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Peter Neher, Präsident des Deutschen Caritasverbandes.

© dpa

Sterbehilfe in Deutschland: "Auch Leidende haben ein Lebensrecht"

Peter Neher, Präsident des Deutschen Caritasverbandes, fordert im Interview eine "qualitätsvolle Diskussion, die auch und vor allem nach dem Wert und der Würde des Lebens fragt".

Herr Neher, an diesem Donnerstag befasst sich der Bundestag in großer Debatte mit dem Thema Sterbehilfe. Was erhoffen Sie sich davon?

Ich erhoffe mir eine qualitätsvolle Diskussion, die auch und vor allem nach dem Wert und der Würde des Lebens fragt. Wir brauchen einen größeren Horizont, um uns bei diesem sensiblen Thema nicht im Klein-Klein zu verlieren.

Braucht es überhaupt eine Regelung? Die Tötung auf Verlangen ist bereits verboten, und die Bundesärztekammer droht Ärzten bei Suizidbeihilfe mit Berufsverbot …

Ich denke, dass es eine Gesetzeslücke gibt. Sie betrifft das, was als geschäftsmäßige Sterbehilfe bezeichnet wird, also die organisierte Sterbehilfe, ob kommerziell oder ohne Bezahlung. Hier ist die Kirche mit ihrer Caritas für ein Verbot. Gleichzeitig werden wir mit Grauzonen leben müssen, denn nicht jeder Umgang mit menschlichem Leid ist gesetzlich zu regeln.

Bisher galt die Devise, Suizide nicht öffentlich zu machen, da dies zur Nachahmung verleiten könnte. Droht dies nicht auch durch die gegenwärtige Debatte, in der man die Selbsttötung als möglichen Ausweg aus Leid und Entwürdigung darstellt?

Diese Sorge habe ich durchaus. Mit Blick darauf, dass 90 Prozent der Suizid-Gefährdeten mit psychischen Krankheiten zu kämpfen haben, finde ich es hochproblematisch, wenn die Selbsttötung zum Ausdruck letzter menschlicher Freiheit hochstilisiert wird. Das widerspricht allem, was wir über Menschen wissen, die Suizid begehen. Als sich der Fußballer Robert Enke das Leben nahm, gab es einen signifikanten Anstieg von Suizidfällen. Daher ist es wichtig, die Debatte verantwortungsvoll zu führen. Und dabei so klar zu sein, dass kein Zweifel am notwendigen Schutz auch sterbenden Lebens aufkommt.

Strittig ist vor allem die Beihilfe zur Selbsttötung, auch assistierter Suizid genannt. Was haben Sie dagegen, dass Ärzte unter strengen Voraussetzungen unheilbar Kranken beim Sterben helfen dürfen?

Aufgabe des Arztes ist es, Leben zu schützen, nicht Leben zu beenden. Da geht es für mich um ärztliches Ethos. Und wenn diese Tür geöffnet wird – das zeigen alle Erfahrungen aus Belgien, Niederlande, Luxemburg –, gerät der grundsätzliche Schutz des schwer kranken und sterbenden Lebens in Gefahr. Ich habe die Sorge, dass sich Menschen dann erklären und rechtfertigen müssen, die den Sterbeprozess als Teil ihres Lebens betrachten, und sie begründen müssen, warum sie nicht nach solcher Unterstützung verlangen. Die vermeintliche Freiheit des Einzelnen richtet sich dann ganz schnell gegen ihn.

Ein Argument ist, dass sich so der unwürdige Sterbe-Tourismus in freizügigere Länder wie die Schweiz stoppen ließe.

Die Frage ist doch: Was brauchen schwer kranke und sterbende Menschen? Viele haben Angst vor Schmerzen und Einsamkeit; sie schämen sich, auf andere angewiesen zu sein und wollen sich ihnen nicht zumuten. Es muss also darum gehen, die Menschen mit diesen Ängsten und Sorgen nicht alleine zu lassen und ihnen zu helfen, wo immer es geht. Darauf müssen wir unsere Aufmerksamkeit lenken. Wir müssen fragen: Wie steht es um die Sterbekultur in unseren Krankenhäusern, unseren Alten- und Pflegeheimen? Wie lässt sie sich verbessern? Vielen sind die Möglichkeiten der Palliativmedizin gar nicht bekannt. Und wir haben auf diesem Gebiet nach wie vor erhebliche Defizite, was die Qualifikation von Ärzten und Pflegepersonal betrifft. In manchen Regionen haben Schwerkranke kaum eine Chance, kompetente Schmerzmediziner oder eine ambulante Palliativversorgung oder ein Hospiz zu finden. Da ist großer Bedarf, den wir noch bei Weitem nicht abgedeckt haben.

Manche sagen, allein durch die Sicherheit, notfalls Suizidbeihilfe zu bekommen, ließen sich Selbsttötungen vermeiden.

Das ist hochspekulativ. Wir wissen aus Nachbarländern, wie inzwischen schwer kranke Kinder oder gar Strafgefangene in den Blick kommen, an die ursprünglich sicher nicht gedacht war. Es gibt immer Einzelfälle, die hochproblematisch und bitter sind. Aber wir müssen uns hüten, allein von diesen Fällen her eine allgemeine gesetzliche Regelung zu schaffen.

Sie befürchten, dass der Einzel- zum Regelfall würde und dadurch Druck auf alte und kranke Menschen entsteht?

Es gibt Erwachsene, die von Geburt an, durch Krankheit oder einen Unfall ein Leben lang angewiesen sind auf andere, die nie allein auf die Toilette gehen können und immer gewickelt werden müssen. Wie wollen Sie diesen Menschen und ihren Angehörigen gegenüber denn darstellen, dass solche Hilflosigkeit im Sterben als Begründung dafür akzeptiert wird, mit fremder Hilfe aus dem Leben zu scheiden? Was ist das für ein Menschenbild, Leidenden implizit das Recht auf Leben abzusprechen? Und wer hat im Leben nicht schon selbst existenziell erfahren, auf andere verwiesen zu sein? Müssen wir uns für all das künftig rechtfertigen?

Früher hat die Kirche Selbstmörder verdammt, sich sogar geweigert, sie auf ihren Friedhöfen zu begraben. Befürchten Sie nicht den Vorwurf, die Kirche lasse die Menschen mit ihrem rigorosen Nein zur Sterbehilfe in ihrer Not allein?

Humanwissenschaftliche Kenntnisse, warum sich Menschen das Leben nehmen, haben Gottseidank dazu geführt, dass die Kirche hier inzwischen ganz anders denkt. Insofern glaube ich schon, dass man uns abnimmt, dass es uns um den Wert und die Würde des  Lebens geht und darum, Menschen nicht allein zu lassen; sie vielmehr auch in einer solchen Phase des Lebens zu unterstützen und zu begleiten.

Dennoch, Sie vertreten eine Minderheitenposition. 79 Prozent der Deutschen wollen, dass ärztliche Hilfe beim Suizid erlaubt wird.

Ich kenne diese Umfragen, sie machen mich betroffen. Es ist aber ein großer Unterschied, in welcher Lebenssituation Sie Menschen befragen. Bei einem, der noch gesund und bei besten Kräften ist, fällt die Antwort anders aus als bei Schwerstkranken oder Sterbenden. Das habe ich in meiner Arbeit als Klinikseelsorger selbst erlebt. Auch die Sterbeforschung hat herausgefunden, dass sich Verzweiflung, Auflehnung und stilles Loslassen von einem Tag auf den andern abwechseln können. Die Ängste jedes Einzelnen sind ernst zu nehmen, keine Frage. Aber meine Antwort ist eben nicht: Dann reichen wir ihm den Schierlingsbecher. Sondern: Dann helfen wir, das Sterben würdevoll und als Teil des Lebens zu gestalten.

In den Krankenhäusern ist passive Sterbehilfe, etwa durch das Abschalten eines Beatmungsgeräts oder durch die Gabe lebensverkürzender Beruhigungs- und Schmerzmitteln, inzwischen alltäglich. Sehen Sie auch hier Regelungsbedarf?

Solches Gewährenlassen ist, auch wenn sich der Sterbeprozess dadurch schneller vollzieht, ethisch und menschlich legitim. Ich denke auch, dass dies verantwortlich geschieht. Wir müssen nur wachsam sein, dass daraus nicht verkappt eine Form aktiver Sterbehilfe entsteht.

Peter Neher ist Präsident des Deutschen Caritasverbandes. Das Gespräch mit ihm führte Rainer Woratschka.

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