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Politik: Tschechien enttarnt Spione selbst

Prag - Ein paar Wochen lang, so scheint es, hat niemand etwas gemerkt: Frei zugänglich standen in Tschechien die Namen von etlichen Agenten des Militär-Geheimdienstes im Netz, fein säuberlich aufgeführt inklusive Tarnnamen, Passfoto und Lebenslauf. Veröffentlicht hat sie eine staatliche Behörde.

Prag - Ein paar Wochen lang, so scheint es, hat niemand etwas gemerkt: Frei zugänglich standen in Tschechien die Namen von etlichen Agenten des Militär-Geheimdienstes im Netz, fein säuberlich aufgeführt inklusive Tarnnamen, Passfoto und Lebenslauf. Veröffentlicht hat sie eine staatliche Behörde. Um die tausend Namen umfasste die Liste, als doch noch jemand das Leck bemerkt hat. „Das ist ein unglaubliches Versagen“, heißt es unter tschechischen Sicherheitsexperten.

Die Daten fanden sich auf der Homepage des „Instituts zum Studium der totalitären Regime“. Diese staatliche Einrichtung ist für die Vergangenheitsaufarbeitung zuständig, ähnlich wie die deutsche Stasiunterlagenbehörde arbeitet sie mit den Unterlagen der kommunistischen Staatssicherheit. Auch für den Militärgeheimdienst aus den Jahren vor der politischen Wende ist das Institut zuständig. Ursprünglich wollten die Forscher deshalb die Namen der Spione veröffentlichen, die bis 1989 für die kommunistischen Machthaber tätig waren – und haben dabei offenbar übersehen, dass sie auch Personalakten ins Internet gestellt haben, die bis in die Gegenwart hineinreichen.

Nach Informationen der tschechischen Zeitung „Mlada Fronta Dnes“, die das Datenleck aufgedeckt hat, standen die Namen von mehreren hochrangigen Diplomaten auf der Liste, die unter anderem in Mazedonien, der Ukraine und Russland eingesetzt worden sein sollen. „Das kann ihre Sicherheit gefährden. Es gibt bestimmte Risiken“, zitiert die Zeitung Zdenek Hazdra, den kommissarischen Leiter des Instituts, auf dessen Homepage die Agentenliste veröffentlicht worden ist. Der verantwortliche Historiker sei abberufen worden. Allerdings, heißt es aus dem Institut, habe man nur die Informationen veröffentlicht, die man vom Verteidigungsministerium erhalten habe.

Das Ministerium versucht abzuwiegeln. „Unwichtig bis irrelevant“ sei das Datenleck, hieß es auf einer eilends einberufenen Pressekonferenz, auf der sich der Ministeriumssprecher demonstrativ gelassen gab: Von den Spionen sei zur Zeit der Veröffentlichung keiner aktiv gewesen. Allerdings gab er zu, dass die Namensliste bei den Betroffenen „zu Unannehmlichkeiten geführt haben könnte“. Unbestätigten Angaben zufolge sollen nach der Veröffentlichung mehrere Diplomaten aus dem Ausland abgezogen worden sein. Genannt wird unter anderem der Name eines tschechischen Botschaftsmitarbeiters in der mazedonischen Hauptstadt Skopje. Einige der enttarnten Agenten könnten sogar in Lebensgefahr geraten, heißt es in tschechischen Medien – selbst dann, wenn sie inzwischen nicht mehr in der Spionage arbeiteten, könnten sie Opfer von Racheakten werden. Nach Informationen der Prager Zeitung sollen etwa 380 der Agenten, die auf der veröffentlichten Liste standen, auch nach der politischen Wende aktiv gewesen sein.

Der tschechische Militärgeheimdienst, aus dessen Reihen die Informationen stammen sollen, gibt sich zumindest nach der Affäre verschwiegen; eine offizielle Stellungnahme zum Datenleck gibt es dort nicht. Politisch allerdings dürfte der Fall noch ein Nachspiel haben: Schon in der kommenden Wochen wird vermutlich der Verteidigungsausschuss des Prager Parlaments zu einer Sondersitzung zusammenkommen. Kilian Kirchgeßner

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