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Russland: Medwedew will kandidieren – aber nicht gegen Putin

Kremlchef Medwedew steckt den Kurs für die Präsidentenwahl ab – und distanziert sich von seiner eigenen Kritik am Ministerpräsidenten.

Russlands Präsident Dmitri Medwedew schließt aus, dass er bei der Präsidentenwahl im kommenden Jahr gegen den Regierungschef Wladimir Putin ins Rennen geht. Seine eigenen Vorstellungen und die Ideen Putins würden sich nur in Nuancen unterscheiden, sagte Medwedew in einem am Montag veröffentlichten Interview mit der britischen Zeitung „Financial Times“. Daher mache es auch keinen Sinn, wenn beide bei den Präsidentenwahlen 2012 kandidieren würden. Allerdings zeigte sich Medwedew durchaus bereit für eine zweite Amtszeit.

Russische Beobachter werten das Interview als geordneten Rückzug des Kremlchefs, der zuvor noch den Regierungschef scharf angegriffen hatte. Auf dem Internationalen Wirtschaftsforum in St. Petersburg hatte Medwedew am Freitag Basiselemente der Politik seines politischen Ziehvaters und Amtsvorgängers mit vernichtender Kritik bedacht – Putin stehe für Staatskapitalismus und politische Zentralisierung, erklärte Medwedew. Beides sei eine Bedrohung für Russlands internationale Wettbewerbsfähigkeit. Insbesondere nahm Medwedew eine Rückkehr zu Elementen der kommunistischen Planwirtschaft aufs Korn, wie sie Experten der „Vereinigten Volksfront“ vorschwebt – Putins neuer Sammlungsbewegung, die seiner schwächelnden Hausmacht „Einiges Russland“ angesichts der nahenden Wahlen wieder auf die Füße helfen soll. Fünfjahrespläne seien eine „Gefahr“ für die Zukunft Russlands und nicht sein Weg, sagte dagegen Medwedew.

Zwar hatte der Kremlchef die Wirtschaftspolitik Putins, in deren Folge der Staat sich in Schlüsselbranchen erneut einen Anteil von rund 50 Prozent verschaffte, schon des Öfteren verrissen. Doch bisher wagte er nie, die allerheiligste Kuh seines Vorgängers ins Visier zu nehmen: die straffe vertikale Verteilung der Macht von oben nach unten, die Putin seit seiner Wahl zum Präsidenten im März 2000 dem russischen Staat nach und nach verpasst hat. Dabei handelt es sich um ein System, das die Kompetenzen lokaler und regionaler Verwaltungschefs auf ein kaum mehr erkennbares Maß zurückstutzt. Besonderen Unmut löste die Tatsache aus, dass die zuvor direkt gewählten Provinzfürsten seit 2005 vom Kreml ernannt werden.

Medwedew drängte die Regierung auch zu mehr Tempo beim Verkauf staatlicher Unternehmensbeteiligungen. Eine hochkarätig besetzte und von einem unabhängigen Fachmann geleitete Arbeitsgruppe soll zudem Vorschläge für eine politische Dezentralisierung machen. Kommunen und Regionen sollen mehr Spielraum und damit mehr Verantwortung bekommen.

Experten wie Alexei Muchin vom Zentrum für politische Information sind skeptisch, ob die Reformen funktionieren. Putins Statthalter würden jede Liberalisierung verhindern, um ihre Besitzstände zu wahren, sagt Muchin. Andere Fachleute wiederum glauben, dass die Angst um eben diese Privilegien den Prozess der Differenzierung in der bisher von Putin dominierten Regierungspartei „Einiges Russland“ auf Touren bringen könnte.

Die auf Elitenforschung spezialisierte Expertin Olga Kryschtanowskaja vom Institut für Soziologie der Russischen Akademie der Wissenschaften, die selbst Mitglied der Regierungspartei „Einiges Russland“ ist, plädiert für innerparteiliche Vorwahlen nach dem Vorbild der USA, um den Kandidaten für die Präsidentenwahlen zu ermitteln. Ein solches Vorhaben, fürchtet Kryschtanowskaja allerdings, werde an der historisch gewachsenen politischen Kultur Russlands scheitern.

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