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Aufmarsch zum Abmarsch. Nach der Grundausbildung kommt das Gefechtstraining, dann der Einsatzbefehl. 30.000 zusätzliche Soldaten will US-Präsident Obama bis Sommerende nach Afghanistan geschickt haben, sie füllen auch die Lücke, die die jetzt abrückenden niederländischen Truppen reißen.

© Peter Pereira/laif

US-Rekruten für Afghanistan: Hallo, hallo, Infanterie!

Immer neue US-Soldaten werden nach Afghanistan geschickt, und immer mehr von ihnen kehren versehrt heim. Über ein Rekrutierungsbüro in Georgia, die Suche nach Nachwuchskämpfern und Fragen nach Waffen, Töten, Geld.

Die Fragen, die Staff Sergeant Bobby Marlowe und seinem Kameraden Romond Waldron gestellt werden, sind immer dieselben. Die Reihenfolge aber ändert sich. Die Fragen lauten:

Haben Sie jemanden getötet?

Haben Sie jemanden sterben sehen?

Wie hoch ist der Bonus?

Ihre Reihenfolge hängt ab von der wirtschaftlichen Lage. Die ist in den USA derzeit wenig rosig. Deshalb kommt derzeit die Frage nach dem Bonus als erste.

Die Staff Sergeants Bobby Marlowe und Romond Waldron sind zwei von vier Unteroffizieren, die im Rekrutierungsbüro der US-Army in Roswell arbeiten, einer Vorstadt im Norden von Atlanta, Georgia. Ihr Büro liegt an einer Ausfallstraße mit Tankstellen, Fastfood-Restaurants und Motels. Gebäude wie von einem grauen Film überzogen. Ein leeres Orthopädiegeschäft, ein Laden für Hörgeräte, eine Filiale des Autoverleihers Avis, ein Steuerberatungsbüro und am Ende der Ladenzeile sie.

Wenn sie nicht im Büro sitzen und auf Interessierte warten, fahren sie in die Schulen oder auf Sportplätze der Umgebung und werben dort um Nachwuchs für die Streitkräfte der USA. Sie sagen, dass es einen Einschreibebonus von rund 13 300 Dollar gebe. Und dass die neuen Soldaten körperlich und geistig gesund sein müssen. Dass ein Highschool-Abschluss gut sei und eine saubere Polizeiakte Pflicht. Das war nicht immer so. Als die Zeiten besser waren und das Interesse am Dienst an der Waffe gering, lockerte die Army ihre Zugangshürden, nahm Übergewichtige und Kriminelle.

Die Army braucht Nachwuchs, denn US-Präsident Barack Obama will bis Ende dieses Sommers 30 000 zusätzliche Soldaten nach Afghanistan gesandt haben. Sie werden auch benötigt, um die Lücke zu füllen, die die Niederlande reißen, die seit Sonntag ihre Truppen abziehen.

Marlowe ist 30 und seit zwölf Jahren bei der Army. Ein sanfter Hüne mit glatter, rosiger Haut und kahl geschorenem Schädel. Waldron ist 34, ein Afroamerikaner mit fröhlich-flinken Augen, und seit 14 Jahren dabei. Sie sind Recruiter, wie sie sich die US Army nicht besser wünschen könnte: glaubwürdig, weil erprobte Kriegsteilnehmer. Marlowe war dreimal im Irak, der letzte Einsatz dauerte 15 Monate. Waldron war zweimal im Irak und zweimal in Bosnien. Sie dienten in Logistik- und Unterstützungseinheiten; Marlowe als Lastwagenfahrer und Waldron im Personalwesen.

An diesem Vormittag machen sich die beiden Unteroffiziere auf den Weg zur Johns-Creek- Highschool, etwa 30 Kilometer nördlich von Atlanta. Rollköfferchen und Plastiksäcke sind prallvoll mit Werbematerial: Schlüsselketten, Gummiarmbänder, Kugelschreiber, T-Shirts und Baseballcaps mit dem „Go Army“-Logo.

Im Speisesaal der Highschool bauen sie ihren Tisch mit Werbematerial auf, beide in Tarnuniformen, und warten auf die Schüler. Die Pausenglocke schrillt und kurz darauf scharen die Jugendlichen sich schon um die Unteroffiziere. Wollen über Spezialeinheiten reden, über Waffen, über Krieg.

„Waren Sie im Irak?“

„Haben Sie jemanden getötet?“

„Haben Sie Kameraden sterben sehen?“

„Ich versuche immer, ehrlich zu sein“, sagt Marlowe. Auch dann, wenn sein Gegenüber noch im Kinderzimmer wohnt und kaum ernsthaften Bartwuchs hat. „Ich sage denen, ich war Lkw-Fahrer. Ich habe bei meinen drei Einsätzen im Irak ein einziges Mal gefeuert, und der Schuss hat niemanden getroffen.“ Er zögert einen Moment, dann bemüht er die Statistik: „Wenn man im Irak in einer Logistikeinheit dient, dann ist das Risiko zu sterben nicht viel größer als auf den Straßen von Atlanta.“

Anders als in ihrem Büro, wo sie es mit gestandenen Männer zu tun haben, geht es hier an der Schule für die Recruiter nicht darum, „Quote zu machen“, wie es im Jargon heißt, also Rekruten zu verpflichten, sondern darum, die nächste Generation von Soldaten für eine Karriere in der US-Armee zu erwärmen. „Wir sind einer der größten Arbeitgeber in den USA“, sagt Staff Sergeant Romond Waldron, „mit 150 verschiedenen Jobs, von Arzt über Koch bis Mechaniker“.

Joey, ein schlaksiger Teenager mit bleichem Gesicht, will ein Baseballcap. „Für 30 Liegestütze“, sagt Marlowe. Joey wirft sich auf den Boden. Jetzt wollen alle eine Mütze, nach wenigen Minuten liegen ein Dutzend Jugendliche, darunter auch ein paar Mädchen, auf dem Boden und machen Push-ups, andere lachen, zählen, feuern an. 15 Liegestütze für eine Schlüsselkette, 100 für ein T-Shirt. Alvaro will ein T-Shirt für seine Freundin verdienen, ein zartes Mädchen mit bleischwerem Make-up. Nach 50 Liegestützen gibt er auf. Als Trostpreis gibt es einen Kugelschreiber im Army-Design. „Das war eine coole Mittagspause“, sagt er.

Einige Schüler fragen Sergeant Waldron, ob er Angst gehabt habe im Irak und ob es im Krieg wirklich so gefährlich zugehe, wie es im Fernsehen aussehe. Da sagt er: „Schaut her, hier bin ich. Immer noch gesund, lebendig und 200 Pfund schwer.“ Und Sergeant Marlowe murmelt, er erzähle eben nur die guten, die harmlosen Kriegsgeschichten. „Die anderen, na ja, die lass’ ich weg.“

Die anderen Geschichten: Dass in den Kriegen im Irak und in Afghanistan bislang rund 5500 US-Soldaten fielen und knapp 40 000 verwundet wurden. Dass sich seit 2001 die Selbstmordrate in der US-Armee verdoppelt hat. 2009 nahmen sich mehr als 200 Soldaten das Leben, eine Rekordzahl. Dass Alkohol- und Drogenmissbrauch und häusliche Gewalt unter Kriegsheimkehrern zunehmen. Dass nach aktuellen Erhebungen jeder fünfte US-Soldat, der im Irak oder Afghanistan im Einsatz war, Symptome von PTBS zeigt, dem posttraumatischen Belastungssyndrom, für dessen Erforschung im aktuellen Verteidigungshaushalt der letzten Supermacht insgesamt 3,3 Milliarden Dollar eingestellt sind.

Fort Benning in Georgia, an der Grenze zum Bundesstaat Alabama. Einer der größten Stützpunkte des Heeres. Hier, in der 198. Infanteriebrigade, absolvieren rund 5000 Rekruten ihre 14-wöchige Grundausbildung zum Infanteristen: Umgang mit dem Gewehr, Fußmärsche, Orientierung im Gelände, Häuserkämpfe.

Sergeant First Class Bernie Brooks ist Ausbilder der Echo Company 2-58, er ist der Drill Instructor, seit 13 Jahren beim Heer, zweimal im Irak. Mit ihm singen die Soldatenazubis markige Marschlieder: „Hallo, hallo, Infanterie! Die Infanterie ist mein Leben! Ich will ein Teil der Kampfmaschine sein! Der schlanken, gefährlichen Kampfmaschine!“

Sein Job sei es, „die Zivilisten zu brechen und dann als Soldaten wieder aufzubauen“, sagt Sergeant First Class Bernie Brooks. Sechs Wochen Boot Camp haben die 200 Rekruten schon hinter sich und sind eingeschworen auf ihr neues Ich. Private Ronald Green aus Missouri, ein Afroamerikaner mit strengem Blick, hat in der Army seine Bestimmung gefunden: „Ich bin hier, um ein besserer Mensch zu werden. Ich will in den Spiegel schauen und stolz auf mich sein.“ Green ist 23 Jahre alt, und nach der Highschool habe er nichts Vernünftiges getan, sagt er, nur Partys gefeiert. Die Army sei das Beste für ihn, Angst vor dem Kampfeinsatz hat er nicht, im Gegenteil. „Das ist es, wozu der Infanterist geschaffen ist“, sagt er. Oder: „Wenn ich einmal Kinder habe, dann kann ich sagen: Ich war Teil der Geschichte, und ich habe etwas aus meinem Leben gemacht.“

Nach 14 Wochen Boot Camp werden die Rekruten zu den Luftlandetruppen, den Fallschirmjägern, den Spezialeinheiten versetzt. Und nach ein paar weiteren Wochen Gefechtstraining nach Afghanistan oder Irak geschickt.

„Ich will dort sein, wo die Kämpfe sind“, sagt Private Cody Harbin. Man müsse eben aus besonderem Holz geschnitzt sein, um sein Leben für Amerika zu riskieren, und überhaupt: „Wir wollen unserem Land und unseren Kameraden in schweren Zeiten beistehen, wir wollen alles geben und hoffen, dass wir heil nach Hause zurückkommen.“

Doch für eben das sinken die Chancen. Es gibt immer mehr mental Verwundete, Stichwort PTBS. Der Name ist jung, aber die Krankheit gibt es so lange, wie Menschen Kriege führen. Im Ersten Weltkrieg sprach man vom „shell shock“, vom Granatfieber, vom Kriegszittern, im Zweiten Weltkrieg von Kriegsneurosen, später vom Vietnamsyndrom. Die Symptome: Depressionen, Erschöpfungszustände, Gedächtnislücken, Schlafstörungen, Albträume, Reizbarkeit bis zu unkontrollierten Gewaltausbrüchen. Der Amoklauf von Nidal Malik Hasan auf dem Stützpunkt Fort Hood in Texas Ende 2009 kostete 13 Soldaten das Leben. Hasan war Militärpsychiater und Traumahelfer. Die wachsende Zahl PTBS-Kranker besorgt das Pentagon, auch wegen der andauernden Truppenverlegung nach Afghanistan. Unter besonderer Beobachtung stehen deshalb die Ausbilder, meist Unteroffiziere, kampferprobte Soldaten wie Sergeant First Class Bernie Brooks, der Drill Instructor aus Fort Benning. Zu Beginn der Ausbildung klärt er die Rekruten über die Warnsignale von PTBS auf. Und über die Gefahren, wenn die Krankheit unbehandelt bleibt. „Oft haben die Rekruten Heimweh, sie fühlen sich ausgebrannt und ausgeschlossen vom Team“, sagt Brooks. „Sie geben sich auf, da müssen wir aufpassen.“ Der Ausbilder spricht aus Erfahrung: Er hat im Irak Kameraden an Traumata zerbrechen sehen. Auch bei ihm selbst wurde PTBS diagnostiziert. „Damit ist nicht zu spaßen.“

Bei den Rekruten der Echo Company 2-58 scheint die Botschaft angekommen. Sie alle würden Hilfe suchen, versichern sie pflichtbewusst, sollte der posttraumatische Stress sie eines Tages überwältigen. Auch Private Cody Harbin, der Rekrut aus Georgia, der so gerne kämpfen will, sagt: „Ich hab keine Probleme damit, um Hilfe zu bitten. Wir sind ja schließlich alle Menschen.“ Er reibt seine Hände, die ölverschmiert sind vom Training im Schießstand. „Je kaputter du bist, desto kaputter ist alles andere um dich herum.“ Also sei es besser, darüber zu reden. Aber das ist für die Zukunft.

Vor dem Rekrutierungsbüro in Roswell sitzt Mark Gutierrez, 24, in seinem alten Pick-up. Er hat eine Ausbildung als Elektriker, aber keinen Job mehr, seit die Baufirma, für die er arbeitete, vor einem halben Jahr pleiteging. Eine neue Arbeit kann er nicht finden, muss er aber, er hat eine Frau und zwei Söhne. Die Armee ist sein letzter Ausweg. Dort gebe es sicheres Geld und eine Krankenversicherung für die ganze Familie. Wenn auch nur im Tausch für das Risiko, in den Krieg geschickt zu werden. „Das hätte mich vor zwei Jahren noch abgeschreckt, jetzt nicht mehr“, sagt er. Jetzt mache er jeden Job. Dann steigt er aus, geht in das Rekrutierungsbüro am Ende der kleinen verwaschenen Ladenzeile an der Ausfallstraße von Roswell, Georgia, und füllt den Bewerbungsantrag aus.

Katja Ridderbusch[Atlanta]

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