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Auch sexuelle Identität ist nach wie vor ein Diskriminierungsgrund - Blick in die aktuelle Ausstellung "Homosexualitäten" im Deutschen Historischen Museum in Berlin.

© Paul Zinken/dpa

Umfrage zur Diskriminierung: "Fatal für das Zusammenleben der Gesellschaft"

Seit fast einem Jahrzehnt liefert ein Gesetz Mittel, gegen Diskriminierung vorzugehen. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes will jetzt untersuchen, wie verbreitet Diskriminierung ist - und welche Folgen sie hat. Ein Gespräch mit der Leiterin Christine Lüders

Frau Lüders, die Antidiskriminierungsstelle des Bundes lässt untersuchen, wo und wie Menschen in Deutschland diskriminiert werden. Was versprechen Sie sich davon?

Es fehlt in Deutschland immer noch an grundlegendem Wissen darüber, was Diskriminierung ist und wie sie wirkt, am Arbeitsplatz, in Schulen, auf Wohnungssuche. Oft sprechen Betroffene nicht darüber, aus Scham oder Resignation. Das wollen wir ändern, auch weil es dazu führt, dass sie ihren Anspruch auf Schutz oft gar nicht nutzen. Die Studie, die wir jetzt in Auftrag gegeben haben, ist die größte, die es je in Deutschland gab. Zu einzelnen Diskriminierungsgründen haben wir schon früher Untersuchungen gemacht, auch vergleichbare Umfragen auf europäischer Ebene haben eine enorme Resonanz gefunden - zuletzt etwa eine Studie der EU-Grundrechteagentur zu sexueller Gewalt mit mehr als 40 000 Befragten.

Gegen Antidiskriminierungspolitik wird oft ins Feld geführt, gemobbt oder diskriminiert werde eben jede und jeder einmal, wozu sich also so haben.

Christine Lüders
Christine Lüders

© Kai-Uwe Heinrich

Diskriminierung ist aber keine Kleinigkeit. Sie kann fatale Folgen haben. Wer immer wieder zurückgesetzt und abgewertet wird, wer damit leben muss, die „falsche“ Hautfarbe oder das falsche Geschlecht zu haben, der fühlt sich hilflos, der arbeitet demotiviert. Schüler, die das erleben, ziehen sich in der Schule oft zurück und folgen dem Unterricht nicht mehr. Das ist für das Zusammenleben einer Gesellschaft fatal. Und: Diskriminierung ist kein Randgruppenthema, sondern geht jeden und jede an –etwa Altersdiskriminierung oder sexuelle Belästigung.

Sie wollen mit einer Postkartenaktion das Wie und Wieviel von Diskriminierung in Deutschland herausbekommen?

Nein. Unsere Umfrage besteht aus zwei Säulen: Erstens einer repräsentativen Untersuchung, in der wir ermitteln wollen, wie hoch der Anteil der Menschen in Deutschland ist, die Diskriminierung erlebt haben.  Und schließlich einer groß angelegten Betroffenenumfrage, für die wir Menschen bitten, uns ihre Erfahrungen  genauer zu schildern. Da wir gemeinsam mit der Integrations- und Behindertenbeauftragten der Bundesregierung und vielen NGOs und Unternehmen zur Teilnahme aufrufen, rechnen wir mit einer hohen Beteiligung von mehr als 10 000 Menschen.

Und bis wann rechnen Sie mit Ergebnissen?

Ungefähr in einem Jahr. Die Daten legen wir dann dem Bundestag vor. Dabei wollen wir uns nicht auf Zahlen beschränken, sondern auch konkrete Handlungsempfehlungen zum Abbau von Diskriminierung geben. Denn Vorurteile und Diskriminierung müssen raus aus den Köpfen.

Antidiskriminierungspolitik hat es in Deutschland nicht einfach gehabt. Das Allgemeine Gleichstellungsgesetz (AGG) von 2006, Basis Ihrer Arbeit, geht auf eine EU-Initiative zurück. Hat sich seither etwas geändert?

Ja, ganz sicher. Dass es Diskriminierung gibt und dass man sie nicht schicksalsergeben hinnehmen muss, das ist seitdem stärker ins Bewusstsein vieler gerückt. Auch in der Rechtsprechung hat sich etwas geändert. Richter sind mit Diskriminierung konfrontiert und reagieren. Es gibt inzwischen Grundsatzurteile, die feststellen, dass ein Kopftuch kein Grund ist, eine Stelle nicht zu bekommen oder dass man als ältere Bewerberin nicht von vornherein aussortiert werden darf. Und diskriminierende Ausschreibungen sind heutzutage Gott sei Dank sehr selten. Das zeigt: Das Gesetz war richtig. Und es wirkt. 

Und in der Politik? Die deutsche nationale Antidiskriminierungsstelle gilt als eine der materiell und politisch am schlechtesten ausgestatteten. Sie können zum Beispiel keine Musterprozesse führen.

Natürlich wäre ein Klagerecht wichtig, um Betroffenen besser helfen zu können. Auch die viel zu kurzen Fristen, um Ansprüche geltend zu machen, sind ein Schwachpunkt im 2006 auf den Weg gebrachten Gesetz. Die Politik tat sich damals durchaus schwer damit anzuerkennen, dass es Diskriminierung gibt und dass sie bekämpft werden muss. Das hat sich auch auf unser Budget ausgewirkt.

Wenn wir uns heute aber Debatten um die Ehe für alle, Entgeltgleichheit oder sexuelle Belästigung anschauen, dann sehen wir: Das Thema ist inzwischen angekommen.

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