist, die den unbequemen Richter aus dem Weg räumen soll, glaubt, was Garzón in einem Interview sagte: „Mir ist völlig schleierhaft, wie Richter einen Kollegen vom Amt suspendieren können, weil sie ein Gesetz anders interpretieren als ich. In meinem Fall geht es nicht um Justiz, sondern um die gezielte Zerstörung meiner Person.“

Es gibt aber noch eine andere Hälfte, und die will wirklich, dass Garzón verschwindet. Sie werfen dem Richter vor, die soziale Ruhe im Land zu zerstören, aus Eitelkeit und Geltungssucht zu handeln. Der gerade verstorbene Gründer der konservativen Partei PP, Manuel Fraga, hat einmal gesagt: „Je weiter Garzón von Spanien entfernt ist, umso besser.“

Sieht man sich die Prozesse gegen Garzón genauer an, wird deutlich, dass es sich mehr um ideologische als um juristische Fragen dreht.

Im ersten Prozess, der vergangene Woche begonnen hat und schon wieder vorbei ist, ging es um das Abhören von Telefonaten. Garzón ließ die Gespräche zwischen Anwälten und wegen illegaler Parteienfinanzierung angeklagter konservativer Politiker belauschen. Das ist in Spanien üblicherweise nur bei Terrorismusprozessen erlaubt. Eine exakte Regelung gibt es jedoch nicht. Dass er das Abhören angeordnet hat, bestreitet Garzón nicht. Seine Erklärung: Es bestand der dringende Verdacht, vom Gefängnis aus könnten die Angeklagten weitere Verbrechen planen – was sich übrigens bestätigte: Sie planten Geldwäsche im großen Stil. Außerdem besaß Garzón für die Abhöraktion eine Erlaubnis der Staatsanwaltschaft. Die steht auch weiter voll hinter dem Richter. Ein Urteil gibt es noch nicht.

Der zweite, heute beginnende Prozess mutet nicht nur deshalb besonders merkwürdig an, weil er verhindern soll, dass die Verbrechen der Franco-Diktatur untersucht werden. Sondern auch, weil die rechtsextreme Vereinigung „Manos Limpias“ als Klägerin auftritt. „Manos Limpias“ bedeutet Saubere Hände. Hier vereinigen sich die Nachfahren derjenigen, die im Bürgerkrieg und in der Diktatur mordeten und die Toten in Massengräbern verscharrten. Jetzt wollen sie verhindern, dass Angehörige die Opfer der Diktatur ordentlich bestatten können.

Die Lager des Bürgerkriegs sind in Spanien schon lange sichtbar, nicht erst seit dem Fall Garzón. Auf der einen Seite stehen die Linken, die Familien der Republikaner, auf der anderen die Konservativen, die Erben der Franco-Diktatur. In den Dörfern weiß jeder, ob sein Nachbar ein Roter oder ein Rechter ist. Nicht nur Zeitungen sind entweder rechts oder links, auch die obersten Richter des Landes. Die Mitglieder des Obersten Gerichtshofs werden nach Parteizugehörigkeit ausgesucht. Politische Machtkämpfe werden oft vor Gericht ausgefochten.

Garzón wollte sich über diese Lagermentalität erheben. Die sozialdemokratische Partei PSOE brachte ihn zwar 1988 in den Obersten Gerichtshof, doch wenig später ermittelte er gegen den Staatsterrorismus der PSOE. Vor drei Jahren untersuchte er die Korruptionsskandale der konservativen Partei PP, wegen derer er vergangene Woche vor Gericht stand.

Gerade mit dieser Unabhängigkeit hat der Richter dazu beigetragen, dass die beiden Spanien des Bürgerkriegs besonders offensichtlich werden. Es ist sein Verdienst, dass Spanien, Europa, dass die ganze Welt erfährt: Es gibt immer noch zwei Spanien. Eines, das den Diktator Franco immer noch gar nicht so übel findet. Und eines, das sich genau daran reibt.

Garzóns Kritiker sagen auch: Er hätte die Aufarbeitung der Verbrechen der Franco-Dikatatur behutsamer angehen können. Er hätte nicht ohne Vorwarnung in allen Rathäusern Listen mit Verschwundenen anfordern, nicht gegen Tote Anklage erheben, nicht die Ressentiments in kleinen Dörfern schüren müssen. Er hätte eine echte Debatte über die Vergangenheitsbewältigung auslösen können.

„Aber Garzón wäre nicht Garzón, wenn er anders vorgegangen wäre“, sagt sein Anwalt. Keine Frage: Fresneda bewundert seinen Mandanten. „Seine Mission ist eben nichts Geringeres, als die Gesellschaft zu ändern. Und dafür braucht man einen bestimmten Charakter, eine gewisse Kompromisslosigkeit.“

Dass eine gerechtere Welt sein Ziel ist, hat der Richter in den 23 Jahren seiner Karriere oft bewiesen. Er hat nicht nur die Aufarbeitung der Militärdiktaturen in Chile und Argentinien angestoßen, sondern auch in Spanien gegen jedes Unrecht gekämpft, das er entdeckte. Dass die baskische Terrorbande ETA im Herbst verkündete, die Waffen niederzulegen, wird auch den Ermittlungen von Garzón zugeschrieben. Er brachte sozialdemokratische Regierungsmitglieder der frühen 80er Jahre ins Gefängnis, die bei der Bekämpfung der ETA-Terroristen mutmaßliche Helfer umbringen ließen. Er gilt als der Mann, der das Prinzip der universellen Jurisdiktion durchgesetzt hat. Hinter dieser sperrigen Formulierung verbirgt sich das Prinzip, dass Verstöße gegen das Völkerrecht unabhängig von Tatort und Nationalität und sowohl von Tätern als auch von Opfern verfolgt werden. Garzón hat dieses Prinzip als Erster angewandt, als er einen argentinischen General wegen des Mordes an Oppositionellen anklagte. Die Welt lernte das Prinzip kennen, als er den Haftbefehl gegen Pinochet erließ.

„Es war nur eine Frage der Zeit, wann Garzón die spanische Vergangenheit anpacken würde“, sagt sein Anwalt. „Die Verbrechen der Franco-Diktatur konnte er unmöglich unangetastet lassen und gleichzeitig in Südamerika die Militärs verfolgen.“

Die Aufarbeitung der Vergangenheit im eigenen Land sollte allerdings nur eine kurze Episode sein. Garzón begann im Sommer 2008 die Verbrechen der Diktatur zu untersuchen. Doch mit der breit angelegten Ermittlung, mit den Klagen gegen Menschen, die längst verstorben sind, machte er es seinen Gegnern leicht. Nach einem Monat musste er die Kompetenz in dem Fall abgeben.

Seitdem haben die Familien der Verschwundenen keinen Fürsprecher mehr. Seit der Anklage gegen Garzón traut sich kein Richter mehr, nach den Toten zu fahnden. Diejenigen, die ihre Geschwister, Mütter und Väter verloren haben, müssen jetzt auf eigene Initiative nach den Massengräbern suchen und nach den Toten graben, ohne juristischen Rückhalt.

„Das ist schrecklich. Auch wir bedauern, dass die Situation so verfahren ist“, sagt Fresneda. Nach einer Pause fügt er an: „Aber die Massengräber wären immer noch ein Tabuthema, wenn Garzón die Vergangenheit nicht aufgerollt hätte. Jetzt wird wenigstens darüber diskutiert.“ Eine echte Debatte findet in Spanien jedoch noch nicht statt und scheint gerade auch gar nicht möglich – die Fronten sind zu verhärtet.

Garzón selbst hat schon seine Konsequenzen gezogen. Er will nie wieder in seiner Heimat als Richter arbeiten, selbst wenn er von allen Vorwürfen freigesprochen würde. „Nie wieder könnte er so radikal ermitteln, wie er es bisher getan hat. Er wäre unter ständiger Beobachtung“, sagt Fresneda.

Garzón sieht sich schon nach neuen Aufgaben um. Unter dem Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag, Luis Moreno Ocampo, hat er ein Jahr gearbeitet. Gerade hilft er bei der Verfolgung von Menschenrechtsverbrechen überall auf der Welt, vor allem in Kolumbien. Vor kurzem versicherte der Richter in einem Interview: „Ich werde weiterhin jene anklagen, von denen ich glaube, dass sie angeklagt werden müssen.“ Notfalls im Exil.

Spanien muss ohne den Starrichter über Vergangenheit und Zukunft diskutieren. „Garzón hat den Anfang gemacht“, sagt Fresnada. „Die Spaltung in Lager müssen wir endlich hinter uns lassen. Wir haben gerade wirklich andere Probleme als den Bürgerkrieg.“

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