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Jung an der Wahlurne. In Baden-Württemberg durften zuletzt schon 16-Jährige abstimmen.

© dpa

Die Wahlkampfbeobachter (18): Seid uncool, steif und bieder!

Zwischen der Politik und der Lebenswirklichkeit der Heranwachsenden liegen Welten. Die Politik will die vermeintlich politikverdrossene Generation zurückgewinnen. Dabei ist die längst in der Demokratie angekommen - sie sind eher parteienverdrossen. Da hilft auch keine angestrengte keine Ich-bin-doch-einer-von-euch-Simulation.

In einem sind sich ARD und Politiker ähnlich. Sie haben keine so rechte Ahnung, was Heranwachsende eigentlich wollen. Weil das so ist, wird es zwangsläufig possierlich und ungelenk, wenn derartige Parallelwelten aufeinander treffen.

Die ARD-Sendung „Überzeugt uns“ ist so ein Beispiel. Es ist der Versuch eines hippen Sendeformats, das die Politik dem Jungwähler wieder näher bringen soll. Sendungen, wie sie in diesen Wahlkampfzeiten zuhauf über den Äther flimmern. Prinzip Brechstange: Junges Gemüse trifft auf reife Politik. Da wird geduzt und getwittert, was das Zeug hält, schäbig-chice Notebooks werden aufgebaut, Politiker-Speed-Datings organisiert, DJs engagiert und zwieselig-fetzige Einspieler gesendet. Bäm, ARD! In your face!

Die meisten sind keine Jugendversteher

Im Wahlkampf ist scheinbar alles erlaubt. Bereits die ersten Wahlplakate signalisieren: Achtung, die Politik kommt! Wir sind da, liebe Wähler! Jetzt dringen wir in eure Wirklichkeit ein, ob ihr wollt oder nicht. Und wenn alle vier Jahre die Gewählten und zur Wahl Stehenden auf ihr republikanisches Rückgrat treffen, dann wird’s zwangsläufig holprig. Sind gar Jungwähler im Spiel, wird’s erst recht gruselig. Dabei sollten ARD als auch die Politik bei ihrer Kernkompetenz bleiben. Und die heißt 50 plus.

Immer montags bis freitags erscheint die Kolumne "Die Wahlkampfbeobachter".
Immer montags bis freitags erscheint die Kolumne "Die Wahlkampfbeobachter".

© Cicero/Daxer

So mäandern sich Politiker durch derartige Sendeformate auf allen Kanälen und zeigen angestrengt, wie lebenswirklich sie doch sind. Doch: Wer die vermeintliche Klaviatur des jungen Wählers zu nutzen weiß, wer twittert und das Web penetriert, ist längst noch kein Jugendversteher. Zwischen der Politik und der Lebenswirklichkeit der Heranwachsenden liegen Welten. Wie sollte es auch anders sein?

Doch die Politik wird angehalten, cool zu sein, um die vermeintlich Unpolitischen wieder aufs Terrain der Politik zu ziehen. Dass das nur scheitern kann, sieht man an einem anderen Beispiel: Warum verlässt die jüngere Generation gerade in Scharen Facebook? Nicht, weil sie plötzlich um ihre sensiblen Daten fürchtet, sonder aus Angst davor, von Vater, Mutter, Tante und Onkel plötzlich eine Freundschaftsanfrage zu bekommen.

Lebt eure Biederkeit

Liebe Politiker, hört nicht auf die Medienberater und Fernsehanstalten: Ihr müsst den Jungwählern keine Ich-bin-doch-einer-von-euch-Simulationen bieten. Macht Politik und lasst das Biotop der Jugendlichen unberührt. Lebt eure Biederkeit. Ja, kokettiert damit! Die Schnittmenge heißt nicht Twitter und Flashmob, sondern Glaubwürdigkeit und Engagement. Versucht euch nicht auf dem Feld der Justin Biebers, kümmert euch um Sachfragen, rettet den Euro!

Klar. Ihr meint es sicher nur gut. Doch dem Glauben, man müsse die junge Generation mehr ansprechen, sie durch übereifriges Vor-Wahl-Engagement politisieren, liegen ein paar falsche Annahmen zugrunde:

1. Die jüngere Generation hat sich von der Politik entfernt

Richtig ist: Die Kinder einer überpolitisierten Elterngeneration haben andere Normen entwickelt, haben ein anderes Demokratieverständnis als ihre Vorgängergenerationen. Die Kanäle, über die Politik stattfindet, sind andere. Es wird mehr ad hoc partizipiert, statt sich durch Parteimaschinen zu quälen. Prinzip: Weniger Partei und mehr sachbezogene Politik auf einem bestimmten Politikfeld, weniger Ideologie und mehr Von-Fall-zu Fall-Aktionismus. Die jüngeren Generationen brauchen keine Parteien, um politisch zu sein. Politisches Engagement ist längst nicht mehr gleichbedeutend mit Parteimitgliedschaft.

Angestrengte Politiker, die von Authentizität reden

2. Die Politik müsse der Politikverdrossenheit entgegenwirken

Die Annahme, man habe es mit einer ganz und gar politikverdrossenen Generation zutun, ist bereits ein einziger Holzschnitt. Das Gegenteil ist der Fall. Die vermeintliche Politikverdrossenheit ist allenfalls eine Parteienverdrossenheit. Selbst die niedrige Wahlbeteiligung gerade unter Jungwählern hat nicht zwangsläufig etwas mit weniger werdendem politischen oder gesellschaftlichen Engagement zu tun. Auch gibt es keine Krise der Demokratie, allenfalls eine der Parteien. Und die zügellose Anbiederung der Politik, das authentizitätsbefreite Poltern vor der Wahl, trägt ganz sicher dazu bei.

3. Der Jungwähler ist im Zweifel Nichtwähler und muss für die Demokratie reaktiviert werden

Bürgerliches, gesellschaftliches Engagement, das wissen Sozialwissenschaftler und Demoskopen, hat in den Jahren, in denen die Wahlbeteilung zurückging, eher zugenommen. Auch die Akzeptanz demokratischer Spielregeln ist eher gewachsen, insofern gibt es wenig bis keine Anzeichen dafür, dass die Demokratie durch politikverdrossene Bürger schaden nimmt.

Unterdessen quälen sich die Politiker weiter mit ihren Jungwählern. Dabei ist eines immer besonders wichtig: Die angestrengte Hervorhebung der eigenen Echtheit. Doch der Begriff der Authentizität ist, einmal gefallen, letztlich das Signal für die Abwesenheit von Echtheit. So hat der vage Versuch der Politik, sich im Vorfeld der Wahl dem Jungwähler zu nähern, um ihn für die Demokratie zu reaktivieren, nicht selten den gegenteiligen Effekt.

Also, liebe Abgeordnete, bleibt in eurem Terrain. Seid uncool, steif und bieder.

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