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Stammzelldebatte: Über Leben und Tod

Die Bundestagsdebatte um die Stammzellforschung wurde emotional geführt – und ohne Fraktionszwang. Ein abschließendes Ergebnis gibt es denoch nicht. Die Kluft zwischen "Menschenwürde" und einer "Ethik des Heilens" ist weiterhin groß.

Berlin - Es dürfte wenige Bundestagsdebatten gegeben haben, in denen die Redner so häufig auf zweierlei hinweisen zu müssen glaubten: auf ihr wissenschaftliches Expertentum und auf ihr ethisches Fundament. So erfuhren die Zuhörer am Donnerstag, dass es sich bei Ulrike Flach (FDP) um eine „intime Kennerin der Forschungsszene in Deutschland handelt“. Und dass Renate Schmidt (SPD) „gläubige Christin“ ist, der an der evangelischen Kirche „etwas liegt“. Michael Brand (CDU) argumentierte gar aus der Betroffenheit eines Menschen heraus, dessen Schwiegervater im Sterben liegt.

Es ging aber auch um Leben und Tod diesmal im Parlament. Um unheilbar Kranke und deren Hoffnung. Und um die Frage, wann Menschsein beginnt und geschützt sein muss. Die persönliche Note lag also nicht nur daran, dass für den Streit um embryonale Stammzellforschung die übliche Fraktionsdisziplin einmal außer Kraft gesetzt war. Sie lag im Thema selber. Und die Spanne spiegelte sich in den beiden Begriffen, die mit Abstand am häufigsten fielen – „Menschenwürde“ auf der einen, „Ethik des Heilens“ auf der anderen Seite. Schließlich müssen Embryonen für solche Forschung sterben. Andererseits versprechen Wissenschaftler sich und der Öffentlichkeit davon Erkenntnisse zur Heilung schwerer Krankheiten wie Parkinson oder Multiple Sklerose.

Nicht eingelöste „Heilsversprechen“ seien das, schimpften Liberalisierungsgegner wie Priska Hinz (Grüne) und Hubert Hüppe (CDU). Hinz und 128 Mitstreiter wollen den Stichtag zum Stammzellenimport im Jahr 2002 belassen. Hüppe und 34 andere wollen embryonale Stammzellforschung ganz verbieten.

Man möge doch bitte auf solche „Kampfbegriffe“ verzichten, bat Jörg Tauss (SPD) erfolglos. Man müsse ja noch streiten dürfen, hielt ihm Grünen-Fraktionschef Fritz Kuhn entgegen. Er fühle sich bei der Forderung von 184 Abgeordneten, den 2002 vereinbarten Stichtag nun auf den 1. Mai 2007 zu verschieben, jedenfalls „ein bisschen betrogen“. So fehlte es auch nicht an den anderen Schlagworten. Forschungsfeindlichkeit, Kriminalisierung, Dammbruch. Und auch die „Wanderdüne“ fand ins Parlament – als Warnung vor ständig neuen Stichtagsverschiebungen. Natürlich werde es nicht bei dem einen Mal bleiben, orakelte Unionsfraktionschef Volker Kauder. Thomas Oppermann, Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion und einer der 92 Befürworter kompletter Forschungsfreigabe, gab ihm Recht. Bei einer Verschiebung müsse man „vermutlich schon bald“ wieder nachlegen. Damit unterstelle man Verantwortungslosigkeit, ärgerte sich Forschungsstaatssekretär Thomas Rachel (CDU).

Am schärfsten argumentierte Wolfgang Wodarg (SPD), der die Liberalisierungsforderung als „letztes Zucken“ starrsinniger Forscher darstellte, die sich „auf dem Holzweg“ befänden. Auf der Gegenseite polemisierte Peter Hintze. Ethisch hätten Kranke für ihn „einen höheren Stellenwert als die achtenswerte Substanz, aus der ein Mensch entstehen kann“, so der frühere CDU-General. Kauder und sein CSU-Kollege Norbert Geis („Wir alle haben als Embryo angefangen“) stiegen derweil tief ins Geheimnis der Menschwerdung ein. Als der Fraktionschef den „Startschuss“ menschlichen Lebens bei der Vereinigung von Ei- und Samenzelle ortete, bangte Cornelia Pieper (FDP) auch gleich um die hart erkämpfte Fristenlösung bei der Abtreibung.

Verbots- wie Freigabebefürworter einte die Ansicht, dass es nur ein Entweder- Oder geben könne. Die andern verteidigten, je nach Fasson, ihren Kompromiss. Man sei schon weit genug in der „ethischen Grauzone“, mahnte Herta Däubler- Gmelin (SPD). Gerade um die ethisch unverdächtige, adulte Stammzellforschung voranzubringen, brauche man neue Zelllinien, warb hingegen Forschungsministerin Annette Schavan (CDU). Die Forscher müssten ja vergleichen können. Und das Ziel, keinen Anreiz zum Töten neuer Embryonen auszusenden, bleibe mit dem verschobenen Stichtag gewahrt.

Die ethisch schwierigsten Fragen stellte Ilse Aigner. Die CSU-Politikerin wollte wissen, wie man denn mit den Ergebnissen der hierzulande verbotenen Forschung aus dem Ausland umzugehen gedenke. Dürfen deutsche Forscher solches Wissen dann in ihre Forschung mit adulten Stammzellen einfließen lassen? Und soll der Gesetzgeber die daraus womöglich irgendwann doch erwachsenden Therapien deutschen Patienten verwehren? Darauf gab es in der engagiert geführten Debatte keine Antworten.

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