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Politik: Tausende fliehen aus umkämpftem Lager

Tote bei Beschuss eines Hilfskonvois im Libanon

Beim Beschuss eines Hilfskonvois der Vereinten Nationen sind im Palästinenserlager Nahr al Bared in Tripoli im Norden des Libanon am Dienstag mehrere Menschen getötet worden. Dabei soll es sich um zwei Bewohner des Lagers und möglicherweise einen UN-Mitarbeiter handeln. Sechs weitere Menschen wurden verletzt. Hunderte Lager-Bewohner sollen den Lastwagen und den Tankwagen umringt haben, die dringend benötigte Hilfsgüter in das seit Sonntag umkämpfte und von der Außenwelt abgeschnittene Lager bringen sollten. Wer den Konvoi beschossen hatte, blieb unklar. Angesichts der anhaltenden Kämpfe im Norden des Libanon sind inzwischen tausende Zivilpersonen auf der Flucht. Sie verließen am Dienstagabend in Strömen das Lager Nahr al Bared.

Bis zum Dienstag waren bei den Kämpfen mindestens 29 Soldaten und etwa 20 Milizionäre getötet worden. Hinzu kommt eine unbekannte Anzahl ziviler Opfer. Mufti Salim Lababidi, das sunnitische Oberhaupt der Palästinenser im Libanon, geht von rund 100 getöteten oder verwundeten Zivilisten aus. Am Dienstag rief die islamistische Splittergruppe Fatah al Islam, die sich seit Sonntag erbitterte Kämpfe mit der libanesischen Armee liefert, eine einseitige Waffenruhe aus – sie hielt jedoch nur etwa eine Stunde.

Am Montagabend hatte das libanesische Kabinett von Ministerpräsident Fuad Siniora der Armee die Erlaubnis erteilt, die Splittergruppe militärisch zu zerschlagen. Ein Sprecher der Fatah al Islam hatte zuvor angedroht, die Kämpfe auf ganz Libanon auszuweiten. Er hatte in einem Telefoninterview jedoch bestritten, dass seine Gruppe hinter den zwei Bombenanschlägen in Beirut stehe, bei denen ein Mensch getötet worden war.

Fatah al Islam ist eine relativ neue radikale Gruppe, die sich im vergangenen Herbst in dem Flüchtlingslager in Tripoli etabliert hat. Sie scheint keinen Rückhalt bei der Bevölkerung zu haben, denn alle Vertreter der großen Palästinenserorganisationen haben sich von ihr distanziert. Bei einem Treffen mit Siniora boten sie der Regierung Hilfe im Kampf gegen Fatah al Islam an, forderten die Regierung jedoch auch auf, Rücksicht auf die Zivilbevölkerung in dem Lager zu nehmen. Dennoch wächst die Gefahr von Unruhen in den weiteren elf Lagern im Libanon, in denen etwa die Hälfte der etwa 400 000 Palästinenser des Landes leben. Der Sprecher der Fatah im Libanon, Sultan Abu Ainain, warnte vor Ausschreitungen in den Lagern, falls die libanesische Armee ihre „ziellose Bombardierung“ des Lagers in Tripoli fortsetze.

Die Tatsache, dass eine kleine radikale Gruppe eine derartige Krise hervorrufen kann, macht deutlich, wie instabil die Lage im Libanon ist. Die Ziele der Fatah al Islam sind obskur. Am Sonntag hatte der Sprecher der Gruppe erklärt, das Ziel sei die Befreiung der Al-Aksa-Moschee in Jerusalem. Doch der Führer von Fatah al Islam, Shakir al Abssi, hatte in einem Interview mit der „New York Times“ im März erklärt, die Gruppe wolle amerikanische Ziele außerhalb des Irak treffen. „Es ist unser Recht, sie (die Amerikaner) zu Hause anzugreifen, so wie sie unsere Häuser angreifen“, sagte er.

Al Abssi ist palästinensischer Herkunft und wurde in Jordanien wegen des Anschlags 2002 auf den Mitarbeiter von US-Aid, Laurence Foley, zum Tode verurteilt. Er saß wegen der Planung von Terroranschlägen drei Jahre lang in Syrien in Haft. Nach seiner Freilassung im vergangenen Jahr ging er in den Libanon. Das Palästinenserlager Nahr al Bared habe er sich als Standort ausgewählt, weil „die Menschen hier ebenso leiden wie ihre Brüder in Palästina und daher Gott nahe sind“, sagt er in dem Interview. Experten schätzen, dass al Abssi 150 bis 200 gut ausgebildete und entschlossene Kämpfer um sich versammeln konnte, die aus verschiedenen arabischen Ländern stammen.

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