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Gabriel

© dpa

Umwelt: "Alles in Ordnung. Wieso?“

Umweltminister Sigmar Gabriel über nachhaltige Biomasse, politische Fehler und die Zukunft der SPD.

Was ist mit Ihrem politischen Instinkt los?

Alles in Ordnung. Wieso?

Nehmen wir die höhere Beimischungsquote für Bioethanol. Die mussten Sie stoppen, weil rund 3,5 Millionen Fahrzeuge diesen Treibstoff nicht vertragen …

Das hat nichts mit politischem Instinkt zu tun. Bei Biokraftstoffen haben alle Parteien – wir auch – die Potenziale überschätzt. Außerdem ist anderthalb Jahre lang in Gremien diskutiert worden, die die Kraftstoffnormen festlegen. In dieser Zeit haben weder ADAC noch Verbände der Automobilindustrie oder Mineralölwirtschaft erwähnt, dass es mehr als drei Millionen Autofahrer sein würden, die an die Super-Plus-Tankstelle müssten.

Können Sie verhindern, dass Biomassenutzung die Klimaschäden vergrößert?

Wir haben eine Nachhaltigkeitsverordnung für Biomasse beschlossen und wollen eine Nettobilanz bei Biokraftstoffe einführen. Wir werden nur die Biokraftstoffe zulassen, bei denen die Klimabilanz um mindestens 30 Prozent besser ist als bei herkömmlichem Sprit. Und bis die Nachhaltigkeitsstandards international wirken, wollen wir in Deutschland und Europa bestimmte Anbauorte wie Regenwälder oder Moore völlig vom Import ausschließen. Einen möglichen Konflikt mit der Welthandelsorganisation müssen wir in Kauf nehmen. Man muss den Entwicklungs- und Schwellenländern aber auch die Chance geben, Rohstoffe zu liefern, wenn sie diese Standards einhalten. Sonst müssen sie annehmen, es ginge uns nur um die Abschottung unserer Märkte.

Die Nachhaltigkeitsverordnung ist in Brüssel angehalten worden …

Darüber haben wir gerade am Wochenende beim Treffen der europäischen Umweltminister gesprochen. Alle wollen diese Regeln, und sie werden kommen. Alle wissen, dass die Biokraftstoffe, aber auch Biomasse zur Strom- und Wärmeerzeugung, sonst in die Sackgasse führen.

Müssen wir auf dem Weg zur „Rettung der Erde“ mit weiteren Irrtümern rechnen?

Man kann nie ausschließen, dass man sich irrt. Schließlich geht es darum, wirtschaftliche Interessen der jetzt lebenden Menschen mit wirtschaftlichen und Lebensinteressen von Menschen in Einklang zu bringen, die noch nicht geboren sind. Das schaffen wir ja nicht mal bei der Rente widerspruchsfrei. Und jetzt müssen wir das für 200 Länder schaffen. Entscheidend ist, dass man Irrtümer erkennt und korrigiert, wie wir es beim Biosprit tun.

Nachhaltige Lösungen sind meist mit Kosten oder Verzicht verbunden. Macht das Umweltpolitik für einen sozialdemokratischen Minister besonders schwierig?

Wir werden national und international nur dann Erfolge in der Umweltpolitik haben, wenn wir Wachstum, Wohlstand und Umweltschutz gemeinsam verfolgen. Und wir zeigen doch, dass das geht. Wir haben unsere Abfallprobleme der 70er und 80er Jahre doch nicht durch Konsumverzicht gelöst, sondern konsumieren heute mehr als damals, haben aber weniger Abfall, der auf die Deponie geht. Die Lösung heißt technologische Innovation.

Wie könnte die Akzeptanz steigen?

Vieles tun wir ja gerade: Bei den Autos geht es doch darum, weniger Sprit zu verbrauchen. Das spart Geld an der Tankstelle. Mit der Förderung neuer Heiztechniken und besserer Wärmedämmung helfen wir dem Klima und dem Geldbeutel. Aber es gibt noch viel zu tun: Ich begreife nicht, dass wir auf ICE-Fahrten den vollen Mehrwertsteuersatz erheben, Flugbenzin aber von der Steuer befreien. Und ich verstehe auch nicht, warum wir Geländewagen außerhalb der Land- und Forstwirtschaft massenhaft als Dienstwagen zulassen und anschließend die hohen Spritkosten von der Steuer absetzen lassen. Dafür zahlen Normalverdiener höhere Steuern. Bislang konnten wir uns mit solchen Vorschlägen in der Koalition nicht durchsetzen. Aber die Einsicht wird wachsen.

Herr Gabriel, Sie haben kürzlich in einem Aufsatz zur Krise der SPD den „Neofeudalismus“ in Deutschland angeprangert, Ihre Genossen aber zu mehr Stolz auf die rot-grüne Ära aufgerufen. Wie geht das?

Es steht vieles auf der Habenseite der rot-grünen Bilanz: 1,5 Millionen Arbeitslose weniger. Ein abnehmendes Staatsdefizit. Mehr Geld für Investitionen in Infrastruktur und Klimaschutz. Eine exzellente Außenpolitik. Das setzen wir jetzt fort, und darauf darf die SPD ruhig stolz sein. Das heißt aber nicht, dass wir alle Probleme gelöst hätten. Gerade im Bildungssektor geht die Schere zwischen Arm und Reich dramatisch auseinander.

Sie meinen, die SPD sollte weniger mit der Agenda 2010 hadern als mit den Ungerechtigkeiten des deutschen Bildungssystems?

Die Agenda 2010 taugt weder als Denkmal noch als Schreckgespenst. Sie hat eine Reihe von Problemen gelöst, aber auch neue geschaffen. Dass etwa Leiharbeit zum massenhaften Beschäftigungsmodell in den Betrieben wird, war nicht im Sinne der Erfinder. Also muss sie an dieser Stelle korrigiert werden.

Wo muss noch korrigiert werden, damit die SPD den Erwartungen gerecht wird?

Wir brauchen Übergangsregelungen bei der Rente mit 67 für Menschen, die wegen starker körperlicher Belastung nicht so lange arbeiten können. Das ist für die SPD eine Frage der Glaubwürdigkeit.

Die Sehnsucht nach Gerechtigkeit und Zweifel am Kapitalismus wachsen. Warum nicht die Zustimmung zur SPD?

Ein Grund dafür ist, dass wir uns in letzten Zeit zu sehr mit uns selbst beschäftigt haben. Die Debatte über den Umgang mit der Linkspartei und die Kanzlerkandidatur war überflüssig wie ein Kropf.

Wie erklären Sie das eigentlich der Basis?

Natürlich sind unsere Mitglieder und Wähler nicht erfreut darüber gewesen. Die wollen, dass wir zusammenstehen und uns um die Probleme im Land kümmern und nicht um uns selbst.

Auch bei der Kanzlerkandidatenfrage zerfällt die SPD in zwei Lager: Der rechte Flügel ist für Frank-Walter Steinmeier, der linke für Kurt Beck.

Wieso? Wollen Sie im Ernst behaupten, dass Steinmeier und Beck unterschiedlichen Strömungen in der SPD angehören? Im Übrigen geht es doch jetzt gar nicht um Kanzlerkandidaturen. Darüber entscheiden wir im Herbst, und der Vorsitzende hat den ersten Zugriff. Das war so und wird von allen in der SPD so gesehen.

Sie werden aber von unterschiedlichen Strömungen unterstützt.

Daran sehen Sie, dass das Links-rechts- Schema oft nichts taugt zur Beschreibung der Wirklichkeit. Grundsätzlich gilt: Die SPD braucht ein Zentrum. Das muss der Parteivorstand und die politische Führung der SPD abbilden. Flügel sind gut und wichtig, aber bevor man versucht zu fliegen, sollte man laufen können.

Das Interview führten Tissy Bruns, Dagmar Dehmer und Stephan Haselberger.

Sigmar Gabriel (48) hat die höhere Beimischung von Biosprit im Benzin angehalten. Dafür hat er viel Kritik eingesteckt. Der SPD-Politiker ist seit 2005 Bundesumweltminister.

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