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Politik: Türkischer Generalstab geht erstmals auf PKK-Angebot ein. Wende in der Kurdenpolitik Ankaras?

Von der Erdbebenkatastrophe überschattet, regt sich in der Türkei neue Hoffnung auf die Überwindung eines anderen Unglücks, das in den letzten 15 Jahren mindestens ebensoviele Todesopfer gefordert hat: Der Krieg zwischen den kurdischen Rebellen der PKK und der türkischen Armee neigt sich dem Ende zu. Seit Monaten schon signalisiert die PKK die Bereitschaft und den Willen, die Kämpfe einzustellen und sich mit der Türkei zu arrangieren.

Von der Erdbebenkatastrophe überschattet, regt sich in der Türkei neue Hoffnung auf die Überwindung eines anderen Unglücks, das in den letzten 15 Jahren mindestens ebensoviele Todesopfer gefordert hat: Der Krieg zwischen den kurdischen Rebellen der PKK und der türkischen Armee neigt sich dem Ende zu. Seit Monaten schon signalisiert die PKK die Bereitschaft und den Willen, die Kämpfe einzustellen und sich mit der Türkei zu arrangieren. Weil zum Frieden ebenso wie zum Krieg aber immer zwei gehören, blieb der Erfolg dieser Demarchen bisher ungewiss - denn der türkische Staat ließ alle Offerten der Rebellen kommentarlos an sich abrieseln.

Nun hat sich aber gleich der mächtigste Mann im Staate, Generalstabschef Hüseyin Kivrikoglu, auf die Angebote der Rebellen eingelassen und sogar politische Konzessionen in Aussicht gestellt. Ein Frieden in Südostanatolien scheint seither so greifbar wie noch nie seit Kriegsausbruch vor 15 Jahren. Selbst das nationalistische Massenblatt "Hürriyet" hält eine friedliche Lösung sogar noch vor Ablauf dieses Jahres für möglich.

"Licht am Ende des Tunnels" sieht auch Mehmet Ali Birand, Experte für den Kurdenkonflikt und wohl anerkanntester Kommentator der Türkei, seit Kivrikoglu vor einigen Tagen die türkische Presse einbestellte und den Berichterstattern seine Stellungnahme in die Federn diktierte. Birands Optimismus wird selbst von den Rebellen geteilt, denn es war das erste Mal in der Geschichte des Konflikts, dass sich die türkische Armee direkt und explizit mit den Forderungen und Angeboten der PKK auseinandersetzte - bisher ließen die Generäle stets nur die Waffen sprechen. "In Anerkennung unserer positiven Schritte hat jetzt auch der türkische Generalstab eine Geste gemacht", jubelte Cemil Bayik, PKK-Kommandant und Mitglied des Führungsrates der Rebellen, in einer Stellungnahme zu Kivrikoglus Äußerungen.

Was Kivrikoglu zu sagen hatte, stellt tatsächlich einen radikalen Tabubruch und einen Wendepunkt in dem Konflikt dar. Die PKK habe das Ziel eines unabhängigen Kurdenstaates oder auch einer Föderation aufgegeben und fordere lediglich eine Ausweitung ihrer kulturellen Rechte innerhalb der Türkei, konstatierte der General - und stellte damit klar, dass er die neue Haltung der Rebellen nicht als Finte vom Tisch wischen will. "Einige Rechte sind bereits gewährt worden", fuhr Kivrikoglu fort und verwies auf den legalen Verkauf kurdischsprachiger Zeitungen und Musikkassetten in der Türkei sowie auf die Tatsache, dass 37 Ortschaften in Südostanatolien bereits von der Kurdenpartei Hadep regiert werden. "Im Rahmen der weiteren Demokratisierung werden diese Rechte auch weiter entwickelt werden", lautete der Schlüsselsatz seiner Stellungnahme - eine geradezu revolutionäre Ankündigung für die Türkei, in der der Staat den Kurden bisher nicht einmal eine eigenständige kulturelle Identität zugestehen wollte. Kivrikoglu deutete sogar an, dass das Verbot kurdischsprachigen Fernsehens aufgehoben werden könnte. Zusammen mit der Forderung nach kurdischem Schulunterricht ist dies die Hauptforderung gemäßigter kurdischer Interessenvertreter, die bisher immer mit Verweis auf das "Terrorproblem" hinweggefegt wurde. "Damit steht die Türkei vor der Lösung des 15 Jahre alten PKK-Problems", kommentierte "Hürriyet"-Chefredakteur Ertugrul Özkök.

Auch zum Todesurteil gegen PKK-Chef Abdullah Öcalan, über dessen Vollstreckung nach dem Berufungsgerichtshof voraussichtlich das türkische Parlament zu entscheiden haben wird, hatte Kivrikoglu Überraschendes zu sagen. "Uns, die Armee, dürft ihr nicht fragen", sagte der General. "Wir haben diesen Mann 15 Jahre lang bekämpft und sind deswegen parteiisch. Die Angelegenheit liegt in den Händen der Justiz und des Parlaments." Damit gab der Generalstabschef dem Parlament praktisch den Weg frei, aus politischen Erwägungen gegen die Hinrichtung zu entscheiden. "Die Armee hat sich zurückgezogen", kommentierte Birand. "Von jetzt an kann die Politik sich nicht mehr hinter den Militärs verstecken." Tatsächlich versprach Ministerpräsident Bülent Ecevit schon am nächsten Tag folgsam, es würden "konkrete Schritte" in der Frage der kurdischen Rechte unternommen.

Skeptisch zeigte sich der Generalstabschef allerdings zum militärischen Aspekt des PKK-Truppenabzugs. Zwar seien tatsächlich schon ein paar hundert Mann aus der Türkei abgezogen, bestätigte er die Angaben von PKK-Kommandant Bayik, doch sei der Rückzug keine ausreichende Sicherheit für die Einstellung der Kämpfe. Um glaubhaft zu machen, dass sie nicht im Frühjahr wieder einmarschieren wollten, müssten die Rebellen ihre Waffen abliefern, forderte Kivrikoglu. Dies dürfte aber kein unüberwindliches Hindernis darstellen, hatte die PKK doch schon angeboten, ihre Waffen abzugeben, wenn sich in der Türkei nur ein Ansprechpartner finde.

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