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Grund zur Freude: Die Sozialdemokratin Mette Frederiksen, amtierende dänische Ministerpräsidentin, hat die Wahl am Dienstag gewonnen. 

© Foto: AFP/Martin Sylvest

Sozialdemokraten stärkste Kraft : Wie Frederiksen in Dänemark eine Regierung bilden will

Die Ministerpräsidentin hat zwar die Wahl gewonnen, muss sich aber entscheiden: Weiter mit einem Mitte-Links-Bündnis regieren oder eine große Koalition bilden?

Es klang eher wie eine Drohung als ein Angebot: „Wenn die Ministerpräsidentin sagt, sie will eine Regierung über die Mittellinie hinweg, dann hat sie das vielleicht nur gesagt, weil sie gern wieder Ministerpräsidentin sein will“, sagte der dänische Politiker Lars Løkke Rasmussen am Dienstag auf der Wahlparty seiner Partei, den „Moderaten“.

Er wisse aber auch: „Dänemark braucht eine neue Regierung“. Aus dem Mund eines ehemaligen Ministerpräsidenten, der mit einer gerade mal vier Monate jungen Partei gleich knapp zehn Prozent bei einer Wahl abräumte, ist das eine klare Ansage an die amtierende dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen.

Die Sozialdemokratin hat die vorgezogene Parlamentswahl in Dänemark am Dienstag mit 27,5 Prozent der Stimmen knapp gewonnen. Ihre Partei bekommt damit ganze zwei Mandate mehr als bei der vergangenen Wahl 2019 und ein mögliches Mitte-Links-Bündnis kommt so auf 90 von 179 Mandaten im dänischen Parlament.

Rasmussen, der im Vorfeld lange als möglicher „Königsmacher“ galt und keinem klassischen Block zugerechnet werden kann, wird für ein großes Mitte-Bündnis nun vielleicht gar nicht mehr benötigt.

Gewonnen hat Frederiksen auch deshalb, weil sie sich die Strategie ihres Konkurrenten Rasmussen zu eigen machte. Beide verfolgten eine Taktik „über die Mittellinie hinweg“. Kaum eine Formulierung wurde in diesem Wahlkampf öfter genutzt, vor allem von Frederiksen und eben auch Rasmussen. Es ist der Kampf um die Mitte, der den dänischen Wahlkampf geprägt hat. Dafür waren beide auch bereit, die so zuverlässigen Blockgrenzen zu überschreiten.

Rasmussen wollte sich mit seiner neuen Partei vorab gleich keinem der traditionellen Blöcke zuordnen lassen – so zum Zünglein an der Waage, zum Königsmacher werden, der die Agenda entscheidend mitbestimmen wollte. Frederiksen sprang auf den Mitte-Zug auf, indem sie eine Zusammenarbeit mit den bürgerlichen Parteien nicht ausschloss und in ihrem Wahlprogramm auf wirtschaftliche Sicherheit, eine bessere Gesundheitsversorgung und eine grüne Agenda setzte.

Unruhe im Parlament durch gespaltene Parteienlandschaft

Dass sich Dänemark ähnlich wie in Deutschland jetzt mehr auf die politische Mitte konzentriert, liegt wohl auch an neuen Parteigründungen an den Außenflügeln: Radikale grüne und rechte Forderungen haben die Parlamentsarbeit und den öffentlichen Diskurs im skandinavischen Staat destabilisiert.

Denn die Dän:innen mussten gut im Namenmerken sein, wollten sie bei diesem Wahlkampf noch mitkommen: 14 Parteien stellten sich zur Wahl, zwei davon gründeten sich erst in diesem Jahr. Bei der letzten Fernsehdebatte am Montagabend traten jeweils nur sechs Kandidat:innen an die Pulte – die anderen standen in zweiter Reihe dahinter und warteten, bis sie an der Reihe waren.

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Durch eine besonders niedrige Sperrklausel gibt es traditionell schon besonders viele Parteien im Folketing, dem dänischen Parlament. Vor der Wahl am Dienstag waren es bereits 13 Parteien, obwohl 2019 nur zehn Parteien gewählt wurden. Enttäuschte Abgeordnete rissen sich etwa von der grünen Partei „Die Alternative“ los und gründeten „Die Freien Grünen“.

Inger Støjberg, ehemaliges Mitglied der rechten „Dänischen Volkspartei“, gründete die rechtspopulistischen „Dänemarksdemokraten“. Als Ausländerministerin unter Lars Løkke Rasmussen trennte sie minderjährige Flüchtlingspaare rechtswidrig, wurde vergangenes Jahr zu einer Gefängnisstrafe verurteilt und aus dem Parlament geworfen.

Und dann ist da Rasmussen, der ebenfalls enttäuscht von seiner bürgerlich-wirtschaftsfreundlichen Partei „Venstre“ die „Moderaten“ gründete. Die Überläufer:innen bildeten neue Fraktionen und trieben die Anzahl der vertretenen Parteien im Folketing auf Rekordniveau.

Gegen den Rechtsruck: Deutsche GroKo als Vorbild für Dänemark?

Die Strategie, die Mitte zu betonen, ist deshalb nicht einfallslos. Sie bietet vielmehr Sicherheit, ein wichtiger Grundwert in dem wohlhabenden Land mit dem gut funktionierenden Wohlfahrtsstaat, bei dem die konkurrierenden Kandidat:innen nach der Fernsehdebatte gemeinsam mit dem Publikum Volkslieder singen.

Kooperationsfähigkeit und Fokus auf die Sache statt auf Ideologie sind dort wohlgelitten, deshalb funktionieren dort seit Jahrzehnten Minderheitsregierungen, die jeden Gesetzesvorschlag mit unterstützenden Parteien neu besprechen und verhandeln müssen.

Jetzt aber ist die Zeit reif für ein neues Modell: Die Große Koalition oder zumindest eine über Flügellinien hinweg. Was die Große Koalition in Deutschland vormachte und die Ampel mit der Zusammenarbeit zwischen wirtschaftsfreundlicher FDP und Grünen, die Wurzeln in der Anti-Atomkraftbewegung haben, fortführt, könnte auch bald im Norden Praxis machen. Denn die Außenkanten wachsen ohne Zweifel auch in Dänemark.

Zwar verlor die Dänische Volkspartei 6,1 Prozent, allerdings sind Rechtsaußen noch die „Neuen Bürgerlichen“ mit einem Zugewinn von 1,3 Prozent und eben Støjbergs „Dänemarksdemokraten“ mit rechten Meinungen und Betonung des Ländlich-Traditionellen vertreten. Støjbergs Partei kommt aus dem Stand auf über 8 Prozent, damit schafft die einst verstoßene Hardlinerin Støjberg am Dienstagabend einen triumphalen Wiedereinzug in den Parlamentssitz Christiansborg.

Comeback: Die rechte Hardlinerin Inger Støjberg der neuen „Dänemarksdemokraten“ ist nach einer Gefängnisstrafe und dem Rauswurf aus dem Parlament zurück in der Politik.

© Foto: AFP/Liselotte Sabroe

Am linken Rand sieht man grüne Ableger, die auf radikalere Klimapolitik pochen. Die sozialistische „Einheitsliste“ kritisiert dazu die restriktive Einwanderungspolitik des Landes. Frederiksen und Rasmussen bauen deshalb mutig auf die Mitte. Bloß nicht zu viel, zu laut oder zu radikal. Dass die Dän:innen gern Vertrautes wollen, zeigt allein das bessere Ergebnis der amtierenden Ministerpräsidentin.

Obwohl ausgerechnet diese noch vor wenigen Monaten in einen Politskandal verwickelt war. Eine Kommission hatte im sogenannten „Nerz-Report“ festgestellt, dass Frederiksens Staatssekretärin andere Ministerien dazu gedrängt hatte, die Nerzpopulation in Dänemark wegen einer möglichen Corona-Mutation keulen zu lassen – obwohl es dafür keine Gesetzesgrundlage gab.

Frederiksen zeigte daraufhin wenig Einsicht, wies sogar zurück, dass es sich überhaupt um einen Skandal handele. Normalerweise strafen die Wähler:innen in Dänemark so leichtfertigen Umgang mit dem Rechtsstaat ab – anscheinend aber schätzen sie Frederiksens selbstsichere und unbeirrbare Art in Zeiten von Krieg und Energiekrise.

Doch die dänische Mitte ist kaum vergleichbar mit der deutschen, Skandinavien erlebt fast parteiübergreifend einen Rechtsruck. Das beweist einerseits der Stimmungszuwachs am rechten Flügel. Andererseits fahren auch die dänischen Sozialdemokrat:innen um die Ministerpräsidentin eine harte Migrationspolitik, planen ein Asylaufnahmezentrum in Ruanda. Selbst eingereiste Asylbewerber:innen sollen von Dänemark in das afrikanische Land geschickt werden. Dass eine solche Idee überhaupt zur Diskussion steht, zeigt, wie salonfähig Hardliner-Ideen im Norden bereits sind.

Ob es nun tatsächlich zu einer neuen blockübergreifenden Großen Koalition kommt, ist unklar. Mit einer Stimme Mehrheit für das bisherige Mitte-Links-Bündnis könnte Frederiksen nun zwar traditionell innerhalb der Blockgrenzen weiterregieren. Oder eben ihr Wahlversprechen einer Regierung „über die Mittellinie hinweg“ einlösen.

Die Erfahrung zeigt: Die Dän:innen mögen Vertrautes. Auch, wenn es bei den Blöcken bleibt: Dieser Wahlkampf hat allein durch die Wählerwanderung von der eher konservativen Venstre hin zu Rasmussens neuer Zentrumspartei für eine neue Gewichtsverteilung in der dänischen Politik gesorgt.

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