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Stimmen mit Gewicht: Union und FDP ändern Wahlrecht

Die Koalition hat sich nach langem Hin und Her auf eine Wahlrechtsreform verständigt. Der schwarz-gelbe Vorschlag sieht nach Tagesspiegel-Informationen vor, die bisher bei der Stimmenverteilung übliche Verbindung der Landeslisten einer Partei abzuschaffen.

Berlin - Es hat ein bisschen gedauert, die vom Bundesverfassungsgericht vorgegebene Frist kann nicht eingehalten werden, aber nun haben sich die Fachleute in der schwarz-gelben Koalition auf einen Entwurf für die von Karlsruhe geforderte Wahlrechtsreform geeinigt. Am Dienstag soll er in den Bundestag eingebracht werden, die erste Lesung kann so noch vor Ablauf der gesetzten Frist am 30. Juni stattfinden. Endgültig abstimmen wird der Bundestag aber wohl erst im September. Seit Wochen hatten die Wahlrechtsexperten der Union und der FDP berechnet, wie sie der Forderung des Verfassungsgerichts nachkommen könnten, den Effekt des „negativen Stimmgewichts“ auszuschalten, ohne sich dabei größere Probleme zu schaffen.

Der schwarz-gelbe Vorschlag sieht nach Tagesspiegel-Informationen nun vor, die bisher bei der Stimmenverteilung übliche Verbindung der Landeslisten einer Partei (was quasi einer Bundesliste gleichkommt) abzuschaffen. Damit fällt der Effekt des negativen Stimmgewichts weitgehend weg. Die Länder bekommen jeweils ein Sitzkontingent zugeteilt, das sich nach der Wahlbeteiligung richtet.

Das negative Stimmgewicht ist eine versteckte Besonderheit, das aus der Verbindung von Mehrheits- und Verhältniswahl im Bundestagswahlrecht rührt und eng mit dem Phänomen der Überhangmandate zusammenhängt. Es kann dazu führen, dass ein Wähler mit seiner Zweitstimme seiner Partei nicht nutzt, sondern schadet – weil bei der Verrechnung der Stimmen über alle Landeslisten hinweg der Effekt eintreten kann, dass mehr Stimmen einer Partei zu weniger Mandaten führen. Auch der umgekehrte Effekt ist möglich: weniger Stimmen, mehr Mandate. Umstritten ist, wie stark sich dies in der Realität eines Wahlsonntags auswirkt – die Karlsruher Richter gingen von eher wenigen Mandaten aus.

Überhangmandate bleiben aber nach dem Modell von Union und FDP bestehen und sollen auch nicht direkt ausgeglichen werden (wie das bei den Landtagen die Regel ist). Sie entstehen, wenn eine Partei in einem Land mehr Direktmandate gewinnt, als ihr nach den Zweitstimmen an Gesamtmandaten für dieses Land zusteht. Berechnungen anhand der Wahl von 2009 (mit 24 Überhangmandaten für CDU und CSU) ergaben, dass durch einen solchen Ausgleich der Bundestag, je nach Modell, um einige Dutzend oder gar mehr als 200 Abgeordnete vergrößert würde.

Allerdings brächte eine strikte Trennung der Landeslisten ein Problem vor allem für die kleineren Parteien: Reststimmen, die für die Vergabe eines Mandats in einem Land nicht mehr reichen, bisher aber dank der bundesweiten Verrechnung zu einem großen Teil mitzählten, würden unter den Tisch fallen. Das will Schwarz-Gelb, auf Drängen der FDP, nun vermeiden. „Wir haben uns geeinigt, im neuen Wahlrecht eine Reststimmenkorrektur vorzunehmen“, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Peter Altmaier, dem Tagesspiegel am Sonntag.

Das bedeutet, dass – wenn alle Sitze in den Ländern verteilt sind – die Reststimmen der Parteien aus den Ländern bundesweit addiert und daraus weitere Sitze zugeteilt werden, und zwar an die Landeslisten, welche die meisten Reststimmen einer Partei aufweisen. Klingt kompliziert, bedeutet aber, dass Kleinparteien auch in kleineren Bundesländern die Chance haben, einen Sitz zu bekommen.

„Wir haben uns strikt auf die Beseitigung des negativen Stimmgewichts konzentriert“, rechtfertigte Altmaier den Verzicht auf einen Ausgleich der Direktmandate. Diesen Ausgleich fordert vor allem die SPD. „Mit unserem Vorschlag wird eine Aufblähung des Bundestags vermieden“, sagte Altmaier. Durch die Reststimmenkorrektur ergebe sich aber eine „leichte Milderung des Effekts der Überhangmandate“.

Den Vorschlag, auch aus der FDP, die Zahl der Direktmandate zu reduzieren, um das Problem der Überhangmandate (die immer Direktmandate sind) zu verringern, wies Altmaier zurück. Dafür müssen die Wahlkreise völlig neu zugeschnitten werden, ein Vorgang, der erfahrungsgemäß schon im Kleinen erheblichen Streit verursacht. Altmaier hält das daher für problematisch. „Die letzte Wahlkreisreform fand ja erst Ende der 90er Jahre statt. Ich bin der Meinung, dass es der Stabilität einer Demokratie nicht dient, wenn man ständig Neuzuschnitte der Wahlkreise vornimmt.“

Schwarz-Gelb will die Wahlrechtsreform für eine weitere Neuerung nutzen. Gegen die Nichtzulassung von Wahllisten soll bereits vor der Wahl geklagt werden können. Dazu soll ein „vorgelagerter Rechtsschutz“ eingeführt werden.

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