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„Deutschland will eh aussteigen, nun nehmen die es ganz genau und wollen uns unsere Kerntechnik madig machen“, sagt Kernforscher Allelein.

© Antje Lindert-Rottke - Fotolia

Ausstieg aus der Kernenergie: Schrumpft in Deutschland das Wissen über Atomtechnik?

Das letzte Atomkraftwerk soll 2022 vom Netz gehen. Doch schon jetzt sinken die Forschungsetats und es fehlen Nachwuchswissenschaftler. Folgen einer Entscheidung.

Jetzt aber wirklich! So lautete der Beschluss der Merkel-Regierung kurz nach dem Reaktorunglück in Fukushima im Frühjahr 2011. Deutschland soll endgültig aus der Kernenergie aussteigen, 2022 der letzte Reaktor vom Netz gehen. Die Idee, dass das Land diese Art der Stromerzeugung möglichst rasch loswerden will, fand in jenen aufregenden Wochen vor knapp vier Jahren viel Zustimmung. Wenige kritisierten die Entscheidung. Mit einer Ausnahme: Die Kernforschung, so die Befürchtung, könnte geschwächt werden – mit drastischen Konsequenzen für die Reaktorsicherheit und den Wissenschaftsstandort Deutschland.

Tatsächlich sind die Forschungsmittel in den vergangenen Jahren zurückgegangen, bestätigt Dirk Bosbach vom Forschungszentrum Jülich und Sprecher des Helmholtz-Programms „Nukleare Entsorgung, Sicherheit und Strahlenforschung (NUSAFE)“. Dafür stünden noch 40 Millionen Euro im Jahr zur Verfügung, ein Rückgang um rund zehn Prozent. Mit dem Geld, das gemäß Helmholtz-Regularien zum größten Teil vom Bund kommt, werden 240 Mitarbeiterstellen in ganz Deutschland finanziert, wobei etwa zwei Drittel auf die Entsorgungsforschung entfallen und rund ein Drittel auf die Reaktorsicherheitsforschung, also alles, was sich um die Sicherheit laufender Kernkraftwerke dreht. Hinzu kommen noch einmal rund 240 Mitarbeiter, die durch Drittmittel bezahlt werden. Hier gebe es massive Einbrüche, sagt Bosbach. Zumindest was die Reaktorsicherheit betrifft. „Es gibt praktisch keine Anfragen aus der Industrie mehr.“

Bosbach macht folgende Rechnung auf: Ein großer Teil der Forschungen erfolgt im Rahmen von Doktorarbeiten, die drei Jahre oder etwas länger dauern. Wer jetzt beginnt, könnte 2018 Ergebnisse vorlegen. „Bevor eine neue Technik im Kraftwerk angewendet wird, muss sie atomrechtlich genehmigt werden“, sagt der Forscher. Wenn 2022 der letzte Reaktor aus dem Betrieb genommen wird, sei offensichtlich, dass eine neue Technologie nicht mehr zur Anwendung kommt und es sich für die Energieversorger nicht lohne, jetzt noch Aufträge zu vergeben. Im Gegensatz übrigens zur Entsorgungsforschung, die sich beispielsweise mit dem Bewerten, Lagern und Verpacken der radioaktiven Reste befasst. Da sei das Interesse sehr groß.

„Wenn weniger Geld vorhanden ist, wird weniger geforscht“, sagt Joachim Knebel vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT), wo die Kerntechnik traditionell eine wichtige Rolle spielte – und wo man sich überlegen musste, wie der Rückgang kompensiert wird. Alle Forschungsthemen gleich stark zu kürzen, sei ein Fehler, findet er. „Dann steht man aber bald vor dem Problem, dass keine ,kritische Masse‘ an Forschern mehr da ist, um auf dem Feld wirklich voranzukommen.“ Darum wurden Themen wie „Auslegung von Kernbrennstoffen“ und „Anlagen-Design“ komplett gestrichen. Nun will sich das KIT „auf alles konzentrieren, was mit schweren Störfällen zu tun hat“, wie es Knebel formuliert. Also Entscheidungshilfen zu entwickeln für den Fall, dass Radioaktivität austritt. Die Forscher analysieren dazu deutsche Reaktoren wie auch Anlagen im Ausland. Während des heißen Frühjahrs 2011 waren sie gefragte Experten für die Bundesregierung und die Medien, als es darum ging, die Lage in Japan einzuschätzen.

„Gehen die Mittel weiter zurück, wird das irgendwann nicht mehr gelingen“, warnt der Wissenschaftler. Die Störfälle müssten die Ingenieure aus einem Routinebetrieb „herausrechnen“, erläutert er. „Wenn ich das Gesamtkonzept einer Anlage nicht mehr verstehe, kann ich auch nichts mehr über die Konsequenzen sagen.“ Das gelte vor allem für neuere Kraftwerke, wie sie derzeit etwa in China errichtet werden. Das KIT habe nicht die Kapazitäten, um diese Anlagen vollständig zu erfassen und zu bewerten. Wer weniger oder gar nicht mehr forscht, wird auch international kein Gehör mehr finden, fürchtet Knebel. „Bei der Internationalen Atomenergiebehörde in Wien wird sehr wohl darauf geachtet, ob jemand, der beispielsweise Einwände gegen ein neues Reaktorkonzept vorbringt, eigene Expertise hat oder nicht.“ Gerade dort sollte Deutschland weiter vertreten sein, ergänzt der Jülicher Forscher Bosbach. „Die Sicherheitskultur in der Kerntechnik ist hierzulande sehr ausgeprägt. Es ist in unserem eigenen Interesse, diese in die internationalen Gremien zu tragen, wo darüber entschieden wird.“ Dazu gehöre aber entsprechende Expertise, die man nicht allein durch das Lesen von Fachartikeln bekomme, sondern durch eigene Forschungsprojekte.

Hans-Josef Allelein, Kernforscher in Jülich und an der RWTH Aachen, sieht die Lage nicht so dramatisch. „Wenn in zehn Jahren keine Reaktoren mehr am Netz sind, spielt man eben auch in der Forschung nicht mehr die erste Geige.“ Das übernähmen Länder wie Finnland, Ungarn oder Tschechien, wo neue Kraftwerke geplant werden. Noch sei die Förderung durch den Bund relativ stabil, so dass man erst in fünf oder zehn Jahren sagen könne, ob der Niedergang tatsächlich eintreffe. Bei dem Argument, dass Deutschland im Ausland mit kompetenter Stimme sprechen solle, ist er skeptisch. „Die internationale Stimmung ist etwa so: Deutschland will eh aussteigen, nun nehmen die es ganz genau und wollen uns unsere Kerntechnik madig machen“, erzählt er.

Doch auch Allelein sieht wie seine Forscherkollegen Bosbach und Knebel ein Problem, langfristig ausreichend Nachwuchsforscher auf dem Gebiet der Reaktorsicherheit zu gewinnen. Die Jobaussichten hierzulande sind schlecht. „Und wenn man sagt, man erforsche Reaktoren und deren Sicherheit in Russland oder Frankreich, das kommt in vielen Situationen nicht gerade toll an“, sagt Knebel. „Das Thema ist einfach nicht sexy.“

Sorgen um qualifiziertes Personal bestehen in einschlägigen Behörden oder beim Tüv, der für die Anlagensicherheit zuständig ist, jedoch nicht, auch nicht in Zukunft. Das geht aus Anfragen bei den Umweltministerien in mehreren Bundesländern hervor, die für die Atomaufsicht zuständig sind. Beim Tüv-Nord gebe es keine Probleme, geeignetes Personal zu finden, sagt Rudolf Wieland, Geschäftsführer von Tüv Nord SysTec. Im Gegenteil, da die Kernbranche schrumpft, wurden 60 Mitarbeiter in andere Bereiche versetzt, etwa Windenergie oder Bahntechnik. Gut 400 Fachleute seien jetzt noch in der Kerntechnik tätig. „Bis zum Ausstieg im Jahr 2022 werden wir auch noch weitere motivierte Mitarbeiter finden“, sagt Wieland. Der Bereich Rückbau und Entsorgung, der zurzeit auch in der Forschung fokussiert wird, werde zunehmend wichtiger. „Da gibt es 30, 40 Jahre lang noch viel zu tun“, sagt Wieland.

Doch auch Wieland, zugleich Vorsitzender der Reaktor-Sicherheitskommission, fürchtet, dass das Wissen über die Kerntechnik schrumpft. Die hiesigen Behörden sollten auch über 2022 hinaus Berater zur Hand haben, die einschätzen können, welche Entwicklungen im Ausland stattfinden. Es sei nötig, weiterhin Kooperationen zu suchen und Forschungsaufträge zu bearbeiten.

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