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Politik: Unbeugsam bis zum Schluss

Zweifel an Pekings Version eines Selbstmords des Dissidenten Li Wangyang.

Es ist ein ergreifendes letztes Interview, das der chinesischen Menschenrechtsaktivist Li Wangyang dem Hongkonger Fernsehsender Cable TV gegeben hat. Mühsam wird der 62 Jahre alte Mann in den Raum geführt, zum Hinsetzen benötigt er Hilfe, seine Hände zittern. Weil er nach 21 Jahren im Gefängnis nach eigenen Aussagen durch Folter blind und nahezu taub geworden ist, muss ihm ein Freund die Fragen des Reporters als Schriftzeichen auf die Handfläche oder den Oberschenkel malen. Sobald jedoch Li Wangyang seine kräftige Stimme erhebt, spürt man die Energie, die ihm immer noch innewohnt. „Ich werde nicht aufgeben, selbst wenn man mir den Kopf abschlägt“, sagt er dem Fernsehsender. Einige Wochen nach diesen Worten soll sich Li Wangyang in seinem Krankenhauszimmer erhängt haben – so die offizielle Version.

Doch Freunde, Verwandte und Menschenrechtsorganisationen glauben nicht, dass der Tiananmen-Aktivist Li Wangyang am 6. Juni in einem Krankenhaus in Shaoyang in der Provinz Hunan Selbstmord begangen haben soll. „Wir sahen seinen Körper am Fenster hängen und seine Füße standen deutlich auf dem Boden“, sagte sein Schwager Zhao Baozhu gegenüber der Menschenrechtsorganisation Human Rights in China. Fotos, die im chinesischen Internet zirkulieren, sollen das beweisen. Am Abend vor seinem angeblichen Freitod soll er seiner Schwester gesagt haben, dass sie ihm ein Radio kaufen solle, weil er sein Hörvermögen trainieren wolle. Seine Freunde bezweifeln, dass er aufgrund seines schlechten Gesundheitszustandes fähig gewesen sein soll, einen Knoten und eine Schlinge zu knüpfen.

Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation China Human Right Defenders hat die Polizei die Leiche mitgenommen, bevor Verwandte weitere Fotos machen konnten. Inzwischen haben mehrere tausend Menschen, darunter der chinesische Künstler Ai Weiwei, eine Petition unterzeichnet, die eine Untersuchung des Todes verlangt. In Hongkong demonstrierten rund 50 Menschen vor dem Pekinger Verbindungsbüro. Inzwischen soll die Polizei einer Verschiebung der Einäscherung zugestimmt haben.

Nach Angaben von Human Rights in China wurden die Schwester des Toten und ihr Ehemann von der Polizei zuletzt in einem Hotel in Shaoyang festgehalten. Zhao Baozhus Telefon gab nur ein dauerhaftes Besetztzeichen von sich, er und seine Frau sollen verängstigt sein. Mehrere Freunde stehen unter Hausarrest.

Li Wangyang hatte sich für die Rechte der Arbeiter in Shaoyang eingesetzt. Er unterstützte die Studentenproteste 1989 auf dem Tiananmenplatz und erhielt nach der gewaltsamen Niederschlagung der Demokratiebewegung wegen „konterrevolutionärer Propaganda und Aufruf zum Umsturz“ 13 Jahre Haft. Nach seiner vorzeitigen Entlassung wegen seines schlechten Gesundheitszustandes verklagte er die Behörden zur Übernahme seiner Krankheitskosten – und erhielt erneut eine Haftstrafe von zehn Jahren „wegen Anstiftung zum Umsturz“.

Li Wangyang wurde auch nach seiner Haftentlassung überwacht. In den Tagen vor seinem Tod stand er wegen des Jahrestags des Tiananmen-Massakers am 4. Juni sogar unter besonderer Beobachtung der Sicherheitskräfte.

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