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Die neue EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc.

© dpa

Streit um Pkw-Maut: Brüssel will CSU-Projekt eingehend prüfen

Die EU-Kommission will "sehr sorgfältig" prüfen, ob die Ausländermaut mit dem EU-Recht vereinbar ist. Vor allem die Verrechnung der Maut mit der Pkw-Steuer könnte Anlass für Kritik liefern.

Violeta Bulc bereitet ihren großen Auftritt vor. Am 2. Dezember will die 50-jährige Slowenin im Verkehrsausschuss des EU-Parlaments die Schwerpunkte ihrer künftigen Arbeit darlegen. Die deutsche Pkw-Maut wird zweifellos dazugehören.
Seit Anfang November ist Bulc EU-Verkehrskommissarin. Und damit muss die Politikerin, die den Liberalen zugerechnet wird, bewerten, ob der Vorschlag aus dem Haus von Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) mit dem EU-Recht vereinbar ist. Zunächst einmal muss sich die Slowenin aber einarbeiten und Brüsseler Fachvokabular lernen wie ITS (Intelligente Transportsysteme), TEN-T (Transeuropäische Netze) oder ERTMS (Europäisches Schienenverkehrs-Managementsystem).

Dass sich Violeta Bulc nun mit derartigen Kürzeln beschäftigt, war alles andere als absehbar. Denn eigentlich war in der EU-Kommission, wo jedes Mitgliedsland einen Kommissarsposten besetzen darf, an ihrer Stelle eine andere Slowenin für einen Brüsseler Spitzenjob vorgesehen. Ursprünglich sollte die ehemalige Ministerpräsidentin Alenka Bratusek für das Projekt der EU-Energieunion die Federführung in der Kommission übernehmen und dort einen der Vizepräsidenten-Posten übernehmen. Weil Bratusek aber in der Anhörung vor dem EU-Parlament durchfiel, rückte Bulc an ihrer Stelle nach. EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker nahm nach ihrer Nominierung in Ljubljana noch eine kleine Ressort- Rochade vor, und die ehemalige Entwicklungsministerin Bulc rückte – nach bestandenem Hearing vor den Abgeordneten – auf den Posten der Verkehrskommissarin.

Bulc kann Aufenthalt in Schamanismus-Akademie vorweisen

Statt der politischen Prioritäten der ehemaligen Unternehmensberaterin, die als Quereinsteigerin erst im September den Weg in die Politik fand, wurden in Brüssel zunächst die persönlichen Vorlieben der Slowenin kritisch beäugt. Die sportbegeisterte Bulc, die früher im jugoslawischen Frauenbasketballteam stand, kann unter anderem auch einen Aufenthalt in einer schottischen Schamanismus-Akademie vorweisen. Dies führte in Brüssel unter einigen EU-Abgeordneten zu der Frage, ob der Hang zur Esoterik bei der Frau, die auch schon einmal über Glasscherben und glühende Kohlen läuft, für das Amt nicht doch etwas zu ausgeprägt sei. Bei ihrem Hearing im EU-Parlament kamen derartige Vorbehalte dann aber gar nicht erst zur Sprache. Und so hat Bulc ihr neues Amt aufgenommen und begonnen, die unterschiedlichen Themen in ihrem Verkehrsdossier zu wälzen. Ihre wichtigste Beraterin ist dabei die Slowenin Marjeta Jager, die auch mit dem Thema der deutschen Pkw-Maut dank ihrer Arbeit im Kommissionsapparat bestens vertraut ist. Jager war bisher Direktorin in der Generaldirektion für Mobilität und Transport und leitet nun das Kabinett von Bulc. Eine entscheidende Bedeutung für den Austausch mit den Interessenvertretern in der europäischen Verkehrspolitik dürfte Bulcs Landsmann Matej Zakonjsek bekommen. Und schließlich muss man sich im Umfeld von Bulc auch den Namen von Désirée Oen merken. Die Flämin mit asiatischen Wurzeln war schon bei Bulcs Amtsvorgänger Siim Kallas stellvertretende Kabinettschefin und bleibt auch weiter auf diesem Posten.

Ex-Verkehrskommissar Kallas löste Verwirrung aus

Kallas war es auch gewesen, der in jener Oktoberwoche, als Dobrindt in Berlin sein Maut-Konzept vorstellte, einige Verwirrung auslöste. Kurz vor Ende seiner Amtszeit hatte Kallas nämlich eine vorläufige Bewertung der deutschen Pkw-Maut auf seiner Webseite veröffentlicht und dem Projekt bescheinigt, es gehe in die „richtige Richtung“. Dadurch war in Berlin der Eindruck entstanden, Brüssel werde am Ende an der Maut nichts mehr herumzunörgeln haben. Doch inzwischen heißt es aus der EU-Kommission, dass die Brüsseler Behörde „sehr sorgfältig“ prüfen werde, ob die Pkw-Maut den EU-Grundsatz der Nicht-Diskriminierung erfüllt. Nach diesem Grundsatz dürfen Ausländer bei der Maut nicht schlechter gestellt werden als Deutsche.
Doch genau das passiert nach der Ansicht vieler Kritiker bei der Pkw-Maut. Der Grüne Michael Cramer, der den Verkehrsausschuss leitet, ist nicht allein mit seiner Auffassung, dass die Abgabe gegen das Prinzip der Gleichbehandlung verstoße. Auch der niederländische Christdemokrat Wim van de Camp, der zu den Vertretern der konservativen EVP-Fraktion im Verkehrsausschuss gehört, hält nichts von den Mautplänen aus dem Nachbarland. Dobrindts Vorschlag stehe nach wie vor „im Widerspruch zu den Regelungen des EU-Binnenmarktes“, findet van de Camp. Zwar hält der Niederländer es für einen Fortschritt, dass der CSU-Verkehrsminister anders als ursprünglich geplant nicht mehr die Pkw-Fahrer auf deutschen Bundesstraßen und nur noch die Autobahnnutzer bei der Maut zur Kasse bitten will. „Aber wer von den Niederlanden nach Münster fährt, benutzt in Deutschland auch überwiegend die Autobahn“, argumentiert van de Camp.

1:1-Verrechnung wirft europarechtliche Probleme auf

Die EU-Kommission wird die Ausländer-Maut vor allem deshalb kritisch begutachten, weil die Halter von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen ihre Mautgebühr über die Pkw-Steuer wieder zurückerstattet bekommen sollen. Bevor Dobrindt seinen Vorschlag vorlegte, hat in Brüssel dreimal eine Arbeitsgruppe mit Vertretern der EU-Kommission und des Bundesverkehrsministeriums getagt. In den Diskussionen wiesen die Kommissionsbeamten darauf hin, dass die beiden Systeme der Pkw-Maut und der Kfz- Steuer unabhängig nebeneinander bestehen müssen, damit die Maut mit dem EU-Recht vereinbar ist. Sprich: Eine 1:1- Verrechnung von Maut und Kfz-Steuer zugunsten der deutschen Autofahrer wirft nach dem Europarecht erhebliche Probleme auf. In der EU-Kommission wollen die Beamten jetzt erst einmal abwarten, wie demnächst der Berliner Kabinettsbeschluss zur Maut aussieht. Und außerdem, heißt es in der Brüsseler Behörde sibyllinisch, gebe es möglicherweise auch im Bundestag noch Änderungen.

Dieser Text erschien in der "Agenda" vom 11. November 2014 - einer neuen Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie im E-Paper des Tagesspiegels lesen.

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