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Politik: Schonzeit im Nordosten

Alle drei großen Parteien rechnen sich für die Landtagswahl 2011 Chancen aus – und brauchen einander

Kaum war Mitte Dezember der Castor-Transport im Zwischenlager Nord bei Lubmin angekommen, haben die Nordost-Grünen über den „Beginn einer breiten Protestbewegung in Mecklenburg-Vorpommern gegen die schwarz- gelbe Atompolitik“ gejubelt. Obwohl kaum mehr als 500 Atomkraftgegner an die Gleise gekommen waren, hofft Landessprecher Jürgen Suhr, auf dieser Welle im kommenden September erstmals in den Schweriner Landtag reiten zu können. Anscheinend räumt die CDU den Grünen gute Chancen ein. Als die Umweltschutz-Partei auch noch den Stopp des Autobahnbaus zwischen Magdeburg und Schwerin forderte, reagierte CDU-Spitzenkandidat Lorenz Caffier so derb, wie er es bislang im Umgang mit der außerparlamentarischen Opposition nicht für nötig gehalten haben mag: Destruktiv, weltfremd, verantwortungslos und immer nur „dagegen“ seien die Grünen, so der Innenminister.

Es sind die ersten lauten Töne in einem Wahlkampf, an dessen Ende vieles möglich scheint für die Sitzverteilung im Schweriner Schloss und die Regentschaft in der gegenüberliegenden Staatskanzlei. Die drei „großen“ Parteien SPD, CDU und Linkspartei wissen offenbar noch nicht, wen sie schonen und wen sie schlagen sollen. Schließlich wollen neben den Grünen auch die Freien Wähler erstmals sowie FDP und NPD erneut ins Parlament.

Keiner der drei Spitzenkandidaten – Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD), Innenminister Lorenz Caffier (CDU) und Linkspartei-Fraktionschef Helmut Holter – hat das Zeug zum charismatischen Populisten. Was landespolitische Themen anbelangt, gehen alle drei pfleglich miteinander um – die Regierenden sowieso, aber auch Holter gehörte schließlich von 1998 bis 2006 der rot-roten Regierung an. Beim ersten Aufeinandertreffen in einer Talkrunde des NDR hatten die Moderatoren vor wenigen Tagen Schwierigkeiten, Unterschiede herauszukitzeln. Gestritten wird vor allem über Bundespolitik: Mindestlohn, Hartz IV oder Atompolitik.

Seit 2006 regieren SPD und CDU in Schwerin relativ geräuschlos und viel harmonischer als während ihrer ersten Koalition in den 90er Jahren. Beide beteuern, daran bis kurz vor der Wahl nichts ändern zu wollen. Unterdessen glaubt Sellering für die nächste Legislatur die besseren Chancen auf den Machterhalt zu haben, weil die SPD sich als stärkste Fraktion einen Partner aussuchen könne. Mit seiner Äußerung über die DDR, die kein Unrechtsstaat gewesen sei, und seiner Forderung nach einem schnellen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan hat er klar gemacht, dass er der Linkspartei in manchen Fragen näher ist als der CDU. Sollte die SPD von der CDU oder der Linkspartei überrundet werden, würde Sellering wohl mit dem jeweils anderen regieren, damit er nicht auf sein Amt verzichten muss.

Lorenz Caffier muss als Innen- und Kommunalminister im Wahlkampf unter anderem für eine umstrittene Kreisgebietsreform den Kopf hinhalten. Er hat gegenüber dem Wessi Sellering allerdings den Vorteil, dass er als in Mecklenburg lebender Sachse als „Einheimischer“ gilt. Wenn er Pech hat, wird die CDU stärkste Kraft im Landtag, findet gleichwohl niemanden, mit dem es zum Regieren reicht. Zwar hat Caffier im Sommer noch über Chancen eines schwarz- grünen Bündnisses sinniert. Die Zeiten aber sind vorbei. Die FDP als denkbarer Partner der CDU muss unterdessen fürchten, an der Fünfprozenthürde zu scheitern. So hat Caffier wohl die besten Aussichten zum Mitregieren, wenn die CDU hinter der SPD ins Ziel kommt.

Auch Helmut Holter will seine Linkspartei zur stärksten Fraktion im Landtag machen und erhebt den Anspruch, Ministerpräsident zu werden. Bislang ist er allerdings der einzige, der daran glaubt, erster Regierungschef einer rot-roten Koalition in Deutschland werden zu können. Dabei wird dem ehemaligen Arbeitsminister von Ex-Ministerpräsident Harald Ringstorff (SPD) bescheinigt, sozialdemokratischer als große Teile seiner Genossen zu sein. Solange anderes möglich ist, wird Sellering kaum seinen Platz für Holter räumen. Über den Fall, dass die SPD nur Dritter wird, will er öffentlich aber noch nicht nachdenken.

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