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In den Großstädten sind die Rettungsstellen oft überlastet - doch ob dagegen eine Gebühr hilft?

© Hollemann/dpa

Bagatellen in Notaufnahmen: Gebühren für Notaufnahme lösen nicht das Problem

Der Chef der Kassenärztlichen Vereinigung will Gebühren für Patienten, die sich mit Bagatellen an Kliniken wenden. Das trifft aber im Zweifel die Falschen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Hannes Heine

Vielleicht ist es angemessen, in diesem Fall mit dem Positiven zu beginnen, also mit dem Sinnvollen des jüngsten Vorschlags vom Vorsitzenden der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Andreas Gassen hat als Standeschef der 150 000 niedergelassenen Mediziner, die gesetzlich Versicherte versorgen, Folgendes angeregt: Menschen, die mit Bagatellleiden in die Rettungsstellen der Krankenhäuser kommen, sollen eine Gebühr zahlen. Sie gehörten dort nicht hin, blockierten aber Platz und Kapazitäten für wirkliche Notfälle.

Dies ist zwar schwieriger umzusetzen, als es sich anhört, verhilft aber einem bekannten Problem zu neuerlicher Aufmerksamkeit. Das deutsche Gesundheitssystem, das ist bekannt, setzt falsche Anreize. Gassens Vorschlag fordert abermals auf, nachzufragen, warum Kliniken von den Krankenkassen nur 35 Euro pro Patient erhalten, wenn dieser – ob nach 30 Minuten oder drei Stunden – die Rettungsstelle wieder verlässt. Im Schnitt bräuchte die Klinik 120 Euro pro ambulanten Fall, um nicht dauernd ins Minus zu rutschen. Darüber sind sich fast alle einig. Fragen ließe sich zudem, warum ein Praxisarzt oft so bezahlt wird, dass es sich auch für ihn nicht lohnt, wenn er einen Patienten versorgt, der ohne Termin, vielleicht außerhalb der üblichen Sprechzeiten, in die Praxis kommt.

Im Alltag kommen Patienten unter anderem deshalb mit Bagatellen in die Rettungsstellen der Krankenhäuser, weil die Arztpraxen in der Regel am späten Nachmittag, am Wochenende, an Feiertagen geschlossen sind. Was nicht bedeutet, dass niedergelassene Mediziner den Einsatz scheuen, sondern dass das System engagierte Praxisärzte nicht belohnt.

Was ist mit unklaren Symptomen bei Kindern und Senioren?

Doch nun zur begrenzten Praxistauglichkeit von Gassens Vorschlags. Wer ist ein echter Notfall, und wem droht nach Gassens Vorschlag eine Gebühr? Was geschieht mit Eltern, die mit einem Kleinkind auftauchen, dessen Atembeschwerden sich zwar als Erkältung herausstellen, aber auch eine gefährliche Lungenentzündung hätten sein können? Was ist mit alleinstehenden Senioren, die am Freitag in die Klinik laufen und deren chronische Magenleiden zwar besser vom Hausarzt beobachtet werden sollte, die aber so angegriffen sind, dass sie bis zum nächsten Montag zu dehydrieren drohen? Was ist mit denen, die agil sind, aber weder in den Feiertagen zum Jahresende noch in den Wochen danach einen Termin beim niedergelassen Arzt bekommen – sollen diese Menschen warten, bis sie echte Notfälle werden?

Ein etwaige Gebühr kann kaum lösen, was bislang schiefgelaufen ist. Im Zweifel bestraft sie (auch) die Falschen. Wer daran festhalten möchte, dass die Kliniken hauptsächlich schwere, die Praxen leichtere Fälle behandeln, muss für die niedergelassenen Ärzte endlich Anreize schaffen, die üblichen, seit Jahrzehnten bestehenden Sprechzeiten auszuweiten, womit Gassen selbst zum Handeln aufgerufen ist. Oder aber man rüstet die Kliniken so auf, dass sie all die Patienten versorgen können, die derzeit in keine Praxis wollen – oder können.

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