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Ukraine-Krise: 1500 Geiseln in der Gewalt der Separatisten

Separatistengruppen und kriminelle Banden stecken hinter den Entführungen im Osten der Ukraine. Die Kidnapper gehen völlig wahllos vor – auch Privatleute sind betroffen.

Geiselnahmen gehören heute zum Repertoire von militärischen Kampfgruppen in Krisen- und Kriegsgebieten. Auch in der Ostukraine ist dieses Phänomen seit der Besetzung der ersten Städte in der Region Donezk im April dieses Jahres zu beobachten. Mittlerweile gibt es in Kiew einen Krisenstab und Mitarbeiter, die die Angehörigen betreuen und sich für die Freilassung der Gefangenen einsetzen.

Ukrainische Medien sprechen von offiziell 1500 Geiseln, die derzeit in der Ostukraine festgehalten werden – allerdings dürfte die Dunkelziffer deutlich höher liegen. Seit jeher haben sich im Kohlerevier der Ukraine, dem Donbass, verschiedene Separatistengruppen, aber auch kriminelle Banden mit großer Brutalität Einfluss verschafft. Sie sind derzeit verantwortlich für die Geiselnahmen. Dabei werden nicht nur Soldaten der ukrainischen Streitkräfte oder Angehörige der Freiwilligen-Bataillone gekidnappt, auch Privatleute trifft es.

Das Schicksal des Bergmannes Valeri aus Makijiwka – einer Nachbarstadt der Großstadt Donezk – macht deutlich, wie wahllos die Entführer vorgehen. Obwohl weder der Bergmann noch dessen Familie über ein größeres Vermögen verfügen, verlangte eine Gruppe maskierter Männer von der Ehefrau des Mannes ein Lösegeld in Höhe von 100 000 US-Dollar – bei einem Durchschnittslohn von umgerechnet knapp 300 Euro eine unrealistische Forderung.

Oberst Wassili Kowaltschuk vom ukrainischen Innenministerium, der mit anderen seit einiger Zeit den Geiselaustausch organisiert, erzählte einer großen ukrainischen Tageszeitung, wie das Geschäft der Entführer abläuft. Die Opfer werden demnach oft wahllos auf der Straße eingefangen. In der Hoffnung, dass Hilfsorganisationen, der Arbeitgeber oder neuerdings auch das Verteidigungsministerium zahlen, erheben die Kriminellen ihre Forderungen. Die Geiseln werden in der Zwischenzeit in menschenunwürdigen Unterkünften festgehalten und auch oft misshandelt. Valeri kam nach wochenlanger Tortur durch Zufall frei. Er war von Makijiwka nach Kramatorsk gebracht worden und wurde dort mit anderen Gefangenen in einem Keller gefangen gehalten. Als ukrainische Truppen vorrückten, flüchteten auch die Peiniger des Bergmannes. Nun liegt er in einem Krankenhaus in Charkow, an beiden Beinen schwer verletzt. Er war misshandelt worden und hatte mehrfach versucht zu fliehen.

Kiew bietet Hilfe für Familien der Entführten an

Seit ein paar Wochen bieten das Verteidigungsministerium in Kiew und die ukrainische Gruppe der Helsinki-Menschenrechtsorganisation Hilfe für die Familien der Entführten an. Der Menschenrechtsanwalt Oleg Weremejenko bestätigte, dass es Entführungsfälle gibt, bei denen es nicht um Geld geht. Auch politische Entscheidungen spielten häufig eine Rolle. Die ukrainische Regierung hat bislang nur wenige dieser Fälle öffentlich gemacht. So wurde beispielsweise Nikolai Jakubowitsch, Assistent des früheren Vorsitzenden des Nationalen Sicherheitsrats, Andrej Parubij, in der Ostukraine entführt. Er wurde schließlich gegen einen ranghohen Vertreter der selbsternannten „Volksrepublik Donezk“, den Chefideologen Leonid Baranow, ausgetauscht. Baranow war von ukrainischen Truppen verhaftet worden.

Vor allem diejenigen, die seit langem Erfahrungen im kriminellen Milieu oder als Kriegsveteranen haben, seien „nicht zimperlich“, sagte Weremejenko auf einer Pressekonferenz. Er dokumentiert Fälle, die er vor den Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg bringen will. Die Geiseln würden hungern und jetzt im Sommer extremen Temperaturen ohne ausreichend Wasser oder Schutz ausgesetzt sein. In den meisten Fällen seien außerdem massive körperliche Misshandlungen an der Tagesordnung. „Die Opfer sollen möglichst schnell gebrochen werden“, sagte der Anwalt. Auch Frauen und Minderjährige würden als Geiseln verschleppt. Weremejenko ist überzeugt: „Sie ertragen das schlimmste Schicksal von allen.“

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