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Politik: Überleben als Schandtat

Nach ihrer Freilassung durch die PKK stehen die acht türkischen Soldaten nun vor einem Militärgericht

In einem anderen Land hätte man sie gefeiert: Acht türkische Soldaten, die am 21. Oktober im Südosten des Landes bei einem Gefecht mit der PKK in Gefangenschaft geraten waren, wurden vor einer Woche von den Kurdenrebellen freigelassen. Doch in der Türkei warteten auf die Befreiten keine Blumensträuße, sondern Vorwürfe und Verdächtigungen.

„Das sind doch Soldaten, warum haben die denn nichts gemacht? Die sind einfach mit denen mitgegangen. Wozu haben die denn Gewehre?“ So entrüstet sich der 40-jährige Istanbuler Selahattin Aydin, und er sieht den Grund für das angeblich feige Verhalten der Soldaten im Verrat: „Mindestens sechs von denen gehören doch zur PKK.“

Nicht nur auf den Straßen wird so über die jungen Männer geredet, die in einem der schwersten Gefechte mit der PKK in den letzten Jahren in Gefangenschaft geraten waren – zwölf ihrer Kameraden starben bei dem Überfall der Rebellen auf einen Militärkonvoi, weitere 16 wurden verletzt. Statt zu ihren Familien heimkehren zu dürfen, wurden die acht Soldaten vom Militärstaatsanwalt festgehalten und schließlich inhaftiert: Ein Militärgericht in Van erließ am Sonntagabend Haftbefehl gegen alle acht Rückkehrer, die sich nun wegen Diszipinlosigkeit, Befehlsverweigerung und unerlaubter Ausreise aus der Türkei vor dem Militärrichter verantworten sollen.

Eine neue Dimension hat die Debatte bereits, seit Justizminister Mehmet Ali Sahin zu Protokoll gab, er könne sich nicht recht über die Freilassung freuen: Kein türkischer Soldat dürfe seiner Meinung nach in die Lage kommen, von der PKK gefangengenommen zu werden. Dass ein Minister der Regierung öffentlich andeutet, dass es ihm lieber gewesen wäre, wenn die acht Soldaten getötet worden wären, verschlug selbst in der wegen der Nordirakkrise nationalistisch aufgeheizten Stimmung in der Türkei vielen die Sprache.

Das galt auch für Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan, der sich während Sahins Äußerungen in den USA aufhielt. Erdogan habe zuerst an eine Falschmeldung geglaubt, als seine Berater ihm von Sahins Kommentar berichteten, meldet die Presse. Dann sei der Premier „geschockt“ gewesen – und sehr wütend auf seinen Justizminister. Vielleicht deshalb ruderte Sahin inzwischen zurück und sagte, er sei falsch verstanden worden. Die Opposition im Parlament fordert trotzdem eine Entschuldigung des Ministers. Die Mutter eines der acht Soldaten kritisierte Sahin mit den Worten, sie ertrage es nicht, dass der Minister die Ehre ihrer Familie beschmutze, nur weil ihr Sohn noch am Leben sei. Zudem erinnerte die Frau daran, dass alle Türken für das Wohl der Gefangenen gebetet hätten – „alle, bis auf einen“: den Minister.

Sahins provozierender Kommentar rief sogar die Vertreter des türkischen Reformlagers auf den Plan, von denen in der Debatte für und gegen einen Einmarsch der türkischen Armee in den Nordirak in jüngster Zeit nur wenig zu hören gewesen war. Die „Jungen Zivilisten“, eine Gruppe reformorientierter Intellektueller mit einem Hang zur politischen Satire, warfen in einer öffentlichen Anfrage an Sahins Ministerium die Frage auf, ob der Justizminister an einem pathologischen Krankheitsbild der Todessehnsucht leide. Und die Kolumnistin Nazli Ilicak schrieb: „Bei aller Wut auf die PKK sollten wir unsere Menschlichkeit nicht vergessen.“

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