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Bundesfinanzminister Christian Lindner

© REUTERS/Liesa Johannssen

Etatstreit der Ampel setzt sich fort: Finanzminister Lindner hält neue Gespräche für nötig

Die 17-Milliarden-Lücke im Haushalt für 2025 lässt sich nicht stopfen wie gedacht. FDP-Chef Lindner sieht sich durch Gutachten bestärkt.

Der Etatstreit der Ampelkoalition geht in eine neue Runde. Die Lücke von 17 Milliarden Euro, die der am 17. Juli beschlossene Regierungsentwurf noch enthält, lässt sich nach einem Rechtsgutachten und nach Einschätzungen des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesfinanzministerium nicht in der Weise füllen, wie es vor allem vom Kanzleramt angenommen worden war. Nach Informationen des Tagesspiegels geht es nun darum, etwa vier Milliarden Euro zu finanzieren.

Durch drei Tricks wollten Kanzler Olaf Scholz (SPD) und seine Spitzenbeamten die Lücke im Haushalt auf ein akzeptables Maß – rund acht bis neun Milliarden Euro – reduzieren. Lindner sah das Vorgehen von Anfang an mit großer Skepsis. Deshalb ließ er seinen Wissenschaftlichen Beirat und den Bielefelder Verfassungsjuristen Johannes Hellermann prüfen, ob die Manöver des Kanzleramtes mit dem Grundgesetz vereinbar sind.

Zum einen sollten mindestens 4,5 Milliarden Euro ungenutzte Kredite bei der bundeseigenen KfW-Bank verwendet werden, die zur Bekämpfung der Energiekrise gedacht waren. Zum anderen will das Kanzleramt die nötigen Investitionen ins Schienen- und Autobahnnetz teilweise nicht aus dem Bundeshaushalt, sondern mit Darlehen an die Autobahn GmbH und die Deutsche Bahn bezahlen.

Die zur Finanzierung dieser Darlehen nötigen Kredite – so das Kalkül im Kanzleramt – müssen bei der Schuldenbremse nicht berücksichtigt werden. Es handele sich nicht um Neuverschuldung, sondern um eine sogenannte finanzielle Transaktion, da Deutsche Bahn und Autobahn GmbH ihre Darlehen an den Bund zurückzahlen müssen und mit dem Geld der Wert des Schienen- und Autobahnnetzes erhöht wird.

Rechtsgutachten sieht verfassungsrechtliche Risiken

Das Rechtsgutachten des Bielefelder Verfassungsjuristen Johannes Hellermann, das dem Tagesspiegel vorliegt, kommt nun zu dem Schluss, dass vor allem das Anzapfen der KfW-Konten verfassungsrechtlich äußerst riskant sei. Er empfiehlt stattdessen, das Geld für die Tilgung von Notfallkrediten zu verwenden, die wegen der Pandemie und der Ukraine-Krise aufgenommen worden waren.

Das Stopfen des Haushaltslochs mit den nicht genutzten Energiekrisen-Geldern erinnert viele Experten an die Verwendung von überschüsssigen Corona-Kreditermächtigungen für den Klima- und Transformationsfonds der Bundesregierung. Diese Praxis hatte das Bundesverfassungsgericht im November als verfassungswidrig eingestuft.

Das Darlehen an die Deutsche Bahn wäre laut Hellermann zwar rechtlich möglich, doch zweifelt der Wissenschaftler-Beirat daran, dass die hochverschuldete Deutsche Bahn die Schulden bedienen kann. Der Beirat schätzt das Darlehen deshalb als zweifelhaft und zu wenig solide ein. Daher wird nun überlegt, eine Summe von 3,6 Milliarden Euro als Eigenkapitalerhöhung an die Bahn zu geben. Als so genannte finanzielle Transaktion ließe sich das auch finanzieren, ohne es auf die Schuldenbremse anrechnen zu müssen.

Auf eine ähnliche Konstruktion im Fall der Autobahngesellschaft will das Finanzministerium nun offenbar verzichten. Hier wäre es um eine Summe unter einer Milliarde Euro gegangen. Als finanzielle Transaktion hätte das Geld nur weitergereicht werden können, wenn die Autobahngesellschaft eigene Einnahmen hätte. Sie wird aber aus dem Bundeshaushalt finanziert.

Die Überlegung, ihr Mautmittel als Eigeneinnahme zuzuleiten, wird offenbar nicht mehr verfolgt. Denn genau diese Eigenfinanzierung hatte der Bundestag 2017 bei Gründung der Autobahngesellschaft verhindert, weil er darin eine Entmachtung des Parlaments sah.  

Lindner setzt weiter auf Sparen

Schon bevor die beiden Gutachten am Donnerstag bekannt wurden, machte Lindner deutlich, dass er nicht erneut einen Haushalt beschließen will, der anschließend vom Bundesverfassungsgericht kassiert wird. Deshalb kommt es nun zu einem teilweisen Neustart der Haushaltsverhandlungen. 

Das Finanzministerium will in weiteren Gesprächen die Lücke von vier Milliarden Euro zu schließen versuchen. Ob das schon auf Kabinettebene gelingt, ist unklar. Bisher war geplant, das Lückenproblem bis zur Zuleitung des Regierungsentwurfs an den Bundestag in zwei Wochen zu lösen. Denkbar ist allerdings auch, dass das erst im parlamentarischen Verfahren gelingt. Das aber wird den ohnehin heftigen Verteilungsstreit zwischen den Ampel-Fraktionen in den kommenden Monaten noch befeuern.

Im Finanzressort werden schon Überlegungen angestellt, wie die Restlücke zu stopfen wäre. Zum Beispiel ist an Sperrvermerke im Etat gedacht, also eine Vorab-Deckelung der Ausgaben, die aufgelöst werden könnten, falls mehr Einnahmen anfallen sollten. Zudem sollen konsumtive Ausgaben verringert werden, etwa über Maßnahmen für mehr „Treffsicherheit der Sozialausgaben“, wie es heißt. „Die Option, die Nettokreditaufnahme durch einen Notlagenbeschluss anzuheben“, besteht aus Sicht des Finanzministeriums weiterhin nicht.

Einen verfassungsrechtlich unsicheren Haushalt wird es mit der FDP nicht geben.

Bijan Djir-Sarai, FDP-Generalsekretär

Grüne fordern rasch Klarheit

In der FDP-Fraktion sieht man sich bestätigt. „Die verfassungsrechtlichen Bedenken an den Kanzleramt-Vorschlägen standen schon vor dem Prüfergebnis im Raum“, sagte Fraktionsvize Christoph Meyer dem Tagesspiegel. „Die FDP forderte stets einen effizienteren Sozialstaat und nach Wirksamkeit ausgerichteten Bundeshaushalt, um finanzielle Spielräume für Wirtschaft, Sicherheit und Infrastruktur zu schaffen.“ Die weiteren Haushaltsberatungen würden nun unter dem „Vorzeichen der Prioritätensetzung und Konsolidierung“ stehen.

„Einen verfassungsrechtlich unsicheren Haushalt wird es mit der FDP nicht geben“, sagte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai dem Tagesspiegel. Er forderte, die Pläne des Kanzleramts genau zu überprüfen und Alternativen zu besprechen. Nur mit vernünftigen Konsolidierungsmaßnahmen bei den Sozialausgaben können man Herausforderungen bei der Sicherheit, Infrastruktur und Bildung gerecht werden. In der SPD wollte man sich am Donnerstag nicht äußern. 

Der für Verkehr zuständige FDP-Haushälter Frank Schäffler warnt davor, die Autobahn GmbH als Schattenhaushalt zu nutzen. Er hält „Umgehungsmöglichkeiten der Schuldenbremse für sehr problematisch“, wie er dem Tagesspiegel sagte. „Damit eröffnet man einen Weg, der von künftigen Regierungen noch exzessiver genutzt werden wird.“

Die Grünen fordern vor allem Klarheit, wie es mit den Investitionen bei Bahn und Autobahn weitergeht. „Der Finanzminister muss konkrete Lösungsvorschläge vorlegen“, forderte der verkehrspolitische Sprecher Stefan Gelbhaar. „Der marode Zustand des Schienennetzes macht für alle erkennbar zusätzliche Investitionen nötig“, sagte er dem Tagesspiegel.

Er erwarte, dass der Finanzminister ohne ideologische Scheuklappen die Spielräume im Haushalt durchgehe und dann natürlich auch Subventionen wie das Dienstwagenprivileg einbeziehe. Auch eine Aussetzung der Schuldenbremse per Notlage brachte Gelbhaar erneut ins Spiel.  

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