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Dalai Lama

© dpa

Interview: "Tibet ist ein Teil Chinas"

Der Dalai Lama spricht im Tagesspiegel-Interview über Gewalt und Gegengewalt, das Ausbluten einer Kultur und seine Vision von der Autonomie.

Heiligkeit, in Tibet herrscht Pressezensur. Ihre Exilregierung sagt, bei den jüngsten Unruhen seien mehr als 200 Tibeter getötet, über 1000 verletzt und mehr als 5000 verhaftet worden. Wie ist jetzt die aktuelle Menschenrechtssituation in Tibet?

Die Menschenrechtslage in Tibet ist grundsätzlich schlecht und zwar schon immer. Als die Demonstrationen am 10. März begonnen hatten, gingen die chinesischen Sicherheitskräfte brutal dagegen vor. Es kam zu Schießereien.

Wer hat denn mit der Gewalt angefangen – Tibeter oder die Chinesen?

Da gibt es zwei Versionen. Am besten wäre es, wenn einmal eine neutrale, internationale Kommission alle Details untersuchen könnte – und zwar direkt vor Ort. Danach müsste medizinische Hilfe für die Verletzten geleistet werden. Ich weiß nur, dass es viele Tote gab. Aber die genauen Ursachen kenne auch ich nicht.

Sie selbst haben ja mit Rücktritt gedroht. Das kann doch nur heißen, dass auch Tibeter an der Gewalt beteiligt waren.

Das ist nicht neu in Tibet: Auch früher schon gab es gewalttätige Auseinandersetzungen in unserem Land. Auch unter den Tibetern gibt es Hitzköpfe. Aber in den letzten Jahren haben sich die Tibeter weitgehend gewaltfrei benommen. Aber dieses Mal sind zuerst Mönche festgenommen worden. Ich kenne einen alten Abt eines Klosters. Dieser friedliche Mann wurde festgenommen und brutal geschlagen. Er hatte lediglich die chinesische Regierung darum gebeten, die Festgenommenen freizulassen. Es gibt viel Folter.

Sie haben den Chinesen „kulturellen Völkermord“ vorgeworfen – ein starker Vorwurf. Was aber heißt das konkret?

Was die Chinesen in Tibet machen ist – absichtlich oder unabsichtlich – tatsächlich ein kultureller Völkermord. Nur noch wenig junge Leute dürfen in die Klöster. Früher hatten wir tausende Mönche. Heute nur noch wenige hundert. Unsere Klöster haben Nachwuchssorgen. Es gibt auch keine erfahrenen theologischen Lehrer mehr. Unsere Kultur und unsere Religion werden ausgeblutet. Außerdem werden die wenigen Mönche politisch indoktriniert und einer Art Gehirnwäsche unterzogen. Tibetische Geschichte darf selbst an der Universität in Lhasa nicht mehr gelehrt werden. Unsere Studenten dürfen keine Tempel mehr besuchen. Hinzu kommt, dass die Tibeter im eigenen Land bald eine Minderheit sind. In Lhasa gibt es schon viel mehr Chinesen als Tibeter. Das tägliche Leben der Tibeter muss sich nach den Chinesen richten. Die tibetische Sprache wird in Tibet kaum noch benutzt. Unser kulturelles Erbe stirbt. Wenn sich tibetische Mönche der chinesischen Umerziehung widersetzen, kommen sie ins Gefängnis.

Warum sind Sie auch nach den jüngsten Ereignissen davon überzeugt, dass die Politik der Gewaltfreiheit in Tibet erfolgreicher ist als eine Politik der Gewalt, die von immer mehr jungen Tibetern gefordert wird?

Es gibt einige wenige Gruppen die Gewalt befürworten, aber es sind wirklich nur ganz wenige. Das ist in der Tat eine kritische Situation. Meine Position ist klar: Gewalt ist gegen die menschliche Natur. Wenn man Gewalt anwendet, kann das gewalttätige Reaktionen auslösen. Schauen Sie auf den Irak-Krieg der USA oder auf Afghanistan. So kann man doch keine Konflikte lösen. Vielleicht stecken gute Absichten hinter der Irakpolitik – aber die Resultate sind eine Katastrophe.

Warum schreien Chinas Politiker jedes Mal auf, wenn Sie von einem deutschen Politiker empfangen werden? Wieviel Truppen hat der Dalai Lama? Warum haben die Chinesen soviel Angst vor Ihnen? Der Bundestagspräsident musste sich zum Beispiel eine Stunde lang von Chinas Botschafter beschimpfen lassen, weil er gewagt hatte, Sie zu empfangen.

Ich weiß es nicht. Vielleicht können Sie mal die Chinesen fragen, vielleicht bekommen Sie eine Antwort.

Warum ist Ihnen denn ein Treffen mit den deutschen Politikern so wichtig?

Ich freue mich natürlich darüber, dass ich mich mit vielen Persönlichkeiten treffen kann. Zum Beispiel habe ich mich sehr gefreut über das Gespräch mit der Bundeskanzlerin letztes Jahr ... darüber war ich sehr glücklich. Es tut mir leid, dass nach diesen Gesprächen deutsche Politiker immer Schwierigkeiten bekommen. Mein Hauptanliegen bei diesen Gesprächen ist, dass wir glücklichere Menschen und glücklichere Gesellschaften auf dieser Erde werden. Als religiöser Führer und Mönch will ich in erster Linie die Harmonie unter den Menschen fördern. Und dafür brauche ich die Kommunikation mit den verschiedenen Gesellschaften. Nur dann gibt es positive Fortschritte. Diese positiven Veränderungen müssen vom einzelnen Menschen und ihren Familien ausgehen. Dann wird die ganze Welt harmonischer.

Was ist das Ziel der Verhandlungen, die Ihre Vertreter jetzt mit Vertretern der chinesischen Regierung führen?

Bis zum letzten Jahr haben wir seit 2002 mit der chinesischen Regierung bereits sechs Gespräche am Runden Tisch geführt. Leider hat nur ein Gespräch, das fünfte, Fortschritte gebracht. Dabei hat China zum ersten Mal anerkannt, dass ich für Tibet keine Selbstständigkeit als eigenes Land anstrebe, sondern lediglich kulturelle und religiöse Autonomie. Leider hat sich das rasch wieder geändert, und die Beschimpfungen gegen mich wie Lügner und Teufel gehen jetzt wieder munter weiter. Ich bin halt der Prügelknabe der chinesischen Regierung. Aber zum Glück gehen die Gespräche trotzdem weiter. Auch Präsident Hu will weitere Gespräche. Die Chinesen waren nicht zuletzt durch die weltweiten Proteste sehr beeindruckt. Dieser Druck hat uns sehr geholfen.

Außenminister Steinmeier will eher die stille Diplomatie mit den Chinesen pflegen, also ohne Sie zu empfangen. Kann es sein, dass er durch seine stille Diplomatie mehr erreicht als durch einen öffentlichen Empfang des Dalai Lama?

Das ist natürlich ausschließlich seine Entscheidung. Ich glaube, Außenminister Steinmeier weiß selbst am besten, wie er Tibet helfen kann. Und ich hoffe und wünsche, dass er Erfolg hat.

Ist Tibet völkerrechtlich heute ein Teil von China?

Ja, natürlich. Die indische Regierung hat von Anfang an gesagt, dass Tibet eine autonome Region innerhalb von China ist – und das ist richtig. Das ist eine ganz korrekte Bezeichnung. Juristisch stimmt das. Das ist völlig hieb- und stichfest.

Wenn Sie von Autonomie für Tibet sprechen, welches Tibet meinen Sie? Das Tibet der drei Millionen Tibeter in der heutigen autonomen Region Tibet oder das Tibet der sechs Millionen Tibeter innerhalb des alten Großtibet?

Wir sprechen immer über die Gesamtbevölkerung Tibets von sechs Millionen Menschen. Wir wollen keine Trennung innerhalb der Tibeter. Wir sind bereit, innerhalb der Volksrepublik China zu bleiben, aber wir wollen die kulturelle und religiöse Autonomie aller Tibeter. Gerade in der jetzigen Krise hat es sich gezeigt, dass alle Tibeter, vor allem die außerhalb der autonomen Region Tibets, mit der derzeitigen Situation sehr unzufrieden sind. Diese Unzufriedenheit können wir aus moralischen Gründen einfach nicht ignorieren.

Wenn Sie Autonomie fordern, heißt das auch, dass die chinesische Armee aus Tibet heraus muss?

Nein, eindeutig nein. Die Verteidigung liegt ganz klar bei der chinesischen Zentralregierung in Peking.

Langfristig setzen Sie auf Veränderung und Liberalisierung in China. Können die bevorstehenden olympischen Spiele dabei helfen?

In den letzten 60 Jahren hat sich viel geändert in China. Die Zeit von Deng Xiaoping war entschieden besser als die Jahre unter Mao Tse Tung und seither gab es große ökonomische Fortschritte. China ist heute weit offener als früher. Ökonomische Fortschritte gab es auch in Tibet. Die heutige Zeit ist weniger ideologisiert als die frühere. Heute ist die kommunistische Partei realistischer als früher. Präsident Hu will – genauso wie ich – eine harmonische Gesellschaft. Dieser neue Realismus führt auch zu einer neuen Politik. Dabei können die olympischen Spiele sehr helfen. Es ist gut, wenn tausende von Journalisten nach China kommen und darüber berichten. Die chinesische Regierung wird sich ganz zwangsläufig auch gegenüber westlichen Journalisten mehr öffnen als bisher. Die olympischen Spiele können also eine große Hilfe für mehr Fortschritt sein. Und China als das größte Volk der Welt hat diese Spiele verdient. Ich hoffe, dass das Land bald transparenter wird. In diesen Tagen der großen Naturkatastrophe sieht man, wie hilfreich Transparenz sein kann. Alle Menschen auf der ganzen Welt – auch ich und die Tibeter – sind tief betroffen und traurig ob dieser Naturkatastrophe bei meinen chinesischen Brüdern und Schwestern. Gerade bei diesem Unglück zeigt die chinesische Zentralregierung eine erstaunliche Offenheit. Das ist ein echter Fortschritt.

Wenn Chinas Regierung über ihren Schatten springen und Sie als Ehrengast zu den olympischen Spielen einladen würde: Würden Sie das Angebot annehmen und nach Peking fahren?

Das hängt natürlich ganz von der Situation ab. Wenn es in Tibet wirklich Verbesserungen bei den Menschenrechten gibt, wenn die Tibeter nicht mehr unterdrückt werden, dann kann ich mir das gut vorstellen. Aber wenn es bis dahin in Tibet keine Fortschritte gibt, kann ich nicht zu den olympischen Spielen fahren. Das könnten natürlich meine Landsleute nicht verstehen.

Das Gespräch führte Franz Alt.

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