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Wladimir Putin

© AFP

Russland: Wer ist Wladimir Putin?

Er inszenierte sich als gnadenloser Richter. Das hat ihm der Westen bis heute nicht verziehen. Jetzt richtet sich ein Verdacht gegen ihn – doch sein Rückhalt in Russland ist ungebrochen.

In London stirbt ein Russe – und sofort mutmaßt die Welt, was wohl der russische Geheimdienst, was gar der russische Präsident damit zu tun haben könnte. Dass ein Staatschef gezwungen ist, einen solchen Verdacht überhaupt zu kommentieren, zeigt, wie gering das internationale Vertrauen in Putin und seine staatlichen Institutionen zurzeit ist.

Vor allem aber offenbart es eine spezifische Malaise des russischen Herrschaftssystems: Aus durchaus nachvollziehbaren Gründen hat Putin die Macht der kriminellen Oligarchie beschnitten und dem Staat sein Gestaltungsrecht zurückerobert – doch dabei ließ er auch ein paar Geister aus der Flasche, die er nun nicht mehr loswird. Heute gebärdet sich die gestärkte bürokratische Elite oft nicht minder selbstherrlich und korrupt als einst die mafiösen Wirtschaftskapitäne. Insbesondere gilt das für die Exekutivgewalt: Armee und Geheimdienste entziehen sich der gesellschaftlichen Kontrolle und haben weit über die tschetschenischen Grenzen hinaus eine Schreckensherrschaft etabliert. Nicht nur im Westen, auch in Russland traut man den Geheimdiensten des Landes so ziemlich alles zu.

Einst war Putin mit dem Schlagwort von der „Diktatur des Gesetzes“ angetreten. Im Kampf gegen die allgegenwärtige Korruption inszenierte er sich als gnadenloser Richter, der vor laufender Kamera glücklose Minister abkanzelte und Köpfe korrupter Beamter rollen ließ. Nach wie vor kommt das in Russland gut an – doch an den Sieg über die Korruption glaubt auch hier kaum noch jemand. Sogar Putin selbst klang zuletzt mitunter resignativ, wenn er sich über die schlicht nicht einzudämmende Käuflichkeit seiner Beamtenschar äußerte.

SEIT SIEBEN JAHREN REGIERT PUTIN. WIE HAT ER RUSSLAND VERÄNDERT?

Er hat das Land vom Kopf auf die Füße gestellt – sagen die einen. Er hat die Wegbereiter der Demokratie vor den Kopf gestoßen und die Rechte der Bürger mit Füßen getreten – sagen die anderen. Sicher ist: Als Putin im März 2000 Präsident wurde, übernahm er von seinem Vorgänger einen Staat am Rande des Zusammenbruchs. Jelzins demokratische Reformen hatten eine gesellschaftliche Freiheit ermöglicht, die Russland bis dato nicht gekannt hatte – ungekannt war aber auch das Chaos, das sie mit sich brachten. Während eine kleine Riege von Oligarchen die russische Volkswirtschaft plünderte, verlor der Großteil der Bevölkerung durch Jelzins marktliberale Schocktherapie sämtliche Ersparnisse; ein zweites Mal sollte dies während der Finanzkrise 1998 geschehen. Russland versank in einer Armut, die selbst den sowjetischen Mangel übertraf. Gleichzeitig warf sich der neue Geldadel zur Herrscherkaste auf: Verwaltungsämter, Justiz und Medien gehörten dem Meistbietenden. Im Volksmund wurde der Begriff „Demokratie“ zum Schimpfwort. Und während die ehemalige Weltmacht Russland international in Bedeutungslosigkeit versank, begannen im Inneren des Landes Separatismusbestrebungen zu brodeln. Der staatliche Zerfall schien greifbar.

Putin erzwang in dieser Situation einen Kurswechsel, der ihm im Westen bis heute nicht verziehen wird: Er opferte Gorbatschows und Jelzins freiheitliche Leitlinien einer autokratischen Vision von Stabilität. Von Anfang an setzte er alles daran, die Macht aus den Fingern der korrupten Wirtschaftselite zurück in die Hände des Staates zu spielen – und schnitt gleichzeitig den Staat auf das eigene Amt zu. Als „Vertikale der Macht“ bezeichnete Putin die neue Ordnung: Um dem Kreml die Autorität über die Regionen wiederzugeben, schaffte er die Gouverneurswahlen ab. In Tschetschenien inszenierte er sich als übermächtiger Feldherr – und trieb so anderen Föderationsteilen die Abspaltungsgelüste aus. Die Medien und die Gerichte entzog er dem Zugriff der kriminellen Finanzgewalt, indem er auch sie dem Staat unterordnete. Und für die Oligarchen galt fortan: Wer sein Geld behalten will, hat die Finger von der Politik zu lassen. Als Ex-Yukos-Chef Michail Chodorkowskij sich den neuen Spielregeln zu widersetzen suchte, wurde er in einem Schauprozess nach Sibirien verbannt.

Im Ergebnis hat Putin die unter Jelzin weitgehend privatisierte Staatsmacht unter das Zepter des Kremls zurückgeholt. Auch die strategischen Bereiche der russischen Wirtschaft – die Öl-, Gas- und Rüstungsindustrie – unterstehen heute wieder der Kontrolle Moskaus, die Erträge fließen nicht mehr auf schwarze Auslandskonten, sondern in den Staatshaushalt. Dank steigender Rohstoffpreise ist Russland liquide wie nie und auch außenpolitisch wieder eine ernstzunehmende Größe. Auch jenseits des Geschäfts mit den Bodenschätzen blüht seit Jahren ein Wirtschaftsleben mit euphorisierenden Wachstumsraten, von dem längst auch internationale Investoren profitieren.

Ob diese greifbaren Fortschritte auch auf lupenrein demokratischem Wege zu bewerkstelligen gewesen wären, darüber lässt sich nur spekulieren. Im Westen jedenfalls wächst die Skepsis gegenüber Putins Sonderweg.

WIE SEHEN IHN DIE RUSSEN?

Putins Rückhalt in der russischen Bevölkerung ist ungebrochen. Wurde er bei den ersten Präsidentschaftswahlen im März 2000 noch mit 53 Prozent der Stimmen gewählt, so waren es vier Jahre später bereits 71 Prozent, seine aktuelle Zustimmungsrate liegt knapp über 80 Prozent. Putins Legitimität als russischer Staatschef übertrifft damit die jedes politischen Vorgängers – auch wenn die Wahlen von westlichen Beobachtern regelmäßig als „frei, aber nicht fair“ charakterisiert werden. Denn in der Tat hat Putin das Präsidentenamt derart auf seine Person zugeschnitten, dass sich weite Teile der Bevölkerung inzwischen kaum noch einen anderen Präsidenten als Wladimir Putin vorstellen können.

Ausschlaggebend für seine Popularität dürften dennoch in erster Linie wirtschaftliche Faktoren sein: Nach dem Chaos der Jelzin-Jahre hat sich in Putins Russland ein Gefühl verhältnismäßiger materieller Sicherheit und Planbarkeit eingestellt. In den Großstädten, zumal in Moskau, ist eine zahlenmäßig überschaubare, aber kontinuierlich wachsende Mittelschicht entstanden, die dem Rest der Gesellschaft das Gefühl vermittelt, in absehbarer Zukunft am Wohlstand teilhaben zu können. Selbst in den Landesregionen, in denen immer noch Monatslöhne von 70 Euro und weniger die Regel sind, werden diese Löhne zumindest wieder regelmäßig ausgezahlt.

Ein weiterer entscheidender Faktor von Putins Popularität ist paradoxerweise seine als „unrussisch“ empfundene Art: „Er ist nicht wie wir“, lautet ein in Russland gerne geäußertes Putin-Lob. Soll heißen: Er trinkt nicht, arbeitet gerne, ist diszipliniert, lässt sich von niemandem schmieren. Kein Wunder, dass man ihn in Russland gerne „den Deutschen“ nennt. Kein Wunder auch, dass kaum ein Tag vergeht, an dem in der russischen Presse nicht der eine oder andere Funktionär dafür eintritt, Putin über das Jahr 2008 hinaus seine Machtposition zu sichern.

LAUT VERFASSUNG DARF PUTIN BEI DEN PRÄSIDENTSCHAFTSWAHLEN 2008 KEIN DRITTES MAL KANDIDIEREN. KÖNNTE ER TROTZDEM AN DER MACHT BLEIBEN?

So oft im Westen gemutmaßt wurde, dass Putin sich per Verfassungsänderung eine weitere Amtszeit erschleichen könnte, so oft hat Putin betont, dass er keine dritte Amtszeit anstrebt. Tatsächlich erscheint eine solche Finte inzwischen unwahrscheinlich, weil bis zu den Wahlen wenig Zeit bleibt. Durchaus denkbar ist dagegen, dass Putin den Posten an einen Vertrauten weiterreichen und in einem anderen Amt der entscheidende Mann bleiben könnte – etwa als Ministerpräsident, als Vorsitzender der Kremlpartei „Jedinaja Rossija“, als Parlamentschef oder im Vorsitz des halbstaatlichen Konzerns Gasprom.

Ebenfalls denkbar ist, dass der heute 54-Jährige nach einer turnusgemäßen Auszeit von vier Jahren ins Präsidentenamt zurückkehrt – denn das schließt die russische Verfassung nicht aus. Allerdings glaubte seinerzeit schon Jelzin, er könne im Schatten eines eigenhändig aufgebauten Nachfolgers weiter die Geschicke Russlands leiten – und irrte sich.

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