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Union und FDP: Ersatzhoffnungsträger

Der Wirtschaftsflügel der Union leidet unter der großen Koalition – und holt sich zum Mutmachen Rat von FDP-Chef Westerwelle.

Von Robert Birnbaum

Berlin - Friedrich Merz ist auch da, im Nebenzimmer. Früher wäre er der naturgegebene Gastredner gewesen, den der CDU-Wirtschaftsrat zum Vortrag mit dem Titel „Privat vor Staat“ geladen hätte. Am Montagabend eilt der hochgewachsene Sauerländer unbemerkt durch das Foyer der NRW-Landesvertretung, vorbei an den dicht besetzten Stuhlreihen. Nebenan trifft sich die NRW-Landesgruppe der Unionsfraktion. Im Saal aber verkündet vom Podium herab heute Guido Westerwelle die frohe Botschaft des „Mehr Netto vom Brutto“.

Merz am Rande, Westerwelle als Ersatzhoffnungsträger – besser lässt sich die Lage der Wirtschaftsnahen in der CDU kaum beschreiben. Die große Koalition war für sie eine stete Zumutung; die Finanzmarktkrise rüttelt endgültig an Grundfesten. Die Veranstaltung, zu der Wirtschaftsratschef Kurt Lauk geladen hat, wirkt denn auch wie die Rüstzeit einer verunsicherten Glaubensgemeinschaft. „Sie sind im Aufstieg“, begrüßt Lauk den FDP-Chef, „deshalb eine Bitte: Seien Sie nett zur CDU.“

Nötig gewesen wäre die Bitte nicht. Westerwelle ist reizend, nicht zur ganzen, aber doch zu dieser CDU. Er trägt einen schwarz-gelben Schlips, umschmeichelt die Zuhörer als „Verbündete im Geiste“ und malt auch sonst den verletzten Seelen das Paradies, das nach der Bundestagswahl ausbrechen könnte, in den schönsten Farben.

Vor allem im Kontrast zum Grau der Gegenwart. Anklagend hält der Oberliberale den Gesetzentwurf der Koalition zur Banken-Enteignung hoch. Spöttisch liest er den Satz vor, in dem das Bundesfinanzministerium als „Enteignungsbehörde“ bezeichnet wird, was die Steuerzahler immer schon geahnt hätten. „Bürgerliche Mehrheiten betreiben keine Enteignungspolitik“, ruft Westerwelle. Stattdessen sei ihr Hauptprojekt die „Mutter aller Reformen“: Ein „einfacheres, niedrigeres und gerechteres Steuersystem“.

Dem Publikum wird es sichtlich warm ums Herz. Wie lange hat ihnen keiner mehr so aus der Seele gesprochen! Man hört überdies sehr beifälliges Kichern, als Westerwelle über Angela Merkels Ausflug in die Arktis spottet, wo sie im roten Anorak sich vom Abschmelzen der Gletscher habe überzeugen wollen: „Da muss man sehr lange stehen bleiben, um das mit bloßen Augen zu sehen!“ Das Fazit des FDP-Chefs: Nicht alles sei schlecht, was Merkels Regierung mache – „aber in der Innenpolitik brauchen wir eine andere Richtung“. Beifall prasselt.

So hätte es ein schöner, erhebender Abend bleiben können. Doch er ist nicht zu Ende. Erst kommt eine lustlose Diskussionsrunde. Und dann kommt Wolfgang Schäuble. Schäuble hat der CDU einst Reform gepredigt. Heute aber predigt er von Maß und Mitte und vom Unterschied zwischen Klientel- und Volkspartei. Dass die Volkspartei stets Lösungen suchen müsse, die für alle erträglich seien. Dass das mühsam sei, aber nötig, weil genau darin das Profil der CDU liege. Und dass übrigens ein niedrigeres, gerechteres, einfacheres Steuersystem stets Ziel der Partei bleiben werde – in Etappen, und sobald es bezahlbar ist.

Im Saal herrscht Schweigen. Betretenes Schweigen. Etwa so muss es sich anfühlen, wenn nach dem Erweckungsprediger der alte Pfarrer die Kanzel besteigt und die Gläubigen erinnert, dass es das Paradies auf Erden nicht geben kann – und selbst danach erst mal das Fegefeuer.

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