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Entspannt zur Fassnacht: Ministerpräsident Stefan Mappus kann in aller Ruhe beobachten, wie der Widerstand gegen Stuttgart 21 erlahmt.

© dpa

Stuttgart 21: Der gezähmte Widerstand

Sie hatten es geahnt: Nach der Schlichtung durch Heiner Geißler würde nichts mehr so sein wie zuvor. Der Massenprotest gegen Stuttgart 21 ebbte ab, obwohl sich am Problem wenig geändert hat. Manche wollen weitermachen. Sie sagen: Uns bleibt nichts anderes übrig.

Das Spiel wiederholt sich seit Monaten. Demonstrieren die Gegner des Bauprojektes Stuttgart 21 wie beinahe jeden Samstag seit fast einem Jahr in der Innenstadt, zählen die Veranstalter weit mehr Teilnehmer als die Polizei. Vergangenen Samstag beispielsweise sprachen Erstere von 39 000 Demonstranten – die Behörden allerdings von 13 000. Obwohl es zur Taktik der jeweiligen Seite gehört, fällt auf, dass die Kluft immer größer wird. So als ob die Köpfe des Protestes die Massen noch derartig bewegen könnten wie im vergangenen Herbst. So aber ist es nicht mehr.

In einem Café im ersten Stock des Bonatzgebäudes, gefährdete Heimat des Stuttgarter Hauptbahnhofs, sitzt an einem Vormittag im Februar Matthias von Hermann und möchte nichts davon wissen, dass der Widerstand gegen Stuttgart 21 schon gebrochen sei. Dass er im Gegenteil wieder stärker werde und weitergehe, sagt er. Eine Zeit lang noch zumindest.

Von Hermann ist ein dünner Mann mit schmalem Gesicht, 37 Jahre alt, randlose Nickelbrille, am Handgelenk eine Uhr mit Greenpeace-Schriftzug. In deren Namen hat er früher Castor-Transporte blockiert und eine Geldstrafe wegen Nötigung kassiert. Bis zum vergangenen Sommer war er Kommunikationschef bei einem Mittelständler in Stuttgart. Dann wurde ihm gekündigt – betriebliche Gründe. Seitdem ist von Hermann „Vollzeit-Pressesprecher“ der Parkschützer, einer Gruppierung, die innerhalb der breiten Protestbewegung gegen Stuttgart 21 eine treibende Kraft ist. Sie wollen vor allem die mehr als 200 uralten Platanen im Stuttgarter Schlosspark schützen, die im Zuge der Bauarbeiten fast alle gefällt werden sollen.

Von Beginn an war dieser Park ein symbolträchtiger Ort des Widerstands. Und nicht ohne Zufall erreichte der Protest gerade hier eine neue Dimension.

Als hier am 30. September 2010 die Polizei Wasserwerfer gegen Demonstranten einsetzte, Dutzende verletzt wurden, unter ihnen Dietrich Wagner, dessen Bild durch die bundesdeutsche Presse ging. Ein alter Mann mit zerrissenen Lidern, dem das Blut aus den gequollenen Augen in den Bart läuft. Ein Foto wie aus einem Kriegsgebiet. Ein Wasserstrahl traf ihn direkt ins Gesicht.

Wenige Tage später fand in Stuttgart die bis dahin größte Kundgebung statt. Mit mehr als 100 000 Menschen. Und Stuttgart 21, das schwäbische Bahnprojekt, schaffte es bis in die thailändischen Abendnachrichten. „Das war natürlich fantastisch“, sagt von Hermann rückblickend. Zu der Zeit habe man gedacht, man sei am Ziel. Stuttgart 21 sei tot und müsse nur noch begraben werden, 16 Jahre nach dessen Beschluss. Ein großer Sieg engagierter Bürger über die Obrigkeit. Dann aber kam es doch anders.

Von Hermann sagte damals in die Kameras, dass Ministerpräsident Stefan Mappus an diesem Tag sein wahres Rambo-Gesicht gezeigt habe. Die Verantwortlichen von Stuttgart 21, die Landesregierung um Mappus, die Bahn um ihren Chef Rüdiger Grube und Stuttgarts Oberbürgermeister Wolfgang Schuster, mussten dem Druck der Bevölkerung und auch den Medien Tribut zollen. In irgendeiner Weise. Sonst würde es eng werden um ihr Prestigeprojekt.

Eine Schlichtung sollte stattfinden – mit dem ehemaligen CDU-Generalsekretär Heiner Geißler als Schlichter. Alle Fakten sollten offengelegt werden, im großen Sitzungsraum des Stuttgarter Rathauses, um endlich die Transparenz herzustellen, die seit Beginn des Projektes 1994 bemängelt wurde. Drinnen diskutierten sie, sieben Samstage lang, besprachen technische Details, hörten Gutachten; an Flipcharts dokumentierten Vertreter der Gegner und jene der Befürworter Kalkulationen über Kosten mit Filzstift. Sie taten es wie Schüler – unter dem gestrengen Blick des Lehrers Geißler. Doch während all dessen ebbte draußen auf der Straße die Protestwelle ab.

„So was Ähnliches hatten wir davor schon befürchtet“, sagt von Hermann. Die Parkschützer blieben deshalb der Schlichtung fern. Auch weil die Bahn nicht auf ihre Forderung eingegangen war, während der siebenwöchigen Schlichtungszeit auf weitere Bauarbeiten zu verzichten. Man glaubte nicht daran, auf diesem Wege eine Lösung zu finden, und druckte stattdessen lieber ein paar Hunderttausend neue gelbe Anti-Stuttgart-21-Aufkleber.

Die allein aber, das ist auch von Hermann bewusst, werden Stuttgart 21 nicht zu Fall bringen. Der „arbeitslose Idealist“, wie ihn die Stuttgarter Regionalausgabe der „Bild“ nennt, arbeitet deswegen zwölf Stunden am Tag, sechs Tage die Woche dafür, dass der Protest wieder stark wird wie in seinen besten Zeiten. Dass er sich vom großen „Protestknick“, wie von Hermann die Wochen nach der Schlichtung nennt, wieder erholt.

Aber, das spürt von Hermann, es hat sich etwas verändert. „Damals“, sagt er, „war der Protest etwas ganz Neues.“ Und spätestens nach dem Abriss des Nordflügels im August sei es ein Volksaufstand geworden. In dem ganz Stuttgart entdeckt habe, dass man etwas bewegen könne als Bürger. Alle seien dabei gewesen. „Auch die fein gerichteten Damen aus den Halbhöhenlagen standen vorne mit am Zaun.“

Nun seien der Elan, dieses Engagement und auch die Leichtigkeit einem gewissen „Widerstandsalltag“ gewichen.

Immer noch aber, sagt von Hermann, sei er guter Dinge. Und voller Überzeugung für „K 21“, einen Kopfbahnhof, die Alternative der Gegner, welche die einzig richtige und vernünftige sei. Eine Überzeugung, für die er auch in den Knast gehen würde für eine Weile. Vielleicht.

Ganz so weit würde Gangolf Stocker nicht gehen wollen. „Man muss sich schon noch bewusst sein, dass es um einen Bahnhof geht“, sagt er nuschelnd am Besprechungstisch in Büro 015 im Erdgeschoss des Stuttgarter Rathauses. Stocker ist sozusagen der dienstälteste Gegner von Stuttgart 21. Kurz nachdem die Deutsche Bahn und die baden-württembergische Landesregierung, damals noch unter Erwin Teufel, eine erste Machbarkeitsstudie für das Projekt öffentlich präsentierten, ging Stocker in den Widerstand, verteilte 300 000 Flugblätter an fast alle Haushalte Stuttgarts. Lange Zeit war es für ihn ein Widerstand im Hintergrund. Seit er aber bei der Schlichtung oft zu sehen und hören war, ist er ein prominentes Gesicht der Bewegung. Ein kleiner Mann von 66 Jahren, der eigentlich Maler ist, seit über einem Jahr aber kein Bild mehr gemalt hat, sondern vor allem Schreckensszenarien entwarf. Am Revers seines grünen Hemdes hängt ein Anstecker mit der Aufschrift „Mutbürger=Wutbürger“. Ob er auf Wut und Mut weiterhin setzt? Und für wie lange noch?

„Na ja,“ sagt Stocker und verzieht den Mund zu einem Lächeln, „bei mir reicht die Vorstellungskraft nicht aus, dass es nicht klappt.“ Sein Mitstreiter im freien Wählerbündnis und bei der Schlichtung, Hannes Rockenbauch, ein idealistischer 26-Jähriger, betritt das Büro. Es ist Montag und die letzte Demo erst zwei Tage her. Stocker wendet sich unvermittelt vom Gesprächspartner ab. Dann ruft er durch den Raum: „Hast’ das mitbekommen? Die haben da am Samstag ein richtig schönes Feuerwerk gezündet am Schluss.“ Rockenbauch zieht die Augenbrauen hoch und fragt: „Echt?“ Dann streckt er den Daumen nach oben und sagt mit Lachen in der Stimme: „Super!“

Stocker sagt: „Die Stimmung ist unverdrossen gut.“ Er macht eine kurze Pause. „Aber die Schlichtung hat uns schon viele Leute abgegraben.“ Zwar konnten dort auch die Gegner ihre Position klarer machen, „um damit unsere Argumente ins letzte Wohnzimmer zu tragen“. Aber das Empörungspotenzial hat gelitten. Auch weil die Gegner sich am Ende enttäuscht zeigten von Heiner Geißler. Dessen Schlichterspruch von ihnen als schlichter Spruch bezeichnet wird.

Die Umfragen in der Stadt sprachen eine klare Sprache. So waren kurz vor der Schlichtung 51 Prozent gegen, nur 26 für das Projekt. Kurz nach den Verhandlungen, Ende November, hatte sich das Stimmungsbild drastisch gewandelt: Nur noch 38 Prozent waren nun gegen, 54 schon für das Projekt. Was sich bis heute nicht mehr geändert hat.

Außerdem zeigten sich Abnutzungserscheinungen bei immer mehr ehemals begeisterten Demonstranten. „Die wollen halt am Wochenende ihr Privatleben mal wieder nicht nur mit Stuttgart 21 verbringen“, sagt Stocker. So könnte zusehends nur noch ein harter und wesentlich kleinerer Kern übrig bleiben. „Bei vielen Menschen geht es aus dem Bauch heraus“, sagt Stocker. „Die, fürchte ich, werden irgendwann abspringen.“

Spätestens wohl nach der Landtagswahl Ende März, glaubt er wie alle anderen führenden Gegner auch. Sollte die CDU sie doch noch für sich entscheiden, obwohl es noch bis vor kurzem nicht danach aussah, würde die Ernüchterung über den Idealismus siegen. Oder zumindest der Realismus. Denn dass dann, wie Stocker meint, die Proteste trotzdem wieder aufflammen, sobald die Regierung und die Bahn die bis zur Wahl auf Eis gelegten Bauarbeiten wieder aufnähmen, ist eher wenig wahrscheinlich.

Stocker schaut auf die Uhr. Er muss noch die letzte Großveranstaltung für den Tag vor der Wahl vorbereiten. „Mir zumindest bleibt halt nichts anderes übrig, als weiterzumachen. Ich würde ja gerne mal wieder was anderes machen. Vielleicht ein Bild malen.“

Wahrscheinlich ist es sehr schwierig zu begreifen, nach fast 17 Jahren, dass man viel mehr nun nicht mehr tun kann.

Drei Kilometer Luftlinie entfernt von Stocker sagt Matthias von Hermann, dass auch er weitermachen wird. Dann sagt er aber noch, dass es für ihn auch langsam dringend an der Zeit wäre, nach einem Jahr Arbeitslosigkeit, wieder einen neuen Job zu suchen. Weil jener als Sprecher der Parkschützer nicht auf die Dauer fürs Überleben reiche.

Wenn aber nun die CDU gewänne, eine Volksabstimmung dann nicht käme in den nächsten fünf Jahren der Legislaturperiode und auch die Bahn immer weiter und weiter baue, „dann wird es wohl doch einfach weniger werden und irgendwann aufhören“. Er allerdings werde dann wegziehen aus Stuttgart.

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