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Schwarzfahren: Schleichend entkriminalisiert

Schwarzfahren ist zwar unfair, aber kein Problem zwischen Staat und Bürger, sondern eines zwischen Unternehmen und Kunden. Als solches sollte es geregelt werden. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Nach den Schwarzfahrern geht es jetzt dem Schwarzfahren an den Kragen. Der Berliner Senat möchte vermeiden, dass Nahverkehrsnutzer, die wegen „Erschleichen von Leistungen“ (Paragraf 265a Strafgesetzbuch) verurteilt werden und ihre Geldstrafe nicht bezahlen können, im Gefängnis landen. Nach dem Willen des Regierenden soll Schwarzfahren ohnehin „entkriminalisiert“, also als Straftat gestrichen werden. Stattdessen könnte es als Ordnungswidrigkeit verfolgt und wie Falschparken mit einem Bußgeld belegt werden.

Einen anderen Weg hat jetzt der Deutsche Richterbund bei einer Bundestagsanhörung aufgezeigt. Den Gesetzentwürfen von Grünen, die für die Herabstufung zur Ordnungswidrigkeit plädieren, und Linken, die nicht mal Geldbußen wollen, hält er eine Art Kompromiss gegenüber: Das „Erschleichen“ bleibt strafbar, der Tatbestand soll aber so eingeschränkt werden, dass nur noch erfasst wird, wer Zugangskontrollen überwindet.

Ein originelle Idee, denn: Es gibt solche Barrieren oder Kontrollen nicht. Damit Schwarzfahren auch in Zukunft noch als Straftat verfolgt werden kann, müssten sie erst eingeführt werden. Verzichten die Verkehrsbetriebe wegen der hohen Kosten darauf, wäre Schwarzfahren de jure kriminell, aber de facto entkriminalisiert. Im Ergebnis also ein Vorschlag irgendwo zwischen Grünen und Linken.

Bargeld bitte bereit halten!

Es fällt langsam schwer, zu argumentieren, warum alles so bleiben soll, wie es ist. Dass Menschen hinter Gittern landen können, weil sie durch das nicht gelöste Ticket einen Schaden von rund drei Euro verursacht haben, wirkt in einem Rechtsstaat befremdlich, der stets die Verhältnismäßigkeit der Mittel propagiert. Dass Justiz und Polizei jährlich Zehntausende Verfahren bearbeiten, obwohl sie mit ihrer Zeit Besseres anzufangen wüssten, müsste den Politikern ebenfalls deutlich geworden sein. Und schließlich bedarf es schon jetzt einiger juristischer Verrenkungen, um das Delikt überhaupt als „Erschleichen“ verurteilen zu können. Ein Schwarzfahrer erschleicht nichts. Er täuscht nicht. Er betrügt nicht. Er nutzt nur.

Harmlos also? Nein. Schwarzfahren gehört sich nicht, es schadet, es ist unfair. Aber es ist zunächst kein Problem zwischen Staat und Bürger, sondern eines zwischen Unternehmen und Kunden. Es ist Sache der Unternehmen, Kunden zur Kasse zu bitten, die für eine Leistung nicht zahlen wollen. Die Sorge der Unternehmen ist, dass ihre Kontrolleure flüchtige Schwarzfahrer nicht mehr festhalten dürfen, wenn der Straftatbestand gestrichen ist. Der Richterbund argumentiert zwar, dann gäbe es noch das zivilrechtliche Recht zur Selbsthilfe, doch dem kann ein Schwarzfahrer leicht entgehen: indem er vor Ort das erhöhte Beförderungsentgelt bezahlt. Wer nach einer Entkriminalisierung ohne Ticket fahren will, sollte genug Bargeld dabeihaben.

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