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Politik: Schuld sein will keiner

Türkei und Israel vertreten zwei Versionen des Angriffs auf die Gaza-Flotte

Als israelische Soldaten in den frühen Morgenstunden des 31. Mai im östlichen Mittelmeer das türkische Schiff „Mavi Marmara“ stürmten und neun Aktivisten einer islamischen Hilfsorganisation töteten, lösten sie eine internationale Krise und das bisher schwerste Zerwürfnis zwischen den langjährigen Verbündeten Türkei und Israel aus. Seit Dienstag soll eine UN-Untersuchungskommission versuchen, die Frage zu beantworten, wie es zu der Eskalation kommen konnte. Von Türken und Israelis werden die UN-Experten mit gegensätzlichen Versionen der Attacke auf die Schiffe mit Hilfsgütern für den Gazastreifen und der Vorgeschichte der Aktion konfrontiert. Einig sind sich beide Seiten in der Bestätigung, dass sie vor der Abfahrt der „Mavi Marmara“ und der anderen Schiffe aus der Türkei miteinander in Kontakt standen. Sowohl Türken als auch Israelis sagen, sie hätten in diesen Kontakten alles versucht, um eine Eskalation zu vermeiden. Auf die Frage, warum diese Bemühungen scheiterten, gibt es aber zwei gegensätzliche Antworten. Fehler beging nur die jeweils andere Seite.

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu beschuldigte die Türkei jetzt, die Gewalt bewusst in Kauf genommen zu haben. Vor der israelischen Untersuchungskommission sagte er, seine Regierung habe sowohl mit den Türken als auch mit den Ägyptern in Kontakt gestanden. Aber die islamisch geprägte Regierung der Türkei habe offenbar kein Interesse daran gehabt, die islamische Hilfsoganisation IHH mit der „Mavi Marmara“ zu stoppen und auf diese Weise eine Gewaltanwendung auszuschließen.

Ankara weist Netanjahus Vorwürfe zurück. Die türkische Regierung habe sowohl die Israelis als auch die IHH vor der Gefahr einer möglichen Eskalation gewarnt, sagte ein ranghoher türkischer Diplomat dem Tagesspiegel. Israel habe nach wie vor nicht die Fragen beantwortet, warum die Soldaten mit tödlicher Gewalt gegen die Aktivisten auf der „Mavi Marmara“ vorgingen und wie ein solcher Angriff in internationalen Gewässern gerechtfertigt werden könne. Nach der türkischen Version der Ereignisse bemühte sich die Regierung in Ankara sehr wohl, die IHH von der Gazafahrt abzuhalten. Aber eine nichtstaatliche Organisation könne nun einmal nicht daran gehindert werden, mit Schiffen loszufahren, heißt es in Ankara. Außenminister Ahmet Davutoglu informierte den israelischen Verteidigungsminister Ehud Barak demnach telefonisch darüber, dass die IHH nicht umzustimmen gewesen sei. Davutoglu bat Barak nach Angaben aus Ankara, keine Gewalt anzuwenden. Es habe „keine Vorzeichen“ für eine israelische Gewaltanwendung gegeben.

Dennoch will die türkische Opposition von der Regierung wissen, warum einige Abgeordnete der Regierungspartei AKP in letzter Minute ihre Teilnahme an der Gazatour absagten. Ankara solle klarstellen, ob Israel in den Kontakten vor der Abfahrt der Schiffe mit militärischer Gewalt gedroht habe. Laut türkischen Diplomaten gab es eine solche Warnung nicht. Als Davutoglu und Barak unmittelbar nach dem Angriff erneut miteinander telefonierten, wurde es laut. „Sie schrien sich gegenseitig an“, berichtete ein türkischer Diplomat. Barak sagte am Dienstag vor der israelischen Untersuchungskommission, die Entscheidung der politischen Ebene, die türkische Flotte zu stoppen, sei richtig gewesen, im Unterschied zum Vorgehen der Militärs. Diese hätten es auch unterlassen, den Politikern zu sagen, dass die Enterung entweder unmöglich sei oder aber viel Schaden anrichten würde. mit cal

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