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Julia Klöckner im Interview: "Schwarz-Grün würde neue Perspektiven eröffnen"

Das konservative und das grüne Milieu haben sich angenährt, sagt Julia Klöckner. Im Interview spricht die CDU-Vizevorsitzende über die schwarz-grüne Koalitionsoption, die Sorge vor einer unzuverlässigen SPD – und die Rolle von Jürgen Trittin.

Frau Klöckner, was ist wichtiger in der Politik: Kopf oder Bauch?

(Lacht.) Der ganze Mensch. Kopf und Bauch gehören zueinander. Letztlich aber muss man im Einzelfall immer abwägen.

Für die Koalitionsverhandlungen haben Sie Ihre Befindlichkeiten so beschrieben: Der Bauch sagt Schwarz-Grün, der Kopf Schwarz-Rot. Wie meinen Sie das?

Es gibt Impulse, wo man sagt, das hätte mal was. Eine Koalition mit den Grünen im Bund würde uns neue Perspektiven eröffnen. Aber der Kopf sagt: Wir brauchen bei vielen Gesetzen auch den Bundesrat, da wäre eine breite parlamentarische Basis hilfreicher. Um zu einer guten Entscheidung zu kommen, sollten wir weiter offen in die anstehenden Gespräche gehen.

Sagt Ihr Bauch nach der ersten Sondierung denn immer noch Schwarz-Grün?

Ja, durchaus. Die Atmosphäre war besser, als es die Schlagzeilen vorher vermuten ließen. Es war, wie ich hörte, ein konstruktives und sehr tief gehendes Gespräch. Und die zwei Stunden haben nicht gereicht, deshalb trifft man sich am Dienstag noch mal.

Viele sagen: Für Schwarz-Grün ist es noch zu früh. Vielleicht beim nächsten Mal …

Wenn wir das schon wüssten, müssten wir uns nicht noch mal treffen. Es ist nichts entschieden, alles ist offen.

Wie wichtig sind die Grünen denn perspektivisch für die Union? Plagt Sie der Albtraum, beim nächsten Mal, wenn es die FDP wieder nicht schafft, allein dazustehen?

Zum einen: Ich rechne durchaus damit, dass die FDP wiederkommt. Und was Schwarz-Grün betrifft, da haben sich die Milieus ja längst angenähert. Das ist nicht mehr so wie vor 20 Jahren.

Sind in der Union nicht auch noch einige ihrem alten Feindbild verhaftet? Oder ist das nur bei der CSU der Fall?

Ich denke, da gehören immer beide Seiten dazu. Für manche Grüne ist die CDU auch noch Teufelszeug. Jeder hat da wohl sein eigenes Feindbild, Journalisten sind ebenfalls nicht frei davon. Und bei manchen ist es eben ausgeprägter.

Ist das eine Generationenfrage? Haben sich die Jüngeren eher angenähert?

Nicht unbedingt. Bei Umfragen zeigt die ältere Generation in der Union oft weniger Vorbehalte gegenüber Schwarz-Grün als Jüngere. Es kommt auf die Personen an und auf das Milieu, in denen sie sich bewegen. Viele Ältere bei uns denken wertkonservativ, da gibt es schon Ansatzpunkte. Die Zeiten, als ein Joschka Fischer mit Turnschuhen ins Parlament kam und andere meinten, da müsse man mit der Dachlatte dreinschlagen, sind ja glücklicherweise vorbei. Und dass Grüne auch erhebliche Wandlungen durchgemacht haben, kann man erstaunt feststellen.

Würde es helfen, sich regelmäßiger zusammenzusetzen?

Es gibt bereits viele intensive Kontakte. Die Frage ist nur, welche Strömung sich durchsetzt. Dass Jürgen Trittin bei den Verhandlungen noch dabeisaß, sehe ich als Reminiszenz an die Nostalgie des Vergangenen. Und eine Kerstin Andreae, ein Boris Palmer, auch ein Winfried Kretschmann – die würden vor Schwarz-Grün nicht die Tür zuschlagen. Ich bin mir übrigens sicher: Wäre Günther Oettinger nicht in Brüssel, dann wäre Kretschmann heute nicht Regierungschef in Baden- Württemberg, sondern Finanzminister einer schwarz-grünen Koalition.

Hat Merkels Atomausstieg historisch besehen das Tor geöffnet zu Schwarz-Grün?

Richtig ist, dass damit eine gewaltige Hürde abgebaut wurde. Aber das geschah nicht aus strategischer Sicht, um besser mit den Grünen zusammenarbeiten zu können. Es war einem unvergleichlichen Ereignis geschuldet. Vorher gab es schon eine Pizza-Connection und gemeinsam geschriebene Gesetze. Ich selber war mit Katrin Göring-Eckardt beim Thema embryonale Stammzellen in engem Konsens.

Wo hapert es denn am meisten?

Ich würde sagen, im kulturellen Herangehen an die Gesellschaft. Man hat bei den Grünen oft den Eindruck, dass sie die Gesellschaft umerziehen wollen. Da gibt es einen moralischen Anspruch des Besser- Könnens und Besser-Wissens, der Veggie-Day ist nur ein Beispiel dafür. Das betrifft auch den Umgang mit Familienbildern. Die Grünen wehren sich zu Recht gegen eine Stigmatisierung von arbeitenden Frauen als Rabenmüttern. Aber sie tun nichts anderes, wenn sich Frauen entscheiden, erst mal nur für ihre Kinder da zu sein. Wir verstehen unter Wahlfreiheit auch die Toleranz des anderen – obwohl es natürlich auch bei uns Vertreter gibt, die sich damit schwertun.

Sie empfehlen mehr Gelassenheit?

Ja. Eine offene Gesellschaft beinhaltet auch, das mit Großmut zu akzeptieren, was einem selber nicht passt.

Zurück zum Kopf. Am Montag treffen sich Union und SPD zur zweiten Sondierung. Wo sind für die CDU die roten Linien?

Das werde ich ganz bestimmt nicht öffentlich diskutieren.

Ist es denn klug, schon vor den Gesprächen Steuererhöhungen auszuschließen?

Es ist richtig, denn wir sind unseren Wählern hier verpflichtet. Und zwar vielen Wählern, schließlich ist der Abstand zu SPD oder Grünen beachtlich. Die Steuerpolitik war ein zentraler Punkt des Wahlkampfes, und das Votum war eindeutig. Deshalb wäre es mehr als unkreativ, jetzt in Zeiten hoher Steuereinnahmen zu sagen, uns fehlt Geld in der Kasse und deshalb müssen wir die Steuern leider doch anheben. Vielleicht müssen wir ja auch nicht jedem Ausgabewunsch nachgeben.

Welchem denn nicht?

Das muss man nun genau betrachten. Was jedenfalls nicht geht, sind Forderungen von SPD-Ministerpräsidenten nach immer mehr Geld mit der Drohung, sich andernfalls zu verweigern. Es kann nicht sein, dass der Bund bluten muss, weil einzelne Länder ihre Schuldenbremse nicht einhalten und auch über Einsparungen nicht nachdenken wollen.

Auch der Mindestlohn ist den Bürgern wichtig. Wird er kommen?

Mal sehen. Interessant finde ich, dass sich die SPD bewegt hat. Generalsekretärin Andrea Nahles sagt, man könne sich eine Kommission vorstellen, die den Mindestlohn festlegt. Für uns ist klar, dass es keinen politischen Wettbewerb um die Höhe des Mindestlohnes geben darf. Eine Kommission der Tarifpartner kommt dem schon nahe.

Was sind denn die Projekte, die eine große Koalition – diesen Ausnahmefall der Demokratie – rechtfertigen?

Die anstehende Pflegereform gehört dazu. Und Europa, dessen Zukunft keineswegs gesichert ist, insbesondere die Jugendarbeitslosigkeit. Auch in der Bildungspolitik und der Finanzierung der Bundesländer geht es um große Weichenstellungen.

Wie groß ist Ihre Sorge, dass die SPD beim ersten Krach abspringt und mit Rot-Rot- Grün weiterregiert?

Eine große Koalition ist ein Zweckbündnis und keine Liebesheirat. Man muss also auf alles gefasst sein. Aber ich kann die SPD vor einem solchen Wechsel nur warnen. Das wollen die Wähler ganz bestimmt nicht. Sie haben Verlässlichkeit und Vertrauenswürdigkeit gewählt. Ich erwarte daher, dass die Sozialdemokraten zu ihrem Wort stehen, wenn sie sich für eine Koalition mit uns entscheiden.

Wie verhandelt man denn einen Koalitionsvertrag, wenn darin bei jedem Punkt „vorbehaltlich eines Mitgliedervotums“ in Klammern steht?

Das ist nicht unproblematisch. Wir erwarten natürlich, dass der SPD-Vorsitzende Prokura besitzt. Ich glaube ohnehin, dass die Idee von Hannelore Kraft, dieses Votum einzufordern, nicht besonders klug war. Denn die Mitglieder haben ja keine Alternative. Sie können nur zustimmen oder ablehnen. Mitreden geht nicht. Der Parteichef kann ja in einem ausgehandelten Vertrag nicht hinterher bestimmte Punkte wieder ändern, nur weil ihn seine Mitglieder da nicht unterstützen. Also bleibt nur: Daumen hoch. Wenn nicht, müsste die ganze SPD-Spitze zurücktreten. Mit echter Basisdemokratie hat das wenig zu tun.

Zur Flüchtlingspolitik. Innenminister Hans-Peter Friedrich zieht aus den Tragödien vor Lampedusa nur eine Folgerung: dass die Schlepperbanden bekämpft werden müssen. Macht er es sich damit nicht sehr einfach?

Ich ziehe aus den Ereignissen in Lampedusa andere Schlussfolgerungen. Die Schlepperbanden sind ein Problem, aber nur ein Symptom für die Lage von Menschen, die um Leib und Leben fürchten. Da müssen wir Christdemokraten besonders über das Thema christliche Nächstenliebe nachdenken. Ich habe keine Patentlösung. Aber ich glaube, dass wir uns nicht auf geografische Antworten zurückziehen können. Wir tragen Verantwortung, auch wenn wir keine Küste haben, an der Flüchtlinge stranden. Was jetzt geschehen ist, ist ein Wendepunkt, man darf nicht darüber hinweggehen. Daher fordere ich die Einberufung eines europäischen Flüchtlingskongresses, der sich mit dieser Frage beschäftigt. Wir haben eine Verpflichtung zur Hilfe.

Frau Klöckner, Sie sind vor zweieinhalb Jahren nach Rheinland-Pfalz gewechselt. Zieht es Sie zurück nach Berlin, vielleicht in das nächste Kabinett Merkel?

Ich bin in Rheinland-Pfalz am richtigen Ort. Hier werde ich bleiben und bei der Landtagswahl in zwei Jahren um jede Stimme für die Union kämpfen.

Das Interview führten Antje Sirleschtov und Rainer Woratschka.

WEINKÖNIGIN

Mit 23 war sie Weinkönigin, mit 30 bereits im Bundestag. Und von 2009 bis 2011 kümmerte sich Julia Klöckner als Staatssekretärin um Ernährung und

Landwirtschaft.

FRAKTIONSCHEFIN

2011 trat Klöckner in Rheinland-Pfalz gegen den Platzhirsch Kurt Beck (SPD) an – und schaffte es fast, ihn zu besiegen. Seither ist sie im Mainzer Landtag CDU-Fraktionschefin.

TWITTER-FAN

Die 40-Jährige gilt als Nachwuchshoffnung der CDU. Das verfrühte Ausplaudern des Ergebnisses der Bundespräsidentenwahl 2009 über Twitter hat ihr nicht geschadet. Inzwischen ist Klöckner auch stellvertretende Parteichefin.

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