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Kanzler Olaf Scholz und sein Vertrauter Wolfgang Schmidt

© Kay Nietfeld/dpa

Aufreger vor der Bundestagswahl 2021: Urteil: Razzia im Justizministerium war unverhältnismäßig

Die SPD witterte in der FIU-Affäre eine Verschwörung, auch Olaf Scholz kam in Bedrängnis. Ein Durchsuchungsbeschluss ist nun aufgehoben worden.

Es war der Aufreger kurz vor der Bundestagswahl. Das Lager von SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz witterte eine Verschwörung, sein heutiger Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt bekam wegen der Veröffentlichung von Teilen des Durchsuchungsbeschlusses bei Twitter ein – inzwischen gegen Zahlung von 5000 Euro eingestelltes - Verfahren an den Hals.

„Razzia im Bundesjustiz- und Bundesfinanzministerium“, lauteten damals die Schlagzeilen. Es ging um Versäumnisse der für die Geldwäschebekämpfung zuständigen Financial Intelligence Unit (FIU) des Zolls, dabei vor allem um die Frage, warum Hinweise auf kriminelle Handlungen nicht an die Strafverfolgungsbehörden weitergeleitet worden sind. Der Vorwurf lautete Strafvereitelung im Amt.

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Da die für dieses Verfahren zuständige Osnabrücker Staatsanwaltschaft von Oberstaatsanwalt Bernard Südbeck, einem CDU-Mitglied, geleitet wird, kam auf SPD-Seite schnell der Vorwurf auf, Scholz und das SPD-geführte Justizministerium sollten gezielt diskreditiert werden.

Der damalige Finanz-Staatssekretär Schmidt wies auf seiner Meinung nach bestehende Diskrepanzen zwischen dem Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Osnabrück und den öffentlichen Verlautbarungen der Staatsanwaltschaft hin, die betonte, es solle untersucht werden, ob auch die Leitung des Ministeriums in die Entscheidungen der FIU eingebunden war.

Kanzleramtschef Schmidt reagiert eindeutig

Das Bundesjustizministerium ging damals gegen die Durchsuchung vor – und hat nun Recht bekommen, und zwar auf ganzer Linie. Das Landgericht Osnabrück hat den damaligen Durchsuchungsbeschluss aufgehoben. Die Anordnung der Durchsuchung sei „unverhältnismäßig“ gewesen, teilte das Gericht mit.

Der nun kaum noch twitternde Kanzleramtschef Schmidt kann sich eine kleine Genugtuung nicht verkneifen und twitterte am Donnerstag die dazu verlinkte Presseinformation, versehen mit dem Kommentar „Hmn.“

Allerdings betont ein Sprecher des Landgerichts Osnabrück auf Tagesspiegel-Anfrage, dass die Entscheidung nur für die Durchsuchung im Justizministerium gilt, da das Finanzministerium seinerzeit keine eigene Beschwerde eingelegt habe, somit gebe es keine Kompetenz, auch zu diesem Durchsuchungsbeschluss zu entscheiden.

Warum keine eigene Beschwerde eingelegt wurde, ist bisher nicht beantwortet worden. In Regierungskreisen wird argumentiert, dass es um das gleiche Ermittlungsverfahren ging, die Fälle seien komplett analog gelagert.

Seinerzeit war Christine Lambrecht (SPD) Justizministerin, ihr Nachfolger Marco Buschmann (FDP) betont: "Ich begrüße diese klare Entscheidung des Landgerichts Osnabrück ausdrücklich. Man kann dem Justizministerium und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vertrauen - das ist die wichtige Botschaft, die aus dem heutigen Beschluss des Landgerichts Osnabrück spricht und hinter der ich voll und ganz stehe."

Die Durchsuchungen waren kurz vor der Bundestagswahl am 9. September erfolgt und richteten sich zum einen gegen das damals vom heutigen Bundeskanzler Scholz geführte Finanzministerium, dem der Zoll unterstellt ist. Parallel wurde auch das Justizministerium durchsucht, weil es ebenfalls in bestimmte interne Kommunikations- und Abklärungsprozesse zur Arbeit der FIU eingebunden ist.

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Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz: Der Durchsuchungsbeschluss wurde nun kassiert.
Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz: Der Durchsuchungsbeschluss wurde nun kassiert.

© Kitty Kleist-Heinrich

Worum es damals ging

Die Durchsuchung sollte der Identitätsfeststellung von FIU-Mitarbeitern dienen, sowie aufklären, aus welchen Motiven die Übermittlung von Verdachtsmeldungen an die Ermittlungsbehörden nicht erfolgt sei. Die FIU macht dafür die Vielzahl an Verdachtsmeldungen durch Banken verantwortlich. Da längst nicht alle der zehntausenden Meldungen von dem FIU-Team bearbeitet werden können, ist man zu einem risikobasierten Ansatz übergegangen.

Das bedeutet, dass nur die offenkundigsten Hinweise auf dubiose Transaktionen verfolgt werden; im vergangenen Jahr gingen über 200.000 Verdachtsmeldungen ein. Im Prinzip fungieren die rund 600 Mitarbeiter wie eine Art Filter, damit die Strafverfolgungsbehörden von der Hinweisflut durch Banken und Notaren nicht lahmgelegt worden, nur Verdachtsfälle, die sich erhärten, werden weitergeleitet. Dabei geht es in der Regel um Geldwäsche, Terrorismusfinanzierung und Umsatzsteuerbetrug.

Im konkreten Fall ging es um Verdachtsmeldungen der N26-Bank über fragwürdige Transaktionen in Höhe von insgesamt 1,7 Millionen Euro, die nicht an die Staatsanwaltschaft Osnabrück weitergeleitet worden sind. In deren Bezirk liegen die entsprechenden Konten.

Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet versuchte seinerzeit den Eindruck zu erwecken, die Durchsuchung habe sich direkt gegen Scholz' Finanzministerium gerichtet. Sie sollte aber lediglich helfen, mehr Beweismittel in einem Verfahren gegen Außenstehende zu bekommen, eben Beschäftigte der Financial Intelligence Unit (FIU).

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Razzia könne dem "Ansehen der Bundesrepublik" schaden

Wichtige Voraussetzungen für den Erlass eines Durchsuchungsbefehls seien nicht erfüllt, teilte das Gericht nun mit. Zudem sei die Anordnung einer Durchsuchung in den Räumen des Justizministeriums als unangemessen einzustufen. Laut Entscheidung des Osnabrücker Landgerichts war damals keine Vernichtung von Beweismitteln zu befürchten. Auch bestand keine besondere Eilbedürftigkeit.

Zudem sei nicht geklärt gewesen, dass das Haus die freiwillige Herausgabe der fraglichen Beweismittel ablehnen würde. Jedenfalls sei vorab keine entsprechende schriftliche Anfrage der Staatsanwaltschaft erfolgt.

Ein fragliches Schriftstück von Interesse habe den Ermittlern bereits durch eine frühere Razzia beim Zoll vorgelegen. Darüber hinaus hätten "Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten" nicht bestanden. Zudem habe ein Bezug des Ministeriums oder seiner Mitarbeiter zu potentiellen Straftaten innerhalb der FIU hätte nicht hergestellt werden können.

Werde ungeachtet dessen gleichwohl eine Durchsuchung angeordnet und das Ministerium dem Verdacht ausgesetzt, sich nicht rechtstreu zu verhalten, „sei dies geeignet, dem Ansehen der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Institutionen einen nicht unbeachtlichen Schaden zuzufügen“.

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