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Politik: Teheran als Sündenbock?

Experten widersprechen den Vorwürfen, Iran torpediere die Lage im Irak

Zuletzt war es der Topterrorist Abu Mussab al Sarkawi, der Iran eine massive Einmischung im Irak und in die am Sonntag anstehende Wahl vorwarf. Damit befindet er sich in illustrer Gesellschaft: Washington und die von ihr eingesetzte irakische Staatsführung beschuldigen Iran seit Monaten, die Entwicklung im Irak zu torpedieren. Und der enge Verbündete der USA, König Abdallah von Jordanien, sagte, Iran wolle einen „schiitischen Halbmond“ von Libanon über den Irak bis nach Iran aufbauen. Teheran reagierte empört.

Ohne Frage verfolgt Iran wie andere Nachbarländer des Irak seine eigenen Interessen. Dazu gehört auch die finanzielle Unterstützung bestimmter Gruppen. Doch Analysten in Teheran verweisen darauf , dass Iran im Gegensatz zu den sunnitischen Nachbarstaaten wenig Gründe hat, die Entwicklung zu behindern. So hat Iran die irakische Interimsregierung anerkannt und sich für die Wahlen ausgesprochen, lange bevor die arabischen Staaten sich dazu durchringen konnten. „Warum sollte Iran den politischen Prozess torpedieren, der wahrscheinlich die Schiiten an die Macht bringen wird“, fragt der iranische Professor für Geopolitik, Pirouz Mojtahedzadeh, der einen Teil des Jahres in London lehrt. „Demokratie im Irak kommt angesichts der schiitischen Bevölkerungsmehrheit automatisch Iran zugute.“ Eine bestimmte Nähe zwischen Schiiten beider Länder bedeute noch lange nicht, dass Iran darauf hinarbeite, ein Theologenregime im Irak zu installieren. „Weder die iranische Staatsführung noch eine schiitische Gruppe im Irak fordert dies“, sagte er dem Tagesspiegel. Die schiitischen Geistlichen im Irak lehnten es traditionell ab, eine politische Rolle zu übernehmen. Die Annahme, die Schiiten des Irak seien automatische Verbündete des Regimes in Teheran, zeuge von Unwissen. Der iranische Politikwissenschaftler Hamid Bovand weist darauf hin, dass sich viele schiitische Gruppen im Irak deutlich von Iran distanzieren. Außerdem wäre es seiner Ansicht nach nicht im Interesse Teherans, einen zweiten Gottesstaat im Nachbarland zu etablieren. „Das würde automatisch zu Konkurrenz führen.“ Auch den Vorwurf, Iran schleuse Millionen Schiiten in den Irak, damit sie an den Wahlen teilnähmen, weist sein Kollege Mojtahedzadeh zurück. Im Süden Irans lebten Hundertausende irakische Schiiten, die jetzt teilweise zurückkehren. Außerdem nähmen viele iranische Schiiten die Chance wahr, die heiligen Stätten im Irak zu besuchen. „Dort liegen Nadschaf und Kerbela.“ Außerdem seien es die USA gewesen, die die Grenzen des Irak geöffnet hätten. Die USA seien daran interessiert, die Animositäten zwischen Iran und dem Irak aufrechtzuerhalten, lautet seine Analyse der Vorwürfe. Und das sei ein gefährliches Spiel, warnt er.

Wenn auch arabische Staaten wie Jordanien Vorwürfe gegen Iran erheben, so sieht Bovand darin nur einen Beweis für deren eigene Unsicherheit. „Sie fürchten sich vor der politischen Entwicklung im mehrheitlich schiitischen Irak. Um davon abzulenken, greifen sie Iran an.“ Die Islamische Republik sei ein „perfekter Sündenbock“, weil sie aufgrund der dualen politischen Struktur nicht immer mit einer Stimme spreche, räumt er ein.

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