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Ursula von der Leyen

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Große Koalition: Ursula von der Leyen soll Verteidigungsministerin werden

Es gibt einige Überraschungen bei den Kabinettsmitgliedern der Union und ihren Ressorts. Ursula von der Leyen soll Verteidigungsministerin werden. Ronald Pofalla scheidet auf eigenen Wunsch aus. Ihm folgt Peter Altmaier.

Von Robert Birnbaum

Auf eins ist Verlass, wenn Angela Merkel sich ein Kabinett zusammenbaut: Es kommt gerne anders, als fast alle dachten. 2005 zum Beispiel tauchte Thomas de Maizière als Überraschungskandidat im Kanzleramt auf und der Hesse Franz-Josef Jung im Verteidigungsministerium. Dass das Büro des Oberbefehlshabers im Bendler-Block jetzt wieder zum Angelpunkt eines Merkelschen Kabinettspuzzles wird, ist sicher nur ein Zufall, umso skurriler, als bisher de Maizière dort scheinbar unverrückbar saß. Aber unverrückbar war nichts mehr seit dem Moment, an dem die Kanzlerin akzeptieren musste, dass ein zentraler Baustein aus dem CDU-Puzzlekasten sich selbst aus dem Spiel nahm. Ronald Pofallas Rückzug hat der CDU ein turbulentes Wochenende beschert – und dem Land ein paar unerwartete Minister.

Warum Ronald Pofalla nicht mehr will

Wann Merkel von ihrem wichtigsten Zuarbeiter erfahren hat, dass er aussteigen will, ist nicht ganz klar. Pofalla hat seit langem eng an der Seite der CDU-Chefin gestanden, schon in Oppositionszeiten. Als Generalsekretär, als Verbindungsmann zu den Gewerkschaften, zuletzt vier aufreibende Jahre als Kanzleramtschef der schwarz-gelben Chaoskoalition hat der Niederrheiner der Chefin im Hintergrund den Rücken freigehalten und im Vordergrund dafür oft Prügel bezogen. Dass ihm selbst Merkels grandioses Wahlergebnis nicht den Weg in sein Wunschressort eröffnet hat – das Arbeitsministerium landet in einer großen Koalition zwangsläufig bei der SPD –, mag bei der Entscheidung zum Ausstieg eine Rolle gespielt haben. Aber vielleicht steckt am Ende eine viel nüchternere Rechnung dahinter. Pofalla ist jetzt 54, er hat eine deutlich jüngere Lebensgefährtin, und Merkels dritte Amtszeit wird nach menschlichem Ermessen die letzte sein. Auf der Liste der Merkel-Erben steht er nicht weit oben. Wann, wenn nicht jetzt, soll sich so einer eine zweite Karriere in der Wirtschaft suchen?

Seit Samstag jedenfalls war klar: Im CDU-Teil des Kabinetts ist auf einmal ein Posten mehr zu vergeben als bis dahin allgemein vermutet. Und: Einer dieser Posten wird der des Innenministers sein. Dass die CSU dieses Schwergewichts-Ressort räumen muss, war eins der lange gut gehüteten Geheimnisse zwischen den Parteichefs Merkel, Horst Seehofer und Sigmar Gabriel. Richtig überraschend ist der Zug freilich nicht. Seehofer hat zwar öffentlich viel hergemacht von der neuen Stärke der absoluten Mehrheits-CSU. Aber intern war dem Bayern klar, dass seine Partei in der großen Koalition der mit Abstand kleinste Partner ist und also Federn lassen muss. Ein wichtiges Ministerium wie der Verkehr, dazu ein für die CSU zentrales Haus wie die Landwirtschaft – da bleibt als freundliches Zugeständnis der großen Schwester CDU dann nur noch ein kleines Haus übrig.

Peter Ramsauer bekommt angeblich das Agrarressort, das ist aber nicht sicher

Und so hat Seehofer denn am Samstagabend die drei formell ins Bild gesetzt, die er als seine Statthalter im Kabinett ausgesucht hat: Alexander Dobrindt, der Generalsekretär, übernimmt das Verkehrsministerium, also auch die diffizile Umsetzung des Prestigeprojekts Pkw-Maut. Aber er hat einen Trost dabei. Dobrindt bekommt die Zuständigkeit für den Ausbau der Digitalnetze. Damit wird er im stärksten Industrieland in Europa nicht nur Herr über die Infrastruktur des 20., sondern auch des 21. Jahrhunderts. Hans-Peter Friedrich kriegt den CSU-Trostpreis – das Entwicklungsministerium. Immerhin, der Ex-Innenminister bleibt im Kabinett. Bei Peter Ramsauer schien das nicht sicher. Er muss seinen Stuhl für Dobrindt räumen; aber ob der oberbayerische Erststimmenkönig sich künftig um die – obendrein um den Verbraucherschutz erleichterte – Landwirtschaft kümmern soll oder die weithin unbekannte Abgeordnete Marlene Mortler das Amt bekommt, war noch nicht letztlich klar.

Seehofer hatte bei seinem Mini-Puzzle als derzeitiger CSU-Alleinherrscher trotzdem relativ leichtes Spiel; im Kern war es wohl schon vor dem Wochenende fertig. Da fing Merkel erst richtig an. Was sich nach vielen Telefonaten und Gesprächen dann herausschälte, darf man eine dicke Überraschung nennen. Und sie spielt einmal mehr im Verteidigungsressort im Bendler-Block.

Die Überraschung ist das Ergebnis einer Frage, über die sich die Beobachter des Berliner Politbetriebs schon seit geraumer Zeit Gedanken machen: Wohin mit „Röschen“, wie sie Ursula von der Leyen zu Hause zu nennen pflegten? Ihr Arbeitsministerium fällt an die SPD, das Familienministerium ebenso, in dem sie furios ihr Debut auf Bundesebene hingelegt hatte. Furios ist sie zuletzt auch im Wahlkampf aufgefallen, eine unermüdliche Talkshow-Besucherin und damit neben Merkel und dem Kabinettssenior Wolfgang Schäuble so etwas wie das öffentliche Gesicht der CDU.

Helm auf für Ursula von der Leyen

Dass die gelernte Ärztin sich nicht mit dem Gesundheitsministerium abspeisen lassen würde, musste jedem klar sein, der Leyens zielstrebigen Ehrgeiz kennt. Das Ressort bietet in den nächsten vier Jahren absehbar viel Ärger, aber wenig Gestaltungsspielraum; große Reformen verhindert der Koalitionsvertrag. Zu wenig für eine Frau, von der hochgestellte Parteifreunde schon mal spöttisch-bewundernd sagen, dass sie „auf Parteichefin übt“, mindestens. Selbst Leute, die sie wegen ihrer Neigung zum Alleingang nicht mögen, räumen ein: Es wäre eine Verschwendung der nicht gerade üppigen Personalressourcen der CDU gewesen, diese Frau nicht weithin sichtbar ins Kabinettsschaufenster zu stellen.

Da steht sie nun: Deutschlands erste Verteidigungsministerin. Der Weg dahin führte über einen halbherzigen Versuch, das Gesundheitsministerium durch die Zuständigkeit für die Rente aufzuwerten. Er scheiterte daran, dass die SPD nicht mit einem beschnittenen Familienministerium für ihren Jung-Star Manuela Schwesig einverstanden war. Dann kam das Innenministerium ins Blickfeld. Aber obwohl es nirgends vorgeschrieben steht – dass das zweite der Verfassungsressorts von einem Juristen geleitet werden sollte, ist durchweg respektierte Tradition.

Nun also: Helm auf! Dass das ein Experiment ist, dürfte allen Beteiligten klar sein. Leyen hat fraglos reichlich Verwaltungserfahrung, sie lernt schnell und gründlich. Ebenso fraglos ist ihre Fähigkeit, sich in der Männergesellschaft Bundeswehr Respekt zu verschaffen, notfalls mit eisernem Lächeln. Der Vorgänger hat ihr eine Armeereform hinterlassen, die in der neuen Koalition politisch unstrittig ist, Außenminister Frank-Walter Steinmeier ist ein angenehmer Gegenpart. Aber wie rasch auch ein erfahrener Politiker in dem Amt auf den Schleudersitz geraten kann, hat de Maizières Kommunikationsdesaster um die Drohne „Euro Hawk“ gezeigt. Hält Leyen freilich unbeschadet durch, steht ihr in Zukunft vieles offen. Dass in jeder Generation nur einer Kanzler wird – der Satz stammt zwar von ihr selbst, stimmen muss er trotzdem nicht. Auch die Niedersächsin kann sich leicht ausrechnen, dass Angela Merkels dritte Amtszeit die letzte wird.

Hermann Gröhe wird Gesundheitsminister

De Maizière aber kehrt dorthin zurück, wo er bis zum schlagartigen Ende des Karl-Theodor zu Guttenberg gesessen hatte, an den Schreibtisch des Herrn über die innere Sicherheit. Ob er darüber glücklich ist, steht dahin. Merkels alter Weggefährte ist aber innerer Preuße genug, um das Primat der Kanzlerin in Personalfragen anzuerkennen. Nato-Generalsekretär könnte er ja im nächsten Jahr vielleicht immer noch werden. Der Rest des CDU-Kabinettszuschnitts ergab sich dann: Der alte Getreue Peter Altmaier soll an Pofallas Stelle im Maschinenraum des Kanzleramts dafür sorgen, dass das Regieren glatt und geräuschlos läuft. Hermann Gröhe, Generalsekretär des „Angie“-Wahlkampfs, geht als Gesundheitsminister ins Kabinett. Johanna Wanka bleibt, was sie war. Die Bildungsministerin war Notbesetzung, als Merkel ihre Vertraute Anette Schavan verlor, aber die Kanzlerin hat sie in der kurzen Zeit schätzen gelernt. Und Wolfgang Schäuble, natürlich, bleibt Herr des Geldes. Er ist in diesen Tagen der Einzige gewesen, der sich keine Job-Gedanken machen musste.

So werden sie also am Dienstag antreten beim Herrn Bundespräsidenten, nachdem die Kanzlerin gewählt ist und Joachim Gauck formal ihr neues Kabinett zur Ernennung vorgeschlagen hat. Amtlich bekannt gegeben wird das alles übrigens erst an diesem Sonntagabend, so wie es die drei Parteichefs verabredetet hatten. Aber ein bisschen kurios ist selbst Merkel, Seehofer und Gabriel die inzwischen vergebliche Geheimnistuerei dann doch erschienen. Seit Samstagabend ist zumindest der Ressortzuschnitt des neuen Kabinetts ganz offiziell.

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