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Als Ikone des aufrechten Bürgerrechtsliberalismus gilt Sabine Leutheusser-Schnarrenberger schon seit vielen Jahren. Doch in der FDP erlahmt die Begeisterung.

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Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Ministerin für Wiedervorlage

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ist stolz auf ihren Kampf für die Freiheitsrechte. Ihre Bilanz als Justizministerin in dieser Legislaturperiode enttäuscht allerdings selbst ihre eigene Partei. Die Ministerin verhindert Gesetze eher, als dass sie an rechtlichen Lösungen interessiert zu sein scheint.

Von Antje Sirleschtov

Die gewerbliche Sterbehilfe per Gesetz zu verbieten, ist „kein Herzensanliegen“ von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP). So hat der Sprecher der Bundesjustizministerin am Mittwoch die Meinung seiner Chefin über deren eigenen Gesetzentwurf umschrieben. Was im sommerlichen Politikbetrieb Berlins für Verwunderung und Kopfschütteln gesorgt hat. Und zwar gleich in mehrerlei Hinsicht. Zunächst rein koalitionär: Gewerblichen Todesengeln das Handwerk zu legen, hat sich Schwarz-Gelb schon im Herbst 2009 im Koalitionsvertrag vorgenommen. Nun ist die Legislaturperiode beinahe rum, die Ministerin legt einen umstrittenen Referentenentwurf vor und gibt im gleichen Atemzug zu Protokoll, dass sie keine Lust hat, den Koalitionsvertrag umzusetzen und ein Gesetz zu verfassen. Aber auch innerhalb der FDP: Dort nämlich waren die Pläne der Parteifreundin weder bekannt noch abgestimmt.

Die Sache mit der Sterbehilfe steht beinahe symptomatisch für die Vorzeigefrau der Liberalen. Seit Leutheusser-Schnarrenberger wegen des Großen Lauschangriffs 1996 demonstrativ aus dem Kabinett Kohl austrat, galt sie als Ikone des aufrechten Bürgerrechtsliberalismus. Von niemandem erwartete die FDP mithin in den vergangenen drei Jahren mehr als von ihrer Justizministerin eine Stärkung des freiheitlichen und liberalen Profils.

Nun, ein gutes Jahr vor der Bundestagswahl, wird bei den Liberalen befürchtet, dass diese Rechnung nicht aufgehen könnte. Ihr Landesverband, Leutheusser-Schnarrenberger ist Chefin der FDP in Bayern, dümpelt unter der Fünf-Prozent-Marke in den Umfragen. In Berlin gilt sie als verschlossen, unkooperativ und zuweilen sogar als zänkisch. Betrachtet man ihre rechtspolitische Agenda, dann fällt vor allem eines auf: Die Ministerin verhindert Gesetze eher, als dass sie an rechtlichen Lösungen interessiert zu sein scheint.

Allein in diesem Sommer stand sie dreimal unter Beschuss wegen ihrer Gesetzesinitiativen. Entweder laufen Betroffene und Industrie Sturm oder der Koalitionspartner. Oder aber die Ministerin wehrt sich dagegen, überhaupt initiativ zu werden. Wie bei der Regelung zur Straffreiheit für die Beschneidung minderjähriger Jungen. In einem Entschließungsantrag hat der Bundestag die Ministerin aufgefordert, nach der Sommerpause ein Gesetz vorzulegen. Die Angelegenheit ist zwar schwer zu regeln, weil mehrere Grundrechte betroffen sind. Doch von der Justizministerin hätte man sich eine klare Positionierung gewünscht. Stattdessen ließ sich Frau Leutheusser-Schnarrenberger zunächst von der Kanzlerin dazu drängen, überhaupt einen Gesetzentwurf vorzulegen. Dann gestand die oberste Juristin des Landes auch noch öffentlich ein, dass jedes Gesetz in dieser Sache wohl vor dem Verfassungsgericht landen werde. Für Justizexperten ist das ein seltsamer Anspruch für eine Justizministerin.

Bilder: Die Diskussion um das Beschneidungsurteil

Auch beim Leistungsschutzrecht wirkt Leutheusser-Schnarrenberger eher wie eine Getriebene, die zwischen alle Fronten geraten ist. Auf Drängen der Union hatten die Koalitionsspitzen bereits im März der Justizministerin aufgegeben, gesetzlich zu regeln, dass Internetdienste wie Google oder andere Contentverteiler künftig Artikel von Verlagen nicht mehr kostenlos nutzen dürfen, sondern dafür bezahlen müssen. Doch Leutheusser-Schnarrenberger wurde nicht aktiv. Mehr noch: Ihr eigener FDP-Landesverband beschloss, ein solches Leistungsschutzrechtsgesetz komplett abzulehnen. Im Juni drängten die Spitzen der Koalition erneut auf einen Gesetzentwurf, der dann zwar aus dem Justizministerium kam, aber so heftig von den Betroffenen kritisiert wurde, dass sich selbst im Kabinett Widerstand regte. Die Ministerin hat daraufhin den Entwurf abgespeckt.

Nun sieht es so aus, als ob nur noch Google Nutzungsentgelte an die Zeitungsverlage zahlen muss, weshalb alle Seiten unzufrieden sind und erwartet werden darf, dass das ganze Vorhaben im Bundestag gekippt wird. Was letztlich auf die Justizministerin zurückfallen würde, in deren Verantwortung es liegt, Regeln festzuschreiben, die im Internet gelten und dem Anspruch der Nutzer auf uneingeschränkten Wissenszugang genauso gerecht werden wie dem Schutz der Urheber von Texten und Daten. Doch auch auf diesem Feld ist eine Handschrift der Justizministerin insgesamt nicht zu erkennen. Jahrelang verhandelte sie auf europäischer Ebene das Regelwerk Acta, empfahl dem Kabinett sogar, es zu unterstützen und musste dann nach massiven Protesten im Internet zu Jahresbeginn den Rückzug antreten. Ein modernes Urheberrecht ist nicht in Sicht.

Bilder: Proteste gegen Acta in Berlin

Auch bei der Vorratsdatenspeicherung herrscht Stillstand. Und zwar seit Jahren. Vehement sperrt sich die Justizministerin gegen eine anlasslose Speicherung von Mail- und Internetdaten über mehrere Monate zum Zweck der Verbrechensbekämpfung. Was vom Koalitionspartner Union genauso eingefordert wird wie von den Innenministern der Länder lehnt Frau Leutheusser-Schnarrenberger so kategorisch ab, dass sie selbst eine Strafandrohung der EU-Kommission nebst millionenschwerem Bußgeld in Kauf nimmt.

Zunächst hatte die Bundesjustizministerin in ihrer Partei dafür auch Unterstützung, das Thema gilt als profilbildend bei den Liberalen. Nachdem jedoch Leutheusser-Schnarrenberger erst lange Zeit überhaupt keinen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt hat und sich dann auch noch vom Streit mit der EU-Kommission in Brüssel unbeeindruckt zeigte, geht bei den Liberalen nun die Angst um, die eigenen Anhänger könnten die Partei weniger als Kämpfer für Freiheitsrechte denn als halsstarriger Bremser bei der Jagd auf Kriminelle und Terroristen wahrnehmen, die am Ende sogar noch Strafzahlungen aus der Kasse der deutschen Steuerzahler in Kauf nimmt.

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