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Politik: Ungarn: Ein Land, zwei Welten

Was den Wählern in Ungarn am stärksten auf den Nägeln brennt? Der junge Kandidat überlegt.

Was den Wählern in Ungarn am stärksten auf den Nägeln brennt? Der junge Kandidat überlegt. Er überlegt lange. Zuvor war es nur so aus ihm herausgesprudelt, was er alles für "seinen" Stadtbezirk geleistet hat in den letzten vier Jahren im Parlament: die Prostituierten hinausgejagt, mit Videoüberwachung die Organisierte Kriminalität bekämpft, mit dem Bau von 1600 Wohnungen angefangen ... Er hat Viktor Orban gerühmt, seinen Ministerpräsidenten, als eine die Gesellschaft zwar polarisierende, aber starke Figur mit Charisma. Doch nun sitzt Robert Juharos in diesem Kaffeehaus und überlegt. "Nun", sagt er schließlich, "die eigene Tasche ist den Leuten noch am nächsten. Sie interessieren sich, wie es mit ihren Löhnen weitergeht und mit ihrer Rente."

Budapests VIII. Bezirk, die Josefstadt, in der Juharos bei der Parlamentswahl am Sonntag wiedergewählt werden will, gilt als ärmster Bezirk der Hauptstadt. Von den schmutzig-schwarzen Mietskasernen, die im Boom Ende des 19. Jahrhunderts gebaut wurden, springt der Putz. Saniert wurde zu kommunistischen Zeiten nicht. Stattdessen wurden zehnstöckige Plattenbauten hochgezogen. Die Mieten sind niedrig, der Bezirk ist überaltert; ein Viertel der 78 000 Einwohner sind Roma. Doch am innenstadtnahen Rand des Bezirks sieht es anders aus. Dort sind die Straßen gepflegt, die historischen Paläste prächtig herausgeputzt. Hier prangt der neue Boom.

Genauso gespalten, heißt es in Ungarn, ist das Land. Viktor Orbans rechtsbürgerliche Regierung wirbt mit der Statistik: Das Bruttoinlandsprodukt ist stärker gewachsen als in der EU und wächst, von ausländischen Konzernen getragen, fröhlich weiter. Die Inflationsrate liegt im einstelligen Bereich, die Arbeitslosenquote ist niedriger als in Deutschland. Ungarn gilt als reichster Anwärter auf die EU-Mitgliedschaft. Doch die Statistik mittelt gnädig zwischen der Vollbeschäftigung im Westen und den 20 Prozent Arbeitslosen im Osten, zwischen den jungen Bankangestellten in den Glaspalästen und den gebückten Handwerkern in den Souterrains der Josefstadt. Deren Bürgermeister Bela Csecsei gehört als Freidemokrat zu Orbans Gegnern. Er beklagt, wie alle Oppositionellen in Ungarn, dass die Regierung Orban die wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Spaltung des Landes gefördert habe. Csecsei sagt, es herrsche die "Stimmung eines mentalen Bürgerkriegs".

Gespalten ist auch die Wählermeinung: Orbans Bürgerliche (Fidesz) und die Sozialisten haben mit je 40 Prozent gleich viele Anhänger. Der Unterschied zwischen den durch Orbans Politik verfestigten Lagern beträgt laut dem Politologen Laszlo Keri weniger als 100 000 Stimmen - was kaum Prognosen über den Wahlausgang erlaubt. Keri interessiert sich weniger dafür, wer bei der Wahl am 7. und 21. April siegt, sondern wer drittstärkste Kraft wird: "Das wird zeigen, wohin das Land geht." Zur Wahl stehen die Liberalen, die derzeit zum linken Lager zählen und - falls nötig - mit den Sozialisten paktieren werden, und die "Partei der Ungarischen Wahrheit und des Lebens" (Miep), die sich als radikal-national definiert, aber rechtsextremistisch und antisemitisch ist. Die Miep träumt von der Revision der Grenzen und der "Wiedervereinigung der ungarischen Nation". Seit 82 Jahren würden die drei Millionen Magyaren in den Nachbarländern, zumeist Rumänien, unterdrückt, sagt Vize-Parteichef Csaba Lentner. Beobachter fürchten, Orban könnte sich nach seiner Wiederwahl mit der Miep zusammentun.

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