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Geflüchtete aus der Ukraine bei ihrer Ankunft im polnischen Przemysl

© Angelos Tzortzinis / AFP

Update

Nach Kritik aus Politik und Zivilgesellschaft: Tönnies stoppt Anwerbeversuche von Ukraine-Geflüchteten

Der Fleischkonzern hatte Handzettel verteilt, um an Produktionshelfer zu kommen. Experten hatten gewarnt, die Notlage werde ausgenutzt.

Der Fleischkonzern Tönnies hat an der polnisch-ukrainischen Grenze offenbar gezielt Arbeitskräfte unter den Geflüchteten für seine Standorte in Deutschland angeworben. Wie das ARD-Politikmagazin „Panorama“ berichtet, wurden etwa im polnischen Grenzort Przemyśl Handzettel verteilt, mit denen Ukrainer als Produktionshelfer angeworben werden sollen. Einer solcher Flyer liegt der ARD vor.

Wie die ARD erfuhr, wurde die Aktion nach Kritik aus Politik und von Hilfsorganisationen nun gestoppt. Zu den Anwerbeversuchen sei es gekommen, weil das Unternehmen an einer Hilfsaktion beteiligt war, bei der vielfach von Geflüchteten der Wunsch geäußert wurde, schnell einen Job zu finden, so ein Tönnies-Sprecher zu der ARD.

Vielleicht sei man zu voreilig gewesen. Der Konzern wolle mögliche weitere Aktionen künftig mit Behörden und der Politik koordinieren. Bei der Maßnahme sei es nur darum gegangen Menschen zu helfen, so der Sprecher weiter gegenüber dem Sender.

Tönnies hatte die Aktion zuvor auf Anfrage von „Panorama“ bestätigt. Drei Mitarbeiter seien an die polnisch-ukrainische Grenze geschickt worden, damit sie vor Ort den überwiegend weiblichen Kriegsflüchtlingen ein Arbeitsangebot machen können.

„Wir bieten elf Euro die Stunde und liegen damit über dem gesetzlichen Mindestlohn“, erklärte ein Tönnies-Sprecher. Zudem werde den Geflüchteten der Transport nach Deutschland angeboten.

Diese Punkte finden sich auf dem Anwerbezettel:

  • Stundenlohn von 11 Euro
  • 25 Prozent steuerfreier Zuschlag für Arbeit am Sonntag, an Feiertagen oder nachts
  • 24 Tage bezahlter Urlaub
  • Weihnachts-/Urlaubsgeld
  • Unterkünfte für 254 Euro im Monat, die Miete wird dann direkt vom Lohn abgezogen

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Die Grünen-Migrationsexpertin Filiz Polat hielt das Vorgehen des Konzerns für problematisch. „Es ist gut, dass Unternehmen sich für Geflüchtete offen zeigen und ihnen Arbeit anbieten. Aber Menschen, die auf der Flucht sind, noch an der Grenze einen Arbeitsvertrag unter die Nase zu halten, hat etwas Unmoralisches und Würdeloses“, sagte sie. Auch die flüchtlingspolitische Sprecherin der Linken, Clara Bünger, kritisierte, dass Tönnies mit den Anwerbeversuchen die Notlage der Menschen ausnutze.

[Multimedia-Projekt "Ein Tag im Krieg": Hier bloggen Ukrainerinnen und Ukrainer live aus ihrem Alltag.]

Inge Bultschneider von der Interessengemeinschaft “WerkFAIRträge“ bezeichnete die Anwerbeversuche als fragwürdig und geschmacklos. „Sich am Elend zu bereichern und es als gute Tat zu verkaufen, ist in der Fleischbranche nichts Neues. 2015 bei der Flüchtlingswelle haben wir Ähnliches erlebt“, sagte sie. Zudem habe sich Tönnies vor Kriegsbeginn als Putin-Freund bekannt.

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Laut Patrick Walkowiak, der für die Flüchtlingshilfsorganisation Friends of Medyka in Przemyśl arbeitet, befinden sich die Geflüchteten vor Ort in einer absoluten Notlage. Sie könnten in dieser Extremsituation die Anwerbeversuche nicht einordnen.

Das Unternehmen wies die Kritik zunächst zurück. „Wir helfen den Kriegsflüchtlingen vor Ort und bieten ihnen eine Zukunftsperspektive“, so der Unternehmenssprecher. „Wir bereichern uns nicht an der Not der Flüchtlinge. Das ist eine völlig irre Aussage. Wir tarnen auch nichts als gute Tat.“

Darüber hinaus habe Anfang März Clemens Tönnies einen Transport mit Hilfsgütern für Ukraine-Flüchtlinge in Polen begleitet. Dabei habe er auch lange haltbare Wurstkonserven gespendet. (Tsp)

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