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Politik: Untersuchungsausschuss: Der Sonderermittler im Kanzleramt findet keine Akten - was der Spendenausschuss untersuchen will, gibt es nicht mehr

"Die Akte enthält über diesen Zeitraum nichts. Kein Blatt Papier.

Von Robert Birnbaum

"Die Akte enthält über diesen Zeitraum nichts. Kein Blatt Papier." Ein Raunen geht durch den Untersuchungsausschuss. Seit einer Stunde trägt Burkhard Hirsch vor. Seit einer Stunde lauschen Abgeordnete und Journalisten immer fassungsloser dem knappen, mit ein paar Overhead-Folien illustrierten Bericht des Sonderermittlers. Bei der Union löst das, was der FDP-Politiker über die Aktenverwaltung im Kanzleramt unter Helmut Kohl berichtet, hektisches Getuschel aus. Was Hirsch seit Februar in den Amtsregalen gefunden - und vor allem: nicht mehr gefunden - hat, birgt Stoff für reihenweise Skandale.

Lücken, Löschungen und Lügen - das ist das Material, aus dem Hirschs Bericht gestrickt ist. Keinen einzigen der Vorgänge, die der Parteispenden-Ausschuss daraufhin untersucht, ob für politische Gefälligkeiten Geld geflossen ist, konnten Hirsch und seine Mitarbeiter in den Akten rekonstruieren. Allein im Fall der Leuna-Privatisierung fehlen meterweise Ordner.

Vielleicht 15 Regalmeter, schätzt Hirsch aufgrund der Aussagen von Mitarbeitern des Kanzleramts, umfasste der Vorgang einmal. Übrig geblieben ist ein Destillat - und auch das nur als unvollständige Kopie -, das das Kanzleramt einst für den Untersuchungsausschuss Treuhand zusammengestellt hat. "Weitestgehend totes Material" sei das, sagt Hirsch - nichts, aus dem sich der Ablauf nachvollziehen ließe.

Der Verkauf der Eisenbahnerwohnungen in den Jahren 1997/98 ist sozusagen überhaupt nicht aktenkundig: Hirsch fand in der Akte fast nur Pressemeldungen. Von sechs Leitungsvorlagen, an die sich Mitarbeiter erinnerten, keine Spur. So wird vielleicht niemand je erfahren, wie es dazu kam, dass eine Investorengruppe um das Millionärsehepaar Ehlerding den Zuschlag bekam, obwohl ein japanisch-deutsches Konsortium eine Milliarde Mark mehr geboten hatte - jene Ehlerdings, die der CDU des Vorsitzenden Kohl im Jahr 1998 die Kleinigkeit von 3,4 Millionen Mark gespendet haben. So geht es weiter. In den Unterlagen über den Verkauf von "Fuchs"-Spürpanzern an Saudi-Arabien stieß Hirsch, unterstützt von zwei Beamten des Bundeskriminalamts, auf zwei Lücken. Die eine umfasst zwei Wochen im September 1990, die andere fast drei Jahre von Oktober 1990 bis Januar 1993. Damit fehlen die entscheidenden Daten: Jene Wochen, in denen sich die Bundesregierung vom strikten Nein zu dem Waffengeschäft plötzlich zum Ja umentschied.

"Die Akte enthält über diesen Zeitraum kein Blatt Papier", ist alles, was Hirsch dazu sagen kann. Das ist noch weniger als beim zweiten der Geschäfte, in denen der Waffenhändler und Millionenspender Karlheinz Schreiber seine Finger hatte - die geplante "Bearhead"-Panzerschmiede des Thyssen-Konzerns in Kanada. Da stießen die Ermittler auf 32 Blatt - versteckt im Ordner über die Brennerei Asbach Uralt.

Bleibt noch zu berichten von drei Tagen im Herbst 1998. Am 30.9., am 6.10. und am 22.10. hat der Zentralrechner des Kanzleramts jeweils größere Löschaktionen vermerkt. Pech für die Reißwölfe, dass nicht nur die Maschine diese verräterischen Daten aufgezeichnet hat, sondern im Keller des Kanzleramts auch 99 Bänder mit Sicherungskopien unbeachtet in einem Schrank herumlagen. Zwei Drittel der Dateien sind in den letzten Tagen der schon abgewählten Regierung Kohl zentral gelöscht worden. Wer das angeordnet hat, hat Hirsch nicht herausfinden können.

Aber die Darstellung des für die Technik zuständigen Abteilungsleiter 1, das Löschen sei seine Idee gewesen, glaubt der Sonderermittler so wenig wie die Beteuerung des damaligen Kanzleramtschefs Friedrich Bohl, zur Löschung seien nur Entwürfe oder Duplikate freigegeben worden.

Nach dem wenigen, was die Experten rekonstruieren konnten, ist sich Hirsch sicher: Da ist "nicht nur irgendwelcher Firlefanz" von den Festplatten verschwunden. "Ich habe ein reines Gewissen", hat Bohl noch am Mittag bekräftigt. Etwa zur gleichen Zeit ging Hirschs Bericht auf die Reise nach Bonn: Zur weiteren Behandlung durch den Staatsanwalt.

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