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Er blickt zu ihnen auf - zurück. Der Bundespräsident vor einem Gemälde aus seinem Amtssitz Schloss Bellevue. Es zeigt den Jakobinerclub von Landau.

© Verlag C.H. Beck

Vorkämpfer und Vorkämpferinnen im Porträt: Steinmeier macht Demokratiegeschichte

Der Bundespräsident hat einen Band mit 30 Porträts deutscher Republikaner:innen herausgegeben. Auch diese deutsche Geschichte solle sichtbar werden.

Wer kennt schon Adam von Itzstein? Dass er ein großer Unbekannter geblieben ist, hätte ihm selbst vermutlich sehr gefallen. Der 1775 in Mainz geborene Jurist kann als einer der ersten deutschen Berufspolitiker gelten. Aber er zog seine Kreise und Strippen lieber im Stillen. Was nichts damit zu tun hatte, dass er das Licht der Öffentlichkeit gescheut hätte, im Gegenteil:

Itzstein war ein überzeugter Demokrat. Mit mehr offener Politik wäre er aber damals sehr bald in einem der Gefängnisse gelandet, die in der Ära Metternichs, des Fürsten der europäischen Reaktion und antidemokratischen Repression, das Leben von Demokraten und Republikanerinnen verkürzten oder vernichteten.

Metternich übrigens hielt den geselligen Bonvivant Itzstein für “den gefährlichsten Mann der badischen Opposition”. Womit er aus seiner Sicht wohl nicht ganz falsch lag: Itzstein, als Student schon Mitglied des Mainzer Jakobinerclubs, wurde später zum wichtigsten Netzwerker und genialen Strategen des Vormärz, der in der Revolution von 1848 mündete.

Auch der Frankfurter Nationalversammlung von 1848/49 gehörte der über 70-Jährige noch an. Die Portorechnung der Unermüdlichen für die jährlich etwa tausend Briefe an Mitstreiter:innen soll zeitweise das Jahresgehalt eines Dorfschullehrers überstiegen haben.

Berufsrevolutionär dank Fürstenpension

Dass er sich ganz der Politik widmen konnte, hatte Itzstein seinem guten Frühruhestandsgehalt als Landesbeamter zu verdanken. Als ihn sein Fürst von Mannheim an den Bodensee abschieben wollte, erwirkte er seine Pensionierung. Mit seinem Weingut in Hallgarten im Rheingau besserte er seine Einkünfte noch deutlich auf. In Hallgarten versammelte Itzstein Gleichgesinnte und Freund:innen, die mit ihm für die Republik planten und das Leben im Idyll genossen.  

Die Geschichte Adam von Itzsteins ist eins von dreißig Porträts, die der Bundespräsident in Auftrag gegeben und jetzt in einem Buch herausgegeben hat. “Wegbereiter der Demokratie” erinnert an Männer und Frauen, die couragiert für Verfassungen, Parlamente, die Gleichheit von Mann und Frau kämpften und gegen Adelsvorrechte, Fürstenherrschaft und -willkür.

Neben Vergessenen wie Itzstein sind auch Ikonen der Demokratiegeschichte darunter: Der bei Wien exekutierte Leipziger linke Demokrat und Abgeordnete der Frankfurter Paulskirche Robert Blum, der Revolutionär und spätere US-Innenminister Carl Schurz, der sozialdemokratische Mitgründervater August Bebel.

Und etliche Demokratinnnen: Zum Beispiel die Schriftstellerin Caroline Schlegel-Schelling, die als Jakobinerin in Festungshaft genommen wurde, oder die Juristin Anita Augspurg, die im Wilhelminismus gegen das patriarchale Bürgerliche Gesetzbuch kämpfte.

Oder Louise Aston, ebenfalls Schriftstellerin, die die Scheidung ihrer Zwangsehe erzwang und mit ihrem freien Leben, in Hosen, rauchend und mehrfach die Männer wechselnd, selbst zeitgenössischen Frauenrechtlerinnen Angst machte. Bürgerlichere wie Louise Otto-Peters – auch ihr ist ein Porträt gewidmet – fürchteten, Frauen wie Aston erwiesen der guten Sache einen Bärinnendienst und verschreckten weniger radikale Frauen.

Das 31. Porträt ist das einer Stadt, quasi eine Hommage zwischen den Zeilen. In Mainz kreuzten sich die Wege vieler der demokratischen und revolutionären Köpfe von der Französischen Revolution bis 1848.  Vier kurze Monate lang war sie 1793 Ort der ersten Republik auf deutschem Boden.

Ein Buch als "Erinnerungsort der deutschen Demokratiegeschichte"

Drei Porträts im Buch gelten Menschen aus Mainz, neben Itzstein dem Liberalen Ludwig Bamberger, Bismarcks Mit- und späterem Gegenspieler. Eins der schönsten im Buch ist die Lebenskizze von Georg Forster, dem Weltreisenden, Naturforscher, schließlich Leiter der Mainzer Universitätsbibliothek und Kopf des kurzen Mainzer Aufbruchs von 1793.

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Für Forster war seine Weltumseglung mit James Cook 1792 bis 1795 auch eine demokratische Erfahrung. Auf den Inseln im Pazifik lernte er Herrschaft auf Zeit kennen und hierarchiefreie Gemeinschaften. Gegen Kants Behauptung unterschiedlicher Menschen-“Racen” nahm er nachdrücklich Stellung. Für ihn, der so viel mehr von der Welt gesehen hatte, war “die Natur des Menschen überall dieselbe”. 

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sagte bei der Vorstellung des Bandes am Dienstag, es gehe darum, einen Blick zurück zu werfen, um sich bewusst zu machen, “auf wessen Schultern wir in unserer Demokratie heute stehen und welche Opfer Menschen dafür gebracht haben”. Die 30 Männer und Frauen hätten weit mehr Wertschätzung verdient, als sie bisher erfahren haben.

Er wolle “mit diesem Buch einen körperlichen Erinnerungsort” der deutschen Demokratiegeschichte schaffen. Die Demokratie und ihre Gefährdung ist seit seinem Amtsantritt 2017 ein Grundthema der Amtszeit von Steinmeier. 

Als Redner der Buchvorstellung übrigens hatte Steinmeier einen gewonnen, der schon sehr lange auf den genannten Schultern steht: Der Christdemokrat Wolfgang Schäuble, bisher Bundestagspräsident, ist seit bald 50 Jahren Abgeordneter, so lange, sagte Steinmeier “wie niemand seit der ersten deutschen Nationalversammlung von 1848”. 

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