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Systemwechsel: Gesundheitspolitik: Ein Preis für alle

Die Kommission zur Finanzreform des Gesundheitswesens trifft sich am Mittwoch zu ihrer ersten Sitzung. Das Ziel der Regierung: ein Systemwechsel hin zu Kopfpauschalen. Welche Vorbilder gibt es da?

An diesem Mittwoch um 15 Uhr trifft sich die Kopfpauschalen-Kommission der Bundesregierung zum ersten Mal. In der Landesvertretung Niedersachsen sollen die acht beteiligten Minister und ihre Staatssekretäre den Weg weisen in ein neues Finanzierungssystem für die gesetzliche Krankenversicherung. Die einkommensabhängigen Beiträge sollen nach und nach ersetzt werden durch einkommensunabhängige Pauschalen, der Sozialausgleich soll dann über das Steuersystem erfolgen.

Die Frage, ob und wie das möglich ist, entzweit nicht nur Regierung und Opposition. Auch im Regierungslager, insbesondere beim CDU-geführten Finanzministerium, gibt es heftige Bedenken gegen die Pläne von Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP). Da lohnt der Blick über den Tellerrand. In zwei europäischen Ländern nämlich gibt es bereits Krankenversicherungssysteme mit einkommensunabhängigen Beiträgen – samt eines steuerfinanzierten Ausgleichs für einkommensschwächere Bürger. Und diese Länder – die Schweiz und die Niederlande – haben mit ihrer „Kopfpauschale“ je nach Gestaltung auch unterschiedliche Erfahrungen gemacht.

Welche Rolle spielt der Wettbewerb?

In beiden Ländern sind Wettbewerb und Wahlfreiheit wichtig. Entscheidend allerdings ist dabei: Weder in der Schweiz noch in den Niederlanden gibt es das deutsche Nebeneinander von gesetzlicher und privater Krankenversicherung. Die Schweizer hatten es auch vorher nicht, die Holländer haben es kurzerhand abgeschafft.

Die Fusion der beiden Säulen zu einer Pflichtversicherung für alle Einwohner, gegen die sich Schwarz-Gelb in Deutschland bei allem Reformwillen nach wie vor mit Vehemenz stemmt, war ein Kernelement der holländischen Reform. Nette Nebenwirkung: Durch die Zusammenlegung sanken die Verwaltungskosten der Versicherer ganz erheblich. Gleichzeitig wird in den Niederlanden aber mit strenger Steuerung darauf geachtet, dass das Solidarprinzip nicht untergraben wird. Dafür steht der Begriff des „gelenkten Wettbewerbs“. Und dem Wettbewerbsgedanken widerspricht es aus holländischer Sicht offenbar auch nicht, dass sich dort inzwischen die vier größten Versicherer fast 90 Prozent des Marktes untereinander aufteilen.

Was ist mit den Arbeitgeberbeiträgen?

In ihrem Koalitionsvertrag haben Union und FDP vereinbart, den Arbeitgeberanteil zur gesetzlichen Krankenversicherung einzufrieren. In den Niederlanden hat man darauf verzichtet. Die eine Hälfte der Kassenausgaben wird dort über kassenspezifische Pauschalbeiträge, die andere Hälfte über einkommensabhängige Beiträge an einen zentralen Fonds finanziert. Diesen Beitragsanteil tragen bei Erwerbstätigen die Unternehmer. Sie bleiben damit auch bei dem erwarteten Anstieg der Gesundheitsausgaben, etwa durch die demografische Entwicklung, mit im Boot. In der Schweiz bringen die Versicherten ihre Beiträge ohne Arbeitgeberbeteiligung auf, es handelt sich ausschließlich um Pauschalen. Das Risiko von Ausgabensteigerungen tragen also komplett die Versicherten.

Wie werden nicht-erwerbstätige Ehepartner behandelt?

Anders als bisher in Deutschland sind sie in beiden Ländern nicht kostenlos mitversichert, sondern voll beitragspflichtig. Im Koalitionsvertrag ist das Thema ausgespart. Gesundheitsminister Rösler hat betont, dass er sie weiterhin kostenfrei mitversichert lassen möchte. Offen ließ er allerdings, mit welcher Rechtfertigung dies in einem Pauschalsystem überhaupt noch möglich wäre. Schließlich soll die Einkommensumverteilung dann ja ausschließlich über das Steuersystem erfolgen – und die beitragsfreie Mitversicherung von Ehegatten ist nichts anderes als eine Einkommensumverteilung.

Wie werden Kinder mitversichert?

Für Eltern gibt es hier in beiden Ländern Hilfen. In der Schweiz gibt es drei verschiedene Pauschalen: für Kinder bis 18, für junge Erwachsene bis 25 und für den Rest der Bevölkerung. In den Niederlanden werden sie zumindest für die unter 18-Jährigen durch den Steuerzahler finanziert – unabhängig vom jeweiligen Versicherteneinkommen.

Wie kommt ein Sozialausgleich zustande?

Ohne diesen Ausgleich, das ist allen klar, kann es keine Kopfpauschale geben. In den Niederlanden erfolgt nach einer speziellen Formel, die dreierlei berücksichtigt: die Höhe des durchschnittlichen Pauschalbeitrags, den gesetzlichen Mindestlohn und das jeweilige Haushaltseinkommen über diesem Mindestlohn.

Dabei zeigt sich ein Problem: Bereits 70,4 Prozent aller holländischen Haushalte (5,1 Millionen) benötigen inzwischen einen entsprechenden Zuschuss (Stand 2008). 2006 waren es noch 68,5 Prozent (4,9 Millionen Haushalte). Die Summe, die das Land für den Sozialausgleich aufbringen muss, stieg von 2,5 auf 3,4 Milliarden Euro im Jahr. Zuständig dafür sind die Finanzämter, die Bürger werden schriftlich über ihren Anspruch informiert, müssen ihn aber beantragen.

Für Deutschland hat Rösler einen „automatischen“ Ausgleich ohne Antragsverfahren angekündigt, allerdings offengelassen, wie das möglich sein soll.

In der Schweiz ist die Sache noch komplizierter als in Holland. Es gibt 26 verschiedene Regelungen, je nach Kanton. Entscheidend ist das Haushaltseinkommen. Die Quote der Empfänger liegt zwischen 24 Prozent im Kanton Solothurn und 78 Prozent in Obwalden, im Durchschnitt erhalten den Ausgleich 38 Prozent der Bürger. Mal geschieht dies auf Antrag mit eigener Initiative, mal wird auf den Anspruch hingewiesen. Unterschiedlich ist, wohin die „Prämienverbilligung“ fließt. Teils wird das Geld direkt an die Versicherten, teils an die Versicherer ausgezahlt.

Welche Probleme gibt es?

Die steigenden Gesundheitsausgaben führen zu steigenden Pauschalen und immer mehr Ausgleichsansprüchen. In den Niederlanden war man von Anfang an großzügig mit dem Sozialausgleich. Untersuchungen zufolge stellten sich so 80 Prozent der Bürger besser. Nun wird geprüft, wie man den Ausgleich wieder begrenzen kann. Zudem gibt es offenbar hohe Außenstände. Viele Bürger sind nicht versichert oder bezahlen ihre Beiträge nicht. Neuerdings wird daher überlegt, den Pauschalenanteil an den Beitrag wieder zu verringern.

Problematisch ist auch der Bürokratieaufwand. Um einen wirksamen Sozialausgleich hinzubekommen, muss man fairerweise alle informieren. Und man benötigt individuelle Versichertenkonten sowie genaue Informationen zum Gesamteinkommen der Haushalte. Allerdings: Eine Bürgerversicherung, wie von SPD und Grünen gefordert, wäre, da dabei alle Einkommensarten berücksichtigt werden sollen, ähnlich aufwendig.

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