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Verbalattacken: Spruchreif

Derzeit erregt der Nachwuchs-CDUler Philipp Mißfelder mit seiner Kritik an nikotin- und alkoholabhängigen Hartz-IV-Empfängern die Gemüter. Er ist dabei in guter Gesellschaft.

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Philipp Mißfelder hat Freunde im Geiste. Eine ganze Menge. Der Chef der CDU-Nachwuchsorganisation steht mit seiner jüngsten Kritik an nikotin- und alkoholabhängigen Hartz-IV-Empfängern nicht allein. Berlins scheidener Finanzsenator Thilo Sarrazin empfahl einst Beziehern des Arbeitslosengeldes II ein Mittagessen aus Bratwurst, Sauerkraut und Kartoffelbrei für 1,15 Euro und fügte hinzu, das kleinste Problem von Hartz- IV-Empfängern sei das Untergewicht. Damit wollte der zukünftige Bundesbank- Manager beweisen, dass 4,25 Euro völlig ausreichend für die Verpflegung seien. Ex-SPD-Chef Kurt Beck machte auf sich aufmerksam, als er einem Arbeitslosen empfahl, sich zu waschen und zu rasieren. Dann würde es mit einem neuen Job schon funktionieren. In seiner Zeit als CSU-Generalsekretär schlug Markus Söder vor, Langzeitarbeitslosen den Urlaub – das heißt, eine höchstens dreiwöchige Unerreichbarkeit für die Arbeitsvermittlung – zu streichen: „Das geht nicht. Das muss sich ändern“, meinte er.

Das so transportierte Bild der Hartz-IV- Empfänger ist eindeutig: arbeitsscheu, versoffen und erpicht auf immer höhere staatliche Leistungen ohne eigenes Zutun. Mit der Wirklichkeit der knapp sieben Millionen Betroffenen dürfte das in den meisten Fällen wenig zu tun haben. Die monatliche Grundleistung beträgt derzeit 351 Euro im Monat. Dazu kommen Miete und Nebenkosten. In einer Bedarfsgemeinschaft bekommen beide 90 Prozent des Regelsatzes, also zusammen gut 630 Euro. Einem Kind bis 14 Jahre gesteht der Gesetzgeber 60 Prozent von Hartz IV zu, also 211 Euro. Zum 1. Juli soll dieser Wert bei sieben- bis 13-Jährigen auf 70 Prozent steigen, also auf 246 Euro. Jugendliche erhalten schon jetzt 80 Prozent des Regelsatzes – 281 Euro. Künftig sollen Schüler einen Bildungszuschlag von 100 Euro im Jahr extra bekommen. Alleinerziehende erhalten zur Regelleistung noch einen Aufschlag von 36 Prozent. Somit käme eine Mutter mit einem Kind auf etwa 690 Euro. Eine Familie mit zwei Kindern könnte über 1060 Euro verfügen.

Dabei hat Mißfelders Kritik durchaus einen ernst zu nehmenden Hintergrund. Findet zumindest die Deutsche Kinderhilfe: Ihr Vorsitzender Georg Ehrmann sagte „sueddeutsche.de“, gerade in Hartz- IV-Familien sei ein großer Anteil der Eltern nikotin- und alkoholabhängig. In Deutschland lebten 2,1 Millionen Kinder in Haushalten von Alkoholikern. Brandenburgs Junge-Union-Chef Jan Redmann sprach von einer wichtigen Debatte: „Wir dürfen die Augen nicht davor verschließen, dass eine Reihe von Eltern die ihnen vom Staat für die Versorgung ihrer Kinder zur Verfügung gestellten Mittel nicht sachgerecht verwenden.“ Damit spielt Ehrmann vermutlich auf die Kindergelderhöhung in diesem Jahr an. Für die ersten beiden Kinder gibt es seit Januar zehn Euro im Monat mehr, vom dritten Kind an sind es 16 Euro mehr. Nur für Hartz-IV- Empfänger gilt das nicht. Denn das Kindergeld wird auf ihre Regelleistung angerechnet. Analog können Bezieher des Arbeitslosengelds II auch nicht von der Abwrackprämie profitieren – auch sie würde auf ihr Grundeinkommen angerechnet. Ausnahmen gibt es von dieser Regel selten. Eine ist der sogenannte Kinderbonus, der mit dem zweiten Konjukturpaket am Freitag vom Bundesrat beschlossen worden ist. Alle Bezieher von Kindergeld sollen im Frühjahr 100 Euro pro Kind zusätzlich bekommen. Dieser Bonus wird nach Auskunft des Arbeitsministeriums nicht mit Hartz IV verrechnet, „weil er konjunkturwirksam sein soll“, sagte eine Sprecherin.

Die Debatte über Sachleistungen für Kinder, von der Mitgliedschaft im Sportverein bis zur kostenlosen Nachhilfe, auf die Mißfelder sich nun zurückzieht, ist so alt wie Hartz IV. Auch die Caritas fordert sie, um die Chancengleichheit zu erhöhen. Doch bisher hat noch keine Regierung Sachleistungen einführen wollen.

Eine weiterführende Debatte um die Sache fand denn am Wochenende auch nicht statt. Mißfelder erntete hauptsächlich Aufforderungen zum Rücktritt oder doch mindestens zu einer Entschuldigung. „Ein gut abgesicherter Parteijugendfunktionär, der erst alte Menschen verhöhnt und dann Millionen Hartz-IV- Bezieher beleidigt, ist einfach untragbar“, erklärte der Fraktionsvize der Linken im Bundestag, Klaus Ernst. Er erinnerte dabei an eine frühere Äußerung Mißfelders im Tagesspiegel, wonach alte Menschen keine künstlichen Hüftgelenke mehr auf Kosten der Solidargemeinschaft bekommen sollten.

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