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Demonstranten vor einer Flüchtlingsunterkunft im sächsischen Heidenau warten im Sommer 2015 auf "Volksverräterin" Angela Merkel.

© Jan Woitas/dpa

Unwort des Jahres: "Volksverräter": Stellung beziehen gegen rechte Sprache

Der von den Nationalsozialisten geprägte Begriff ist wieder auf rechten Demonstrationen zu hören. Die Entscheidung der Jury richtet sich gegen eine Normalisierung derartiger "Unwörter".

Stellung beziehen gegen die zunehmende Normalisierung rechter Sprache in der öffentlichen Auseinandersetzung – diese Linie verfolgen die Juroren der sprachkritischen Aktion „Unwort des Jahres“ seit Jahren konsequent. Das Unwort 2016 passt in diese Linie: Es ist der Begriff „Volksverräter“. Hinter dem Wort steht die Idee, dass es einen kollektiven Volkswillen gebe, der von „Volksfeinden“ - aktuell meist gewählten Politikern - „verraten“ werde. Die Jury begründete die Wahl damit, das Wort sei als Vorwurf gegen Politiker „in einer Weise undifferenziert und diffamierend, dass ein solcher Sprachgebrauch das ernsthafte Gespräch und damit die für Demokratie notwendigen Diskussionen in der Gesellschaft abwürgt".

Anders als in den vergangenen Jahren wurde kein weiteres Unwort genannt. Es hieß, man wolle der Kritik mehr Gewicht verleihen, die sich an dem derzeit in sozialen Netzwerken, aber auch in der Politik zunehmenden Sprachgebrauch mit faschistischem und fremdenfeindlichem Hintergrund ausdrücke. 

Begriff der Nationalsozialisten

Zunächst tauchte der Begriff „Volksverräter“ während des Ersten Weltkriegs in der Nachbarschaft von Begriffen wie der „Dolchstoßlegende“ auf, wurde dann zunehmend in der Weimarer Republik als Waffe gegen die demokratisch geprägten Anhänger der gewählten Regierung verwendet. Geprägt wurde der Begriff aber vor allem in der Sprache der Nationalsozialisten.

Sie führten nach der Machtergreifung den Tatbestand des „Volksverrats“ im Strafrecht ein – als „unmittelbar gegen das deutsche Volk gerichtete Verbrechen eines Volksgenossen, der die politische Einheit, Freiheit und Macht des deutschen Volkes zu erschüttern trachtet“. Konsequent war es der „Volksgerichtshof“, der diesen Tatbestand in letzter Instanz festzustellen hatte und häufig mit der Todesstrafe sanktionierte.

Nach dem Krieg verschwand der Begriff weitgehend aus dem öffentlichen Sprachgebrauch. Heute aber wird er wieder häufig auf rechten Demonstrationen und in den sozialen Netzwerken benutzt. 2015 zum Beispiel war das Haus des Grünen-Politikers Sören Herbst in Magdeburg mit einem Galgen und dem Wort „Volksverräter“ beschmiert worden. Auch Gregor Gysi wurde als „Volksverräter“ beschimpft, wie der Linken-Politiker twitterte. Zur Entscheidung der Jury schrieb Gysi am Dienstagmittag: „Man sollte dieses #Unwort aus den Köpfen streichen."

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Der Berliner Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch analysiert: Diese Häufigkeitsentwicklung lese sich „wie eine Fieberkurve völkischen Denkens in Deutschland“. Der häufige und laute Gebrauch des Worts zeige, dass die aktuelle, häufig als „rechtspopulistisch“ verharmloste Stimmung in großen Teilen der Gesellschaft diskursiv direkt an dieses Denken anschließe.

Nach „Lügenpresse“ und „Gutmensch“

Die Entscheidung der Jury unter Leitung der Linguistin Nina Sobich schließt damit an die ähnlich gelagerten „Unwörter“ seit 2013 an: Damals, noch vor der Flüchtlingsdebatte, war es der „Sozialtourismus“, dann folgten „Lügenpresse“ und „Gutmensch“. Folgt man der Jury zurück, dann liegen die Wurzeln der aktuellen Entwicklung in der Wendezeit: Das erste „Unwort“ 1991 hieß „ausländerfrei“ und schloss an die Ereignisse von Hoyerswerda an.

Zwischenzeitlich richtete sich die Kritik der Juroren der Gesellschaft für deutsche Sprache eher gegen Politiker und Wirtschaftsbosse, beispielsweise 1994 gegen den ehemaligen Deutsche-Bank-Chef Hilmar Kopper, der den vom Immobilien-Pleitier Jürgen Schneider angerichteten 50-Millionen-Schaden als „Peanuts“ bezeichnet hatte.

Zurückgehen wird der Gebrauch des Wortes „Volksverräter“ nach der Entscheidung sicherlich nicht. Im intensiv genutzten Forum der rechten Website „pi-news“ hieß es am Dienstagmorgen bereits: „Volksverräter ist also das Unwort des Jahres 2016. Dann sollte man dieses Wort – politisch inkorrekt – jetzt vielleicht öfters benutzen.“ Auf der Website werden einschlägige Texte auch längst unter das Schlagwort einsortiert.

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