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Ein prorussischer Soldat in der Region Luhansk.

© imago/ITAR-TASS / IMAGO/Alexander Reka

Ukraine-Invasion Tag 209: Putins Teilmobilisierung und ihre möglichen Auswirkungen an der Front 

Viele Russen verlassen fluchtartig das Land, erneut Angriffe auf AKW, Deutschland friert 4,9 Milliarden von Russen ein Euro ein. Der Überblick am Abend.

Wladimir Putin hat am Mittwochmorgen eine Teilmobilisierung verkündet und der Ukraine und dem Westen mit dem Einsatz von Atomwaffen gedroht (wie gestern an dieser Stelle berichtet, hatten einige Experten sogar mit einer Generalmobilmachung gerechnet). Unsere aktuelle Berichterstattung dazu finden Sie weiter unten im Bereich Hintergrund und Analyse. 

Was über den Tag vielleicht noch zu wenig beachtet wurde, ist der konkrete Effekt von Putins Maßnahmen auf die russischen Truppen, die aktuell in der Ukraine sind. 

Auf der einen Seite stehen die Experten, die keine großen Auswirkungen erwarten. Zu lange brauche es, bis die bis zu 300.000 Männer an der Front seien, es gebe kaum noch Offiziere, sie auszubilden und Material, sie auszustatten, zudem seien sie unmotiviert. Auch sei es zweifelhaft, ob sich überhaupt so viele finden ließen.

Man kann aber auch anders auf die Maßnahme blicken, auch in Zusammenhang mit Gesetzesänderungen, die vom russischen Parlament verabschiedet wurden. Die nämlich stellen Desertation unter höhere Strafe, sollen also die nicht wenigen Soldaten abschrecken, die sich freiwillig in ukrainische Gefangenschaft begaben. 

Zudem hießt es in Artikel 4 des Mobilisierungsdekrets, dass alle Verträge für Zeitsoldaten nun bis zum Ende der Teilmobilmachung gelten. Bisher konnten die Soldaten nach einigen Monaten legal aus dem Dienst ausscheiden. Viele taten das angesichts der furchtbaren Erfahrungen in der Ukraine bisher, auch wenn sie öffentlich Ächtung befürchten mussten.

Am Ende könnten diese Maßnahmen bewirken, dass mehr Soldaten länger an der Front bleiben. Die Ausbildung der Neusoldaten würde dabei vielleicht nicht sonderlich ins Gewicht fallen. Die Rekruten könnten gut ausgebildetete Soldaten für die Front frei machen, die sich bisher um Logistik oder die Besetzung von Checkpoints im Hinterland kümmern. Auch gegen ukrainische Partisanen könnten sie vorgehen. 

Den zuletzt dramatischen Verlust an Kampfkraft seiner Truppen könnte Putin somit tatsächlich aufhalten. Ob das reicht, in der Ukraine wieder die militärische Oberhand zu gewinnen, bleibt offen. Denn Probleme mit der Logistik, der Moral, dem Munitionsmangel und den unzureichenden Kommandostrukturen werden bleiben. 

Die wichtigsten Nachrichten des Tages:

  • Russen im wehrpflichtigen Alter müssen sich nach dem Befehl zur Teilmobilmachung laut Gesetz an ihrem Wohnort aufhalten. Internet-Daten zufolge wächst allerdings die Nachfrage nach One-Way-Flügen. Mehr hier.
  • Nach Recherchen des finnischen Nachrichtenportals „Yle News“ hat Russland Flugabwehrraketen von mehreren Militärbasen rund um die Stadt St. Petersburg abgezogen. Sehr wahrscheinlich werden die Waffen für einen Einsatz in der Ukraine gebraucht. Mehr dazu lesen Sie hier.
  • Russen im wehrpflichtigen Alter müssen künftig mit bis zu zehn Jahren Haft rechnen, wenn sie die Teilnahme an Kampfhandlungen verweigern. Eine entsprechende Gesetzesänderung verabschiedete am Mittwoch der Föderationsrat in Moskau, wie Staatsagenturen meldeten.  Mehr in unserem Liveblog.
  • Der russisch-orthodoxe Patriarch Kyrill I. hat sich erneut auf Linie von Kreml-Chef Wladimir Putin zum Konflikt mit der Ukraine geäußert. Bei einem Gottesdienst sprach er am Mittwoch von einer „Gefahr“, dass die Gegner Moskaus die Ukraine von „einem Teil der heiligen geeinten Rus“ in einen Staat verwandeln, der „Russland feindlich gesinnt ist“, wie die Nachrichtenagentur Interfax meldet.
  • Nach der Rückeroberung von Teilen der östlichen Region Charkiw beginnt die Ukraine dort mit der Minenräumung. Dabei gehe es um ein 12.000 Quadratkilometer großen Gebiet, sagt ein Vertreter des Katastrophenschutzes. Die Arbeiten könnten mehrere Jahre dauern. Die USA, Großbritannien und Kanada hätten ihre Hilfe zugesagt. Die Fläche entspricht ungefähr der Größe des Golfstaats Katar.
  • Nach der von Kremlchef Wladimir Putin verkündeten Teilmobilmachung hat China zu Verhandlungen über einen Waffenstillstand in der Ukraine aufgerufen. „Wir fordern alle maßgeblichen Parteien auf, durch Dialog und Konsultationen einen Waffenstillstand zu erreichen“, sagte der Sprecher des chinesischen Außenministeriums, Wang Wenbin, am Donnerstag in Peking. Es müsse so schnell wie möglich eine Lösung gefunden werden, „die den legitimen Sicherheitsbedenken aller Parteien Rechnung trägt“. 
  • Papst Franziskus hat sich nach dem Fund von hunderten Gräbern in der ostukrainischen Stadt Isjum entsetzt über die „grausamen Taten“ in dem vom russischen Angriffskrieg gebeutelten Land geäußert. Der von ihm in die Ukraine entsandte polnische Kardinal Konrad Krajewski habe ihm über die „schreckliche Lage“ unterrichtet, sagte das 86-jährige Oberhaupt der katholischen Kirche am Mittwoch am Ende seiner wöchentlichen Generalaudienz auf dem Petersplatz.
  • Durch die EU-Sanktionen gegen Russland sind in Deutschland, Stand 16.9., Vermögenswerte von mindestens 4,88 Milliarden Euro eingefroren worden. Das berichtet das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ unter Berufung auf eine Unterrichtung des Bundeswirtschaftsministeriums an das Parlament.
  • Russlands Opposition ruft zu Protesten gegen die von Präsident Wladimir Putin angeordnete Teilmobilmachung auf. „Tausende russische Männer - unsere Väter, Brüder und Ehemänner - werden in den Fleischwolf des Krieges geworfen“, teilt die Antikriegsbewegung Wesna mit. Sie appelliert an die Russen, in großen Städten am Mittwoch aus Protest auf die Straßen zu gehen.
  • Das russische Nachbarland und EU-Mitglied Lettland will Russen, die vor der Teilmobilmachung fliehen, keine Zuflucht gewähren, wie der der lettische Außenminister Edgars Rinkevics auf Twitter schreibt. Er führt dafür Sicherheitsgründe an.
  • Russland will das geplante Referendum über eine Annexion der südukrainischen Region Cherson auf Teile des Gebiets um Mykolajiw ausdehnen. Das kündigt die von Russland installierte örtliche Verwaltung laut Nachrichtenagentur Tass an. Es gehe um die Teile der Region, die nach wie vor unter Kontrolle der russischen Truppen seien.
  • Der ukrainische Betreiber des Atomkraftwerks Saporischschja hat Russland beschuldigt, erneut das Gelände des Kernkraftwerks in der Südukraine angegriffen zu haben. „Russische Terroristen haben in der Nacht erneut das Atomkraftwerk Saporischschja bombardiert“, teilte Energoatom am Mittwoch im Messengerdienst Telegram mit. Die Angaben ließen sich zunächst nicht unabhängig prüfen.
  • Ermittler haben mehrere Häuser des russischen Oligarchen und Putin-Unterstützers Alischer Usmanow am Tegernsee bei München gestürmt. Wie “Spiegel” berichtet, verschafften sich Spezialkräfte der Bundespolizei am Mittwochmorgen Zugang zu drei Wohnhäusern und einem Lager in Rottach-Egern. 
  • In der Schweiz ist der Gasverbrauch in den vergangenen zwei Monaten um rund 20 Prozent zurückgegangen. „Firmen haben auf die hohen Gaspreis reagiert“, erklärte der nationale Energiekrisenmanager Bastian Schwark der „Neuen Zürcher Zeitung“. Angesichts der hohen Preise habe die Industrie gewisse Prozesse gestoppt, weil sie zu teuer würden. Demnach bezieht die Schweiz rund 70 Prozent des Gases aus Deutschland. 

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