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Vor dem Bundestag protestierten am Donnerstag Frauen für die Abschaffung des Paragrafen, der Werbung, aber auch öffentliche Information verbietet.

© imago/Christian Ditsch

Schwangerschaftsabbruch erreicht Bundestag: Parteien streiten über Abtreibungsparagraf 219a

Paragraf 219a des Strafgesetzbuchs verbietet Ärzten, öffentlich darüber zu informieren, wenn sie Schwangerschaften abbrechen. Seit gestern debattiert der Bundestag.

Im Bundestag hat am späten Donnerstagabend die Beratung über die Abschaffung oder Reform des § 219a begonnen, der Werbung für Schwangerschaftsabbruch unter Strafe stellt, es aber auch Ärztinnen unmöglich macht, darauf hinzuweisen, wenn sie sie durchführen. Während die Frauenpolitikerinnen von Grünen und Linken, Ulle Schauws und Cornelia Möhring, argumentierten, der eigentliche Abtreibungsparagraf 218 und der vor 25 Jahren hart umkämpfte Kompromiss seien nicht gefährdet, wenn der Paragraf gestrichen werde, beschworen Abgeordnete der Union und der AfD genau diese Gefahr und bezweifelten, dass sich Werbung und sachliche Information trennen ließen.

Seit dieser Woche liegen drei Gesetzentwürfe vor: Die von Grünen und Linken, die sich beide für die komplette Abschaffung des Paragrafen aussprechen, und der der FDP. Die SPD hat, offenbar mit Rücksicht auf ihre künftigen Koalitionspartnerinnen CSU und CDU ihren eigenen Gesetzentwurf nicht eingebracht, der ebenfalls die Abschaffung des Paragrafen fordert. Union und AfD wollen nichts an der aktuellen Norm ändern.

"Wie cool, da treibe ich mal ab"?

Obwohl FDP-Fachpolitikerinnen sich ursprünglich ebenfalls dafür stark gemacht hatten, wollen die Liberalen jetzt nur noch eine Umformulierung. Strafbar wär demnach nur noch "grob anstößige" Werbung oder Information über Schwangerschaftsabbrüche. Dass derlei schon über das ärztliche Standesrecht verboten ist, genügt aus Sicht der FDP nicht - "angesichts des hohen Wertes ungeborenen Lebens und der hohen Sensibilität breiter Teile der Bevölkerung, die Schwangerschaftsabbrüche moralisch kritisch sehen", wie es in der Begründung des Gesetzentwurfs heißt. Die Unions-Rechtspolitikerin Winkelmeier-Becker kritisierte in der Debatte, damit sei zum Beispiel nicht verhindert, dass Abtreibungskliniken mit ihrem angenehmen Ambiente werben könnten. "Das ist weder anstößig noch unsachlich." Die Linken-Abgeordnete Möhring warf den Werbeverbots-Befürwortern in Union und AfD ihr Frauenbild vor: "Welche Frau sagt sich wohl: Was für eine coole Werbung, jetzt mach ich mal einen Schwangerschaftsabbruch."

Zusätzlich will die FDP künftig Werbung für strafbare Schwangerschaftsabbrüche besonders sanktionieren. Straffrei ist ein Abbruch nach aktuellem Recht nur, wenn die Schwangere sich bei einer anerkannten Stelle hat beraten lassen und wenn Ärztin oder einem Arzt ihn vornehmen. Auch nach der letzten grundlegenden Reform des Abtreibungsrechts 1992 ist der Abbruch einer Schwangerschaft grundsätzlich rechtswidrig.

Urteil gegen Gießener Ärztin stieß die Debatte an

Der Deutsche Juristinnenbund hatte kurz vor Beginn des parlamentarischen Verfahrens am Donnerstag noch einmal für die Abschaffung des Paragrafen plädiert und zugleich gewarnt: Sollte sich das im Bundestag nicht durchsetzen lassen, müsse auch eine Neuformulierung "explizit" Ärztinnen und Ärzte, Beratungsstellen und staatliche Einrichtungen vor Strafe schützen, die sachlich über Möglichkeiten eines Schwangerschaftsabbruchs informieren. Das allerdings ist im FDP-Entwurf, dem bisher einzigen für eine Neuformulierung, nicht enthalten. Beratungsstellen klagen darüber, dass sie nach jetzigem Recht nicht einmal aktuelle Listen von Abtreibungsärzten erstellen und an schwangere Frauen weitergeben können. Spätestens während einer Anhörung der Fraktion zu Beginn der Woche war klargeworden, dass in der Praxis wenig genügt, um unter die Strafvorschrift des 219a zu geraten. Der Münchner Arzt Friedrich Stapf, der seit Jahrzehnten Abtreibungen durchführt, berichtete dort, er sei auch schon angezeigt worden, weil er in Interviews erwähnte, was er tue. Die vielen Verfahren gegen ihn habe er jeweils durch Zahlung von 200 bis 300 Euro abwenden können, zusätzlich liefen jedesmal etwa 2000 Euro für den Einsatz eines Anwalts auf. Die Tageszeitung "taz" berichtete am Donnerstag auch über mindestens elf Ärztinnen und Ärzte, die jetzt angezeigt wurden, weil sie vor Wochen in der Zeitung öffentlich erklärt hatten, dass auch sie Abbrüche machen. Die Aktion in Anlehnung an die von 1971, als hunderte Frauen im Magazin "Stern" erklärten "Wir haben abgetrieben", war eine Solidaritätsgeste für die Gießener Ärztin Kristina Hänel. Hänel hat die aktuelle Debatte um den Paragrafen 219a ausgelöst. Sie wurde im November zu 6000 Euro Geldstrafe verurteilt, weil ihre Website einen Hinweis darauf enthielt, dass sie in ihrer Allgemeinpraxis auch Schwangerschaftsabbrüche durchführt.

SPD will Entscheidung ohne Fraktionszwang

Als das Thema Ende 2017 den Bundestag erreichte, sah es noch nach einer Mehrheit für die Abschaffung des Paragrafen 219a aus. Die Stimmen von Linken, Grünen, FDP und SPD hätten ausgereicht. Da die SPD jetzt, noch vor Abschluss einer Koalition, an Konsens mit der Union interessiert ist, sieht es nach der weniger radikalen Lösung aus, der Reform des 219a. Linke und Grüne haben bereits Entgegenkommen signalisiert. SPD-Fraktionsvize Eva Högl sagte in der Debatte, für ihre Partei sei "klar: Der Paragraf 219a muss gestrichen werden." Das eine Urteil gegen die Ärztin Hänel, zeige deutlich, "dass wir Handlungsbedarf haben". Das bestritt unter teils heftigem Protest von SPD, Grünen und Linken die AfD-Politikerin Mariana Harder-Kühnel in ihrer ersten Bundestagsrede. Der Paragraf sei "ein Scheinproblem", 2016 habe es ebenfalls eine einzige Verurteilung gegeben. Frauen in Deutschland seien in ihrer körperlichen Unversehrtheit "von ganz anderen Dingen bedroht".

Högl warb für eine fraktionsübergreifende Lösung für den umstrittenen Paragrafen. "Es ist eine Gewissensentscheidung", sagte sie am Donnerstag im Bundestag. In diesem Falle wäre, wie früher schon in ethisch umstrittenen Fragen, der Fraktionszwang aufgehoben, die Abgeordneten müssten keiner Partei- oder Koalitionslinie folgen. So entschied der erste vereinte Bundestag 1992 auch über die Reform des Paragrafen 218, die durch die deutsche Einheit notwendig geworden war.

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