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Renate Volbert ist Professorin für Rechtspsychologie an der Psychologischen Hochschule Berlin und erstellt Gutachten in Sexualstrafverfahren.

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Psychologische Gutachterin bei Sexualstraften: „Unsere Methodik stößt an Grenzen“

Gutachterin Renate Volbert über Aussagen als Beweis, die schwierige Befragung von Opfern – und die Herausforderung, überzeugend zu lügen.

Renate Volbert ist Professorin für Rechtspsychologie an der Psychologischen Hochschule Berlin und erstellt Gutachten in Sexualstrafverfahren.

Frau Volbert, es gibt Beratungsstellen, die Vergewaltigungsopfer davor warnen, Strafanzeige zu stellen. Haben Sie dafür Verständnis?

Ein Verfahren kann belastend sein, das ist richtig. Wenn eine Aussage das einzige Beweismittel ist, muss geprüft werden, ob dieses Beweismittel tatsächlich zutreffend ist. Es liegt in der Natur eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens, dass auch kritisch nachgefragt wird. Ich kann aber nachvollziehen, dass Opfer dies als ungerecht empfinden können.

Was spricht trotzdem für eine Anzeige?
Ein generelles Abraten von einer Anzeige würde dazu führen, dass Vergewaltigung nicht verfolgt würde. Ein Prozess kann für Betroffene auch positive Effekte haben. Wenn eine Frau erfährt, dass ihr zugehört wird und ihre Anzeige zu einer Verurteilung führt.

So ein Gutachten signalisiert den Opfern oft: Wir glauben dir nicht. Wie reagieren die Frauen auf Sie als Gutachterin?
Der Gutachtenauftrag bedeutet nicht per se, dass einem nicht geglaubt wird. Er bedeutet erst mal nur, dass ein Gericht in der schwierigen Aussage-gegen-Aussage-Konstellation psychologischen Sachverstand hinzuzieht. Es gibt Zeuginnen, die die Gelegenheit, ihre Erlebnisse ausführlich dazustellen, positiv bewerten. Andere sind zunächst sauer. Ich verstehe das, mir würde es vielleicht genauso gehen.

Wie werben Sie um Vertrauen?
Wir erklären die Funktion und den Ablauf der Begutachtung; das baut oft Unsicherheit ab. Und: Es handelt sich um freiwillige Untersuchungen. Niemand muss kooperieren, wenn er oder sie nicht will.

Wie läuft so ein Gutachten ab?
Wenn ein Auftrag erteilt wird, bekommen wir als Gutachter Zugang zu den Akten. Dann laden wir ein zu einer Begutachtung, bei der wir mit den Zeuginnen sprechen: über das aktuelle Befinden, die biografische Entwicklung und über die Anklagevorwürfe. Manchmal kommen psychologische Tests hinzu, das ist vom Fall abhängig. Aufgrund dieses Materials erstellen wir ein vorläufiges schriftliches Gutachten. Dann werden wir in die Hauptverhandlung geladen und können Zeugen und Angeklagten Fragen stellen. Am Ende der Beweisaufnahme tragen wir ein mündliches Gutachten vor.

Nein heißt nein. Eigentlich ganz einfach. Doch in der Praxis ist die juristische Wahrheitsfindung schwierig. Gutachter kommen an ihre Grenzen.

© imago/CommonLens

Gibt es Hinweise für eine glaubwürdige Aussage?
Wir prüfen systematisch, ob die Aussage anders zustande gekommen sein könnte als durch ein tatsächliches Erlebnis. Bei der Prüfung „wahr“ versus „erfunden“ geht es vor allem um die Qualität der Aussage. Wir wissen, dass sich erlebnisbasierte Aussagen von erfundenen unterscheiden. Es gibt inhaltliche Merkmale, die dafür sprechen, dass jemand auf eine wirkliche Erinnerung Bezug nimmt. Wahraussagende fangen beispielsweise an zu erzählen und sagen so was wie: „Ach, komisch, jetzt weiß ich gar nicht mehr, wie das genau wahr …“ Sie kommentieren sich quasi beim Erinnern selbst. Oder sie berichten nebensächliche Details, die mit dem eigentlichen Handlungsvorwurf nichts zu tun haben.

Darauf könnte ich mich als Lügner doch vorbereiten, oder?
Es geht ja in der Regel nicht nur um einzelne Sätze, sondern es muss ein ganzer Ablauf erfunden werden. Außerdem muss man die Aussage ja auch konstant halten, weil es oft mehr als eine Befragung gibt und man muss aufpassen, nichts zu sagen, was sich eindeutig widerlegen lässt. Überzeugend zu lügen, ist eine sehr hohe kognitive Herausforderung.

Stimmt es, dass Sie sich das Geschehen manchmal rückwärts erzählen lassen?
Das macht man in der Forschung, weil es die kognitive Beanspruchung weiter erhöht. Lügner schneiden da tatsächlich schlechter ab. Aber ich würde nicht jemanden, die in einer Begutachtung über eine fragliche Vergewaltigung berichtet, auffordern, das Ganze rückwärts zu erzählen. Das überschreitet meines Erachtens die Grenze der Zumutbarkeit.

Ist die Zahl der Gutachten mit der Reform spürbar gestiegen?
Als Gutachter sind wir schlechte Gradmesser für veränderte Anzeigezahlen, da wir ja nur eine bestimmte Menge von Aufträgen bearbeiten können und meist ohnehin mehr Anfragen bekommen, als wir annehmen können.

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Seit drei Jahren ist das neue Sexualstrafrecht in Kraft. Doch was bedeutet das in der Praxis? Die Suche nach der Wahrheit ist nicht einfacher geworden. Den ganzen Report lesen Sie hier

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Macht das neue Sexualstrafrecht Ihre Arbeit leichter oder schwerer?
Wenn es in einem Fall ausschließlich darum geht, ob jemand einmal Nein gesagt hat, stoßen wir mit unserer Methodik an Grenzen. Die Unterschiede zwischen wahren und erfundenen Aussagen sind umso größer, je komplexer das Geschehen und die Aussage sind. Angaben von Details zum Raum oder der Situation können wichtige Aufschlüsse über den Wahrheitsgehalt geben, wenn die ganze Aussage infrage steht. Wenn aber der Beschuldigte sagt: Wir hatten Geschlechtsverkehr, aber der war einvernehmlich. Und die Frau hingegen sagt: Es war nicht einvernehmlich, ich habe deutlich Nein gesagt, mich dann aber nicht weiter widersetzt, nachdem mein Nein übergangen wurde – dann ist das Material, auf das wir unsere Analysen stützen können, extrem begrenzt.

Noch komplizierter wird es, wenn Opfer und Täter in einer Beziehung gelebt haben.
Diese schwierige Konstellation habe ich wiederholt als Gutachterin erlebt: Nach dem Bruch einer schwierigen Beziehung kommt es zur Anzeige. Die Aussage „Ich habe das damals nicht gewollt“ kann natürlich stimmen. Manchmal erscheint es aber auch so, dass die Zeugin den Sex in einer bestimmten Situation tatsächlich nicht oder nicht so wollte, diesen aber zugelassen hat, um eine Auseinandersetzung zu vermeiden oder die zu scheitern drohende Beziehung zu retten. Wenn dann die Beziehung am Ende doch zerbrochen ist, steht in der Rückschau das damalige Nichtwollen subjektiv besonders im Vordergrund.

Also eine Falschbezichtigung?
Das ist im engeren Sinne nicht gelogen, aber beschreibt die ursprüngliche Situation auch nicht angemessen. Andererseits muss die Retrospektive nicht immer die falschere Sicht sein. Manche Menschen erkennen erst mit Abstand, dass sie in einer Situation manipuliert worden sind. Solche nachträglichen Erkenntnisse können aber unter Umständen auch die Erinnerung daran ändern, ob oder wie deutlich man einen entgegenstehenden Willen zum Ausdruck gebracht hat. Diese Fälle zu beurteilen, finde ich oft sehr schwer.

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