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Renate K.

© Wolff

Sonntags-Interview: "Von Becks Autorität ist nichts mehr übrig"

Die Grünen-Fraktionschefin Renate Künast spricht mit dem Tagesspiegel über den Zustand der SPD, die Präsidentenwahl und den nächsten Chef ihrer Partei.

Frau Künast, den Grünen kommt bei der Wahl des Bundespräsidenten voraussichtlich eine Schlüsselstellung zu. Um was geht es Ihnen – um den besten Kandidaten oder um die beste Ausgangslage für die nächste Bundestagswahl?

Es geht zunächst um die beste Kandidatin – um einmal die weibliche Form zu nehmen. Wir sind aber auch nicht so selbstlos, dass uns die politischen Signale egal sind, die von der Entscheidung kurz vor der Bundestagswahl ausgehen können. Wir haben mit diesem Spiel aber nicht angefangen, das hat Guido Westerwelle getan. Er hat nämlich versucht, mit der Ausrufung von Horst Köhler zum nächsten Präsidenten ein schwarz-gelbes Signal zu setzen. Davor können wir nicht die Augen verschließen. Also: Wir werden uns die Kandidaten ansehen, dann wird entschieden.

Aber es ist Ihnen schon sehr wichtig, dieses schwarz-gelbe Signal von Westerwelle kaputt zu machen?

So verstehe ich meine Aufgabe als Fraktionschefin der Grünen, dass ich versuche, schwarz-gelbe Mehrheiten zu verhindern oder zu schleifen.

Ist Horst Köhler denn ein schlechter Präsident?

Nein. Horst Köhler ist im Amt nicht die Speerspitze des Neoliberalismus in Deutschland geworden, wenn auch seine Art den Respekt vor demokratischen Institutionen nicht gerade stärkt. Auch wir hatten da nach seinen Botschaften in der Bewerbungsphase um das Amt große Befürchtungen. Aber beim Thema Afrika hat er als einer der wenigen Spitzenpolitiker immer wieder darauf gedrängt, dass wir die Wirkungen unserer Politik auf diesen Kontinent berücksichtigen.

Das heißt, Horst Köhler könnte in der Bundesversammlung Stimmen der Grünen erhalten?

Völlig ausschließen möchte ich das nicht. Aber vor vier Jahren haben wir Gesine Schwan als Kandidatin mit aufgestellt und sie dann auch gewählt. Es gibt auch in der Politik eine Art politisch-emotionale Vorprüfung – die geht trotz der positiven Entwicklung Horst Köhlers bei den meisten Grünen zugunsten von Gesine Schwan aus.

Warum wählen Sie sie dann nicht einfach wieder?

Wir haben sie diesmal nicht aufgestellt. Die SPD kann im Ernst nicht erwarten, dass wir – bei aller Wertschätzung für Gesine Schwan – jede Selbstständigkeit aufgeben und blind ihren Vorgaben folgen.

Welches Signal würden die Grünen setzen, wenn sie Horst Köhler wählen würden?

Ich habe gesagt: Als Erstes geht es um eine Entscheidung über Personen. Das meine ich auch so. Dazu kommt: Bei Wahlen der Bundesversammlung gibt es keinen 150-prozentigen Fraktionszwang, nicht einmal einen 100-prozentigen. Das funktioniert nicht. Ich will der Taktikfrage aber nicht ausweichen. Natürlich würde die Öffentlichkeit ein grünes Votum für Köhler als Signal für eine Jamaika-Koalition von Union, FDP und Grünen deuten. Das muss ich bedenken, aber davon muss ich mein Handeln nicht bestimmen lassen.

Wäre die Wahl Schwans ein Signal für Rot-Rot-Grün?

Die Entscheidung der Grünen wird keine versteckte oder offene Botschaft enthalten. Wir treffen damit keine Vorentscheidung für die politische Konstellation nach der Bundestagswahl. Wenn Gesine Schwan gewinnt, ist diese Republik einer rot-rot-grünen Regierung nicht näher als heute. In der Bundesversammlung gelten gänzlich andere Kriterien als im politischen Tagesgeschäft.

Erwarten Sie von den bisherigen Kandidaten, dass sie auf die Grünen zukommen oder werden sie die beiden zum Gespräch einladen?

Wir entscheiden über die Präsidentin oder den Präsidenten. Deshalb nehmen wir uns das Recht, beide Kandidaten zu uns einzuladen. Ich erwarte, dass beide kommen.

Sie glauben, dass ein amtierender Bundespräsident zur Fraktion der Grünen pilgert, die emotional ohnehin auf Seiten Gesine Schwans steht, und dort um seine Wiederwahl bittet?

Diese Wahl ist ein demokratischer Vorgang. Warum sollte Horst Köhler nicht zu uns kommen, wenn er eine zweite Amtszeit im Schloss Bellevue anstrebt? Nach der bayerischen Landtagswahl wird klar sein, dass er ohne die Stimmen der Grünen verliert.

Warum stellen die Grünen keine eigene Kandidatin oder eigenen Kandidaten auf?

Das ist noch offen. Es gibt aber auch keine dringende aktuelle Suche. Wir haben unser eigenes Tempo, lassen uns nicht von den anderen treiben.

Stünde Joschka Fischer zur Verfügung?

Das Amt entspricht seinem Naturell nun in gar keiner Weise. Dafür drängt es Joschka Fischer viel zu sehr, mit seiner direkten Art alle Grenzen von Ämtern zu sprengen. Wenn ihm etwas nicht liegt, dann sind es bloße Repräsentationsaufgaben.

Sie haben ihn auch nicht gefragt, ob er bereitstünde?

Nein. Glauben Sie mir: Staatsoberhaupt ist schlicht nicht sein Ding.

Die Grünen wollen mit ihrer Entscheidung noch bis zur Bayern-Wahl warten. Ist das nicht ein bisschen viel Taktiererei?

Wir sind da nicht so festgelegt, wie Sie meinen. Womöglich entscheiden wir uns auch früher. Wir erwarten von der Landtagswahl in Bayern den Beweis, dass die schwarz-gelbe Mehrheit in der Bundesversammlung Vergangenheit ist. Wir arbeiten in Ruhe und mit System. Ich wünsche mir ein geschlossenes Vorgehen der Grünen, und daran arbeite ich.

Gesine Schwan hat am Samstag auf dem Zukunftskongress der SPD gesprochen. Sind Sie überhaupt sicher, dass die Sozialdemokraten diese Kandidatur gegen die Warnungen der bürgerlichen Parteien vor einer Zusammenarbeit mit der Linkspartei geschlossen durchhalten?

Da kann man sich bei der SPD nie so hundertprozentig sicher sein. Die Wahl Gesine Schwans durch die Sozialdemokraten trägt Züge einer Selbstfindungsübung, die noch lange nicht abgeschlossen ist.

Machen die Grünen ihre Wahl auch davon abhängig, wie konstant die SPD in dieser Frage bleibt?

Es gibt nun eine Entscheidung der SPD für Gesine Schwan. Aber die Sozialdemokraten können viel kaputt machen, wenn sie hier keine Geschlossenheit zeigen und falsche Signale setzen. Die SPD muss sich zur Erkenntnis durchringen, dass sie eine Führung braucht, die auch führt. Die ist bislang nicht erkennbar. Das gilt nicht nur für die Präsidentenkandidatur. In dem Zustand, in dem die SPD sich gegenwärtig präsentiert, wird sie im Wahljahr 2009 keinen Erfolg haben.

Sie meinen: Mit Kurt Beck hat die SPD keine Chance?

Es übersteigt meine Fähigkeiten, mir Kurt Beck als Kanzlerkandidaten seiner Partei vorzustellen. Von seiner Autorität ist nichts mehr übrig. Die Art und Weise, wie seine Stellvertreterin Andrea Nahles mit ihm umgeht, zeigt deutlich, dass sie seine Führung letztlich nicht akzeptiert. Obwohl Kurt Beck eine zweite Amtszeit Köhlers wollte, hat Nahles Schwan gegen ihn durchgesetzt.

Warum sollte mit einem SPD-Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier alles besser werden?

Die SPD braucht eine klare Aufstellung. Sonst wird es nicht gehen. Man kann keinen Wahlkampf machen, wenn man nicht weiß, wo man inhaltlich hin will und wenn man keine eigene Idee hat. Es fehlt eine Vorstellung davon, wie eine moderne sozialdemokratische Politik im Jahr 2009 aussieht.

Nach all dem, was Sie nun beschrieben haben: Ist die SPD aus Sicht der Grünen derzeit in einem koalitionsfähigen Zustand?

Mein innigster Wunsch an die SPD ist, dass sie sich endlich sortiert und inhaltlich sowie personell wieder überzeugend aufstellt. Sonst besteht die reale Gefahr, dass sich die älteste demokratische Partei Deutschlands in ihre Einzelteile zerlegt.

Von der Suche nach einem Präsidenten zur Suche nach einem Vorsitzenden der Grünen: Ist der Job so unattraktiv, dass 13 Wochen nach dem Verzicht von Reinhard Bütikofer noch immer kein konsensfähiger Kandidat in Sicht ist?

Ich habe immer gesagt, dass dieser Prozess Zeit braucht. Jeder muss sich genau überlegen, ob er das Anforderungsprofil auch erfüllt. Im Lauf des Junis werden wir eine Entscheidung fällen. Wenn das Parlament in die Sommerpause geht, muss das klar sein.

Soll der neue Parteichef tatsächlich jünger sein, wie sich das der im Herbst scheidende Bütikofer gewünscht hat?

Ich habe immer dafür plädiert, auch Neuen oder Jüngeren eine Chance zu geben. Für mich steht die Frage des Generationswechsels aber nicht im Vordergrund, sondern die der Qualifikation. Das vorausgesetzt, ist es natürlich richtig, nach einem neuen Gesicht zu schauen.

Wie sieht das Profil aus?

Erfahrung gehört dazu. Es ist ein Amt, das für die Grünen sehr wichtig ist. Es geht darum, auch im Wahljahr Meinungsbildung zu organisieren, verschiedene Interessen zu koordinieren, dabei den Kontakt zur Parteibasis zu halten und sie zu beteiligen. Ein bisschen Hingabe für die konkrete Arbeit, die da jeden Tag anfällt, wäre schon sehr nützlich.

Ein Kandidat ist der Berliner Fraktionschef Volker Ratzmann. Ihm werfen manche Realpolitiker allerdings vor, er könne wegen seiner linken Vergangenheit diesen Parteiflügel nicht gut vertreten. Sie kennen Ratzmann. Stimmt der Vorwurf?

Nein. Ich bin fest davon überzeugt, dass man Menschen nach ihrer konkreten Arbeit beurteilen soll. Und Volker Ratzmann hat gezeigt, dass er es kann. Deshalb unterstütze ich seine Kandidatur.

Volker Ratzmann gilt als Ihr Ziehkind…

Ich habe keine Kinder…

…als Ihr politisches Ziehkind.

Das einzige Mal, dass ich Kinder hatte, war, als ich die Vormundschaft für zwei iranische Jungen übernahm, um sie vor der Ausweisung in ihre Heimat und dem Einsatz im Krieg zwischen Iran und Irak zu retten.

Es sind nicht wir, sondern Parteifreunde von Ihnen, denen diese Berliner Verbindung von Volker Ratzmann und Renate Künast nicht gefällt.

Da wird zu viel hineingeheimnist. Ich verstehe mich mit allen persönlich gut, die in der Diskussion für dieses Amt sind, und habe mit allen schon gut zusammengearbeitet. Wenn das ein Nachteil sein sollte, dann für alle, die nun im Gespräch sind.

Die Fragen stellten Stephan Haselberger und Hans Monath.


ZUR PERON:

Fraktionschefin
Gemeinsam mit Fritz Kuhn führt die Berlinerin die Bundestagsabgeordneten der Grünen. Er gilt als kluger Stratege, sie als zupackend.


Spitzenkandidatin

Bei den Grünen streiten zwei Parteichefs und zwei Fraktionschefs um Aufmerksamkeit. Seitdem klar ist, dass Künast und Jürgen Trittin im kommenden Jahr Spitzenkandidaten werden, scheint die Führungsfrage geklärt.

Parteifrau
Ein Jahr lang amtierte die heute 52-jährige Anwältin im Jahr 2000 als Parteichefin, bevor sie Ministerin wurde. Nun mischt sie sich als erste Spitzen-Grüne offen in die Debatte um den künftigen Parteichef ein.

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