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Russland: Schweres Erbe

Kritiker der Sowjetunion haben es in Russland nicht leicht. Trotzdem hat Russlands Präsident den Terror der Stalin-Ära anlässlich des Gedenktags für die Opfer scharf kritisiert.

Für Unterdrückung, sagte Dmitri Medwedew in seinem Video- Blog, gebe es „keinerlei Rechtfertigung“. Nichts sei wertvoller als ein Menschenleben, das Gedenken an nationale Tragödien daher „ebenso heilig wie das an Siege“. Das, so hieß es bei der Bürgerrechtsbewegung „Memorial“, sei „wichtig und richtig“. Worten müssten jedoch konkrete Taten folgen. Bereits anderthalb Jahre im Amt, hat Medwedew bisher nichts getan, was die Hoffnungen auf Demokratie und Liberalisierung, die viele mit seiner Wahl verbanden, rechtfertigt. Mehr noch: Das postkommunistische Russland wird der Sowjetunion, deren Zusammenbruch Wladimir Putin eine der größten Katastrophen des 20. Jahrhunderts nannte, immer ähnlicher.

So müssen Wissenschaftler der Petersburger Staatsuniversität Vorträge, die sie im Ausland halten wollen, wieder vom Rektorat genehmigen lassen. Und im nordwestrussischen Archangelsk droht dem Geschichtsprofessor Michail Suprun ein Strafprozess wegen Verstößen gegen das Datenschutzgesetz. Er arbeitet in Kooperation mit dem Deutschen Roten Kreuz an der ersten umfassenden Geschichte der Verbannung von Russlanddeutschen im Zweiten Weltkrieg und hatte dazu mehrere Tausend Einzelschicksale dokumentiert. Suprun musste sich inzwischen, wie er dem Tagesspiegel per E-Mail mitteilte, für die Dauer der Ermittlungen Medien gegenüber zu Schweigen verpflichten. Umso empörter reagierten Kollegen in einem Offenen Brief sowie „Memorial“. Die Beschuldigungen seien absurd, mit gleichen Vorwürfen könnten auch Verfasser von Nachschlagewerken belangt werden.

Außerdem beschloss die Duma ein Gesetz, das Geschichtsklitterung zum Schaden Russlands – dem Rechtsnachfolger der Sowjetunion – mit empfindlichen Strafen ahndet. Legt man dieses Gesetz ähnlich streng aus wie im Falle des Historikers das Datenschutzgesetz, ist auch Kritik an Stalin und damit an dessen Deportationen strafrechtlich relevant. Denn der Diktator steht nach wie vor als Synonym für den Sieg der Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg. Im vergangenen Sommer kehrte eine Marmorplatte mit dem alten Text der Sowjethymne, die Stalin huldigt, in die Moskauer Metro zurück. Denkmalpfleger wollen dort auch eine Stalin-Büste wieder aufstellen.

Bürgerrechtler sind darüber ähnlich empört wie über das Kesseltreiben der kremlnahen Jugendorganisation „Naschi“ (Die Unsrigen) gegen den Journalisten Alexander Podrabinek. Dieser hatte, als ein Moskauer Stadtteil auf Drängen von Kriegsveteranen die Rückbenennung des Grillrestaurants „Antisowjetskaja“ in „Sowjetskaja“ anordnete, gewarnt, die UdSSR stehe nicht nur für den Triumph der Kosmonauten, sondern auch für Millionen Lagerinsassen. „Naschi“ terrorisierte ihn daraufhin mehrere Tage mit Mahnwachen vor seinem Haus und legte ihm die Ausreise nahe. So verfuhr schon die Sowjetunion mit Regimekritikern wie Literaturnobelpreisträger Alexander Solschenizyn.

Dessen „Archipel Gulag“ soll jetzt allerdings an russischen Schulen Pflichtlektüre werden. Für Marianne Birthler, Bundesbeauftragte für die Stasi-Akten, ist das ein Hoffnungsschimmer. Vor diesem Hintergrund, schrieb sie Anfang Oktober an Medwedew, erscheine das Vorgehen der Behörden gegen den Historiker Suprun „geradezu anachronistisch“.

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