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Taliban-Angriff in Kabul: Trügerische Sicherheit

US-Diplomaten spielen den Großangriff der Taliban in Kabul herunter. Der Abzugsplan steht auf dem Spiel.

Fast 20 Stunden haben sechs schwer bewaffnete Angreifer Kabul in Angst und Schrecken versetzt. Trotz massiver Kontrollen war es den Militanten gelungen, sogar das Nato-Hauptquartier und die US-Botschaft mit Panzerfäusten zu beschießen. Erst am Mittwochmorgen um 8.30 Uhr konnten Sicherheitskräfte die bisher wohl längste Terrorattacke in Afghanistans Hauptstadt beenden. Der Großangriff, bei dem 24 Menschen getötet wurden, hat weitere Zweifel am Abzugskonzept der Nato geschürt – und genau das dürfte das Ziel der Militanten gewesen sein.

Die psychologischen Folgen des Angriffs in Kabul sind fatal. Die Afghanen verlieren den Glauben, dass ihre Sicherheitskräfte das Land schützen können. Aber genau darauf fußt der Nato-Plan: Afghanistan soll bis Ende 2014 selbst für seine Sicherheit sorgen, damit die ausländischen Truppen abziehen können. In Kabul sind die Afghanen bereits zuständig. Entsprechend mühten sich Nato-Obere und US-Vertreter am Mittwoch darum, die afghanischen Sicherheitskräfte zu loben und den Terrorangriff herunterzuspielen.

Das sei „keine sehr große Sache“ gewesen, sondern vielmehr ein „Zeichen der Schwäche“ der Militanten, wiegelte US- Botschafter Ryan Crocker ab. Am Vortag hatte er sogar erklärt, nicht etwa Terror, sondern die ewigen Verkehrsstaus seien Kabuls größtes Problem. Viele Afghanen und auch Ausländer sehen das jedoch völlig anders. „Haben die Crack genommen oder was“, höhnte eine westliche Diplomatin in Kabul. Jeder könne sehen, dass das Land immer unsicherer werde. Die Zahl der Anschläge steige ebenso wie die der toten Soldaten und Zivilisten. „Ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen“, erzählte auch der 37-jährige Afghane Bahram Sarwary der Agentur AFP. „Wenn die Leute so was sehen, können sie doch unseren Sicherheitskräften nicht vertrauen.“

Zwar haben die USA und ihre Verbündeten ihre Truppen inzwischen auf 140 000 aufgestockt, dennoch scheinen sie den 25 000 Taliban-Kämpfern nicht wirklich beizukommen. In Afghanistan wird kein konventioneller Krieg geführt, bei dem sich zwei Armeen gegenüberstehen, sondern ein Guerilla-Krieg – und der lasse sich militärisch kaum entscheiden, warnen Analysten seit Jahren. An Friedensgesprächen führe kein Weg vorbei, um das Blutvergießen zu stoppen. Die USA sollen angeblich nun eingewilligt haben, dass die Taliban bald ein politisches Büro im Golfstaat Katar eröffnen dürfen. Dies ist nicht ohne Hintersinn: Washington will die „Quetta-Schura“ um den einäugigen Taliban-Chef Mullah Omar offenbar aus der Umarmung Pakistans lösen, das diesem zwar Zuflucht gewährt, sich dafür aber massiven Einfluss ausbedingt.

Eine spannende Frage ist daher, wer wirklich hinter der jüngsten Attacke steckt. Zwar haben Mullah Omars Leute den Anschlag für sich reklamiert, aber im Terrorgeschäft schmückt man sich auch schon mal mit fremden Federn. US-Botschafter Crocker glaubt das Haqqani- Netzwerk hinter der Attacke, das Pakistans Geheimdienst ISI nahestehen soll. Hat Pakistan seine Finger im Spiel, lässt dies nichts Gutes ahnen: Dann scheinen die „Verbündeten“ Washington und Islamabad derzeit auf Konfrontationskurs zu steuern, was die Zukunft Afghanistans angeht. Zumindest afghanische Sicherheitskräfte meinten, „todsichere“ Beweise zu haben, dass die Angreifer aus Pakistan kamen: Einige Cashewnüsse, die man in ihrer Nähe fand, hätten „pakistanisch“ geschmeckt, erklärte ein Polizist.

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