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Tom Koenigs: "Deutschland muss mehr tun"

Der Grünen-Politiker Tom Koenigs über die Lage der Menschenrechte in Afghanistan, dem angestrebten Ausgleich mit den Taliban und die Politik der Bundesregierung.

Herr Koenigs, werden die Menschenrechte in Afghanistan unter dem angestrebten Ausgleich mit den Taliban leiden?

Afghanische Menschenrechtsgruppen befürchten, dass ihre Rechte in diesem Prozess unter die Räder kommen. Es kann für Afghanistan aber keine militärische, sondern nur eine politische Lösung geben. Präsident Hamid Karsai hat für die Verhandlungen zwei Ziele genannt: einen Ausgleich mit den Aufständischen und eine Bestätigung der afghanischen Verfassung. Die Regierungsvertreter müssen in den Verhandlungen durchsetzen, dass etwa das Recht auf Schule und Ausbildung für Frauen und Mädchen bestätigt wird. Das gilt auch für die in der afghanischen Verfassung verankerte Garantie universeller Menschenrechte. Ausgeschlossen ist das nicht. Den Taliban geht es vor allem um eine Machtteilung und um wirtschaftliche Interessen.

Das heißt, Sie sind optimistisch in Bezug auf die Menschenrechte?
Über das Ergebnis solcher Verhandlungen kann man heute keine Voraussagen machen. Dieser Prozess muss nicht nur die Regierung und die Taliban, sondern auch gesellschaftliche Gruppen einschließen. Gegenwärtig haben wir die Menschenrechte zwar auf dem Papier garantiert. Doch im Herrschaftsbereich der Taliban werden die Menschenrechte mit Füßen getreten. Es wäre ein Fortschritt, wenn die afghanische Regierung in diesen Gebieten die Kontrolle übernehmen und den Menschenrechten einen Raum geben könnte. Nur soll sich niemand über die Dauer dieses Prozesses täuschen: In drei Monaten ist das nicht zu machen.

Der Aussöhnungsprozess wird lange dauern, aber die Afghanen wollen schon 2014 keine fremden Kampftruppen mehr im Land haben. Wie passt das zusammen?
Der Zeithorizont gehorcht innenpolitischen Erwägungen in den USA, in Deutschland und in Afghanistan. Ich hoffe, dass der Konflikt bis 2014 entweder so weit abgekühlt ist oder die Verhandlungen so weit fortgeschritten sind, dass eine gewisse Stabilität erreicht werden kann.

Gibt es Möglichkeiten, die Menschenrechte in Afghanistan von außen zu stärken?
Die gibt es durchaus. Die internationale Gemeinschaft sollte die den Menschenrechten verbundene afghanische Zivilgesellschaft stärken, allen voran die Unabhängige afghanische Menschenrechtskommission.

Tut Deutschland auf diesem Gebiet genug?
Nein. Der Fortschrittsbericht der Bundesregierung ist in Bezug auf Menschenrechte viel zu vage. Ich vermisse klare Aussagen dazu, was Deutschland machen will, um die Menschenrechte in Afghanistan auch nach dem Abzug der Soldaten zu stärken. Es geht um den Aufbau von Strukturen an Schulen und Universitäten, die eine liberale, demokratische und an Menschenrechten orientierte Staatsauffassung tragen. Deutschland bietet Schulen und Hochschulen in Afghanistan viel zu wenig Unterstützung. Wenn die Bundesregierung nicht massiv nachbessert, besteht die Gefahr, dass die nächste Generation ihr Heil im Fundamentalismus sucht.

Internationale Übereinkommen verlangen die Bestrafung von Kriegsverbrechen. Würden Warlords oder Taliban-Kommandeure überhaupt an Verhandlungen teilnehmen, wenn man ihnen keine Straffreiheit anbietet?
Man kann nicht alles sofort haben. Kein Konfliktpartner kommt zu Verhandlungen, wenn er damit rechnen muss, festgenommen zu werden. Aber langfristig muss man diesen Anspruch aufrechterhalten. Die Forderung, dass schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen geahndet werden, darf nicht zur Disposition gestellt werden. Wir müssen da auf eine langfristige Entwicklung setzen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat bei ihrem jüngsten Besuch in Afghanistan die Situation der Bundeswehr als Krieg bezeichnet – zu Recht?
Ja.

Tom Koenigs (66) sitzt für die Grünen im Bundestag und ist dort Vorsitzender des Ausschusses für Menschenrechte. 2006/07 war er UN-Sondergesandter für Afghanistan.

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