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Schulden: Rein in die Kreide, raus aus der Kreide

Im Januar wird sich zeigen, ob der ehrgeizige Plan einer strengeren Schuldengrenze für den Staat auch in der Wirtschaftskrise überlebt.

Es ist schon etwas paradox. Im Januar werden Bund und Länder ein zweites Konjunkturpaket auf den Weg bringen (und im Frühjahr wohl ein drittes, dann vielleicht noch ein viertes), und das heißt:  Die Staatsschulden steigen wieder deutlich an. Von der zusätzlichen Verschuldung durch die diversen Bankenrettungspakete ganz zu schweigen. Und gleichzeitig macht sich die Politik in der Föderalismuskommission II daran, eine engere, strengere Schuldenbegrenzung für den Staat auszutüfteln. Passt das zusammen? Nein, meint zum Beispiel der sächsische Regierungschef Stanislaw Tillich (CDU). Er plädiert für ein Aussetzen der Gespräche angesichts der Rezession. Tillich glaubt, dass schon in wirtschaftlich normalen Zeiten eine Einigung schwierig gewesen wäre. Jetzt sieht er gar keine Chance mehr, und aus sächsischer Sicht seien die absehbaren Kom promisse nicht akzeptabel. Auch andere Ministerpräsidenten aus schwächeren Ländern, darunter der Berliner Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD), gehören zu den Skeptikern.

Auf der anderen Seite meinen führende Politiker von Union und SPD, gerade jetzt dürfe man nicht nachlassen bei dem Vorhaben. Die beiden Kommissionsvorsitzenden, SPD-Fraktionschef Peter Struck und der baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger, dringen darauf, dass Bund und Länder bis Ende Januar Vorlagen erarbeiten, die dann am 5. Februar von der Kommission beschlossen werden sollen. Auch die FDP lehnt ein Aussetzen der Reformgespräche ab. Und aus Karlsruhe kamen über Weihnachten mahnende Worte: "Die Begrenzung der Staatsverschuldung ist vom Bundesverfassungsgericht als ganz zentrale Aufgabenstellung bewertet worden. Daran möchte ich gerade in der Krise erinnern", sagte der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, dem "Hamburger Abendblatt".

Ob die Kommission zu einem Kompromiss findet, ist zum Jahreswechsel so unklar wie vor einem halben Jahr. In mindestens vier Kernpunkten gibt es noch beträchtliche Differenzen: in der Frage, wie eng die künftige Verschuldungsregel gefasst sein soll, bei den zulässigen Ausnahmen von der Regel, beim "Frühwarnsystem" gegen Haushaltsnotlagen und bei den Hilfen für schwächere Länder, damit die überhaupt in der Lage sind, eine striktere Verschuldungsgrenze einzuhalten.

Die Ausnahmen sind umstritten

Union und FDP (sie regieren in den vier größten Ländern zusammen, demnächst kommt vielleicht Hessen dazu) plädieren für eine strenge Regelung. Die Liberalen wollen ein komplettes Verschuldungs verbot, das allenfalls in Notlagen durchbrochen werden darf. Auch die Union fordert, dass im Normalfall keine Schulden gemacht werden dürfen, und wenn es durch besondere Umstände doch sein muss, dann sollen sie in kurzer Zeit wieder getilgt werden müssen. SPD und Grüne dagegen wollen die Zügel nicht so straff anziehen - Neuverschuldung soll auch in Normalzeiten erlaubt bleiben. Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) hält ein Volumen in Höhe von 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für vertretbar, Struck und seine SPD-Fraktion wollen 0,75 Prozent zulassen. Derzeit wären das 12 beziehungsweise 18 Milliarden Euro - immerhin deutlich weniger, als die bestehende Schuldengrenze im Grundgesetz erlaubt. Die Linkspartei ist gegen starre Schuldengrenzen und will die Schuldenlast des Staates durch den Verkauf von Goldreserven senken.

Der Plan ist, eine neue Schuldengrenze ins Grundgesetz zu schreiben - das bedeutet, der Kompromiss braucht eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat. Damit können sich Union und SPD nicht allein einigen, sie brauchen wegen des Fehlens der nötigen Stimmenzahl in der Länderkammer die FDP, und damit dürfte der Kompromiss am Ende näher beim Unionsmodell liegen als bei dem der Sozialdemokraten.

Umstritten ist, welche Ausnahmen es von der Regel geben soll. Grundsätzlich einig sind sich Union, SPD, FDP und Grüne zwar darin, dass eine gewisse Verschuldungsflexibilität zum Ausgleich konjunktureller Einnahmeschwankungen möglich sein soll. Diese Schulden sollen aber schnell abgebaut werden, wenn die Steuerquellen wieder sprudeln. Was aber Ausnahmesituationen sind, ist umstritten - nur Katastrophenereignisse (so die Union) oder alle unerwarteten oder ungeplanten Mehrausgaben, wie die SPD meint? Das Problem ist besonders trickreich, weil über diese Regelungen eine harte Schuldengrenze wieder durchlöchert werden kann. Steinbrück und die FDP möchten daher die nötige Mehrheit für eine "Notverschuldung" in den Par lamenten möglichst hoch ansetzen (zwei Drittel oder drei Fünftel), in der SPD neigt man dagegen zur einfachen Mehrheit, damit eine Regierung handlungsfähig bleibt.

Ein Vermittlungsverfahren ist wahrscheinlich

Ganz entscheidend wird am Ende aber das Geld sein. Denn die schwächeren Länder werden nur zustimmen, wenn sie Kompensationen erhalten. Hier scheint es zwischen Bund und stärkeren Ländern einen Konsens zu geben, dass Berlin, Bremen, das Saarland und Schleswig-Holstein jährlich etwa 140 Millionen Euro für ihre Altschuldentilgung bekommen, wohl über einen Zeitraum von sechs bis acht Jahren. Je flexibler die Schuldengrenze ist, umso weniger Mittel sind nötig. Freilich klopfen bereits andere Länder an die Tür: Wenn Schleswig-Holstein Geld bekommt, warum dann nicht die ähnlich hoch verschuldeten Länder Sachen-Anhalt, Thüringen und Brandenburg? Und wenn man denen etwas gibt, werden bald auch Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen etwas fordern.

Ende Juni/Anfang Juli 2009 will die große Koalition das Gesetz durch Bundestag und Bundesrat bringen. Nicht unwahrscheinlich ist, dass es zuvor ein Vermittlungsverfahren gibt, mit den üblichen langen Nächten der Kompromiss erzwingung. Spätestens dann schlägt die Stunde von Kanzlerin Angela Merkel und Vizekanzler Frank-Walter Steinmeier. Mitten im Wahlkampf.

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