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Donald Trump habe die EU vom Partner zum Gegner herabgestuft, stellt Sigmar Gabriel (SPD) fest.

© picture alliance / Michael Kappe

US-Strafzölle und transatlantische Krise: Wir Europäer können nicht mit Trump

Bei den jetzt verhängten Strafzöllen geht es um weit mehr als um Handel. Wie eine Antwort darauf aussehen könnte - und wie auf keinen Fall. Ein Gastbeitrag.

Offenbar gilt für die vielen Gespräche europäischer Politiker mit US-Präsident die alte Weisheit des englischen Dichters Samuel Johnson: „Es ist wie mit einer zweiten Ehe: Die Hoffnung triumphiert über die Erfahrung.“ Denn nach dem Austritt aus dem Atom-Abkommen mit dem Iran demonstriert der Präsident unseres wichtigsten Verbündeten mit seinen Strafzöllen gegen Europa zum zweiten Mal, was er von uns hält: nichts. Im Gegenteil: Donald Trump hat mit seiner Entscheidung, Strafzölle auch auf Aluminium- und Stahlerzeugnisse aus Europa zu erheben, die bisherigen Partner der USA zu einer Gefahr für die nationale Sicherheit seines Landes erklärt.

Denn exakt auf diese Ausnahmebestimmung der Welthandelsorganisation WTO, die Strafzölle in Fällen einer Gefahr für die nationale Sicherheit erlaubt, beruft sich die amerikanische Regierung mit ihrer Entscheidung. Statt eines Verbündeten wird Europa zu einem Gegner. Zu einer Bedrohung für die USA. Diese Verrohung der transatlantischen Beziehungen sind weitaus schlimmer als die wirtschaftlichen Einbußen, die uns durch Strafzölle drohen. Denn das zeigt, dass morgen der nächste Kampfplatz eröffnet werden kann, z.B. die Automobilindustrie. Die damit erzeugte Unsicherheit wird der Weltwirtschaft insgesamt Schaden zufügen und droht dadurch überall – auch in den USA – eher zum Verlust von Arbeitsplätzen und sozialer Sicherheit beizutragen. Der Welthandel ist eben kein Nullsummenspiel, bei dem der eine das gewinnt, was der andere verliert. Sondern durch internationale Wertschöpfungsketten gewinnen am Ende alle, weil sie Effizienz und Arbeitsteilung fördern.

Vor allem aber stellt sich die Frage: Wie sehr können wir uns eigentlich in allen anderen Feldern internationaler Politik noch auf die USA verlassen? Die von den Amerikanern nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffene internationale Ordnung sicherte ja Regeln, die in vielfältiger Hinsicht die friedliche Konfliktbeilegung ermöglichen. Sie sollte von allen akzeptierte Regeln zur Grundlage der internationalen Politik machen. Das war immer unvollkommen und nie widerspruchsfrei, aber allemal besser als eine Welt ohne Regeln.

Was planen die USA und China? Auf jeden Fall ohne Europa

Wenn die USA – wie übrigens in anderen Fällen auch China – bestehende Regeln etwa der WTO nicht mehr akzeptieren, welche Weltordnung wird dann folgen? Keine, oder am Ende eine G-2-Welt, gestaltet von China und den USA – und vor allem ohne Rücksicht auf Europa? Denn die derzeitigen Verhandlungen zwischen diesen beiden großen Nationen drehen sich um weit mehr als um Handel. Dort wird die Welt neu vermessen. Und zwar ohne uns Europäer. Und sicherheitspolitisch: Wie glaubwürdig ist eigentlich eine Sicherheitspartnerschaft langfristig innerhalb der Nato, wenn die USA Europa nicht als Alliierten ansehen, sondern bestenfalls als zu vernachlässigende Größenordnung und schlimmstenfalls als Gegner? Die Wahrheit ist: Wir Europäer können nicht mit Donald Trump aber auch nicht ohne die USA. Wer zwischen den Stühlen sitzt, landet schnell auf dem Hosenboden, und genau das droht uns jetzt.

Es geht also um weit mehr als um Handel. Aber natürlich geht es auch um ihn. Die europäischen Mitgliedsstaaten sollten ihre Experten für Fachhandel nach Brüssel abordnen, damit die EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström mehr Kapazitäten hat, um die vielen Freihandelsabkommen abzuschließen, die der Rest der Welt mit uns gerade wegen der Unberechenbarkeit der US-Politik verhandeln will. Das würde uns Europäer weltweit stärker machen. Vielleicht verstehen ja die Skeptiker in Deutschland jetzt endlich, wie wichtig das Freihandelsabkommen CETA mit Kanada war, das hierzulande so unglaublich bekämpft wurde. Im Rest Europas war man schon angesichts dieser deutschen Egozentrik hochgradig irritiert. Heute wären wir froh, wenn wir etwas Ähnliches mit dem US-Präsidenten Barack Obama hätten abschließen können. Rückblickend erscheint die dreijährige Selbstbeschäftigung Deutschlands zu dieser Frage noch absurder, als sie es damals bereits war.

Unsere europäische Reaktion muss deshalb vielfältiger sein als nur mit handelspolitischen Gegenmaßnahmen zu reagieren. Die braucht es auch, kein Zweifel. Und Deutschland darf dabei keine Sonderwege gehen. Es stimmt: Wir sind durch unsere Exportabhängigkeit stark und schwach zugleich. Als Industrialisierer der Welt hängen Millionen von Arbeitsplätzen unseres Landes vom Export ab. Gleichzeitig sind wir aber durch Handelsauseinandersetzungen besonders verletzbar. Auch das ist ein Grund, warum gerade Deutschland ein Interesse an Freihandelsabkommen haben muss, selbst dann, wenn sie nicht perfekt sind.

Sonderregelungen mit den USA wären der Garaus für die EU

Deutschland muss jetzt mit seinen europäischen Partnern gemeinsam, klar und unmissverständlich reagieren und nicht den Versuch unternehmen, mit den USA Sonderregelungen zu vereinbaren. Das würde Europa endgültig den Garaus machen. Europa zusammenzuhalten: das ist die wichtigste Aufgabe unserer Zeit. Wichtiger als alles, was wir derzeit im Innern zu beraten haben. Alle Vorschläge dazu liegen auf dem Tisch, allerdings kommen sie vom französischen Präsidenten und warten auf eine deutsche Antwort. Deutschland ist zu groß, um zu schweigen und abzuwarten und sich damit zufrieden zu geben, unseren Nachbarn gute Ratschläge zu erteilen.
Wer Europa zusammenhalten will, muss sich immer in die Schuhe des schwächsten europäischen Mitgliedslandes stellen: in der Sicherheitspolitik in die Schuhe des Baltikums und Polens. In der Wirtschafts- und Finanzpolitik in die des europäischen Südens. Und in der Migrationspolitik in die Schuhe Italiens und Griechenlands. Wir Deutschen haben uns politisch zu lange immer nur in unseren eigenen Schuhen bewegt. Vielleicht ist es ganz gut, dass wir in der Handelspolitik jetzt selbst lernen, wie es sich anfühlt, schwach und auf die Solidarität anderer angewiesen zu sein.

Es ist fast so, als sei die deutsche Frage zurück in die europäische Politik gekommen: Früher bestand sie darin, wie man deutsche Sonderwege verhindert, die im letzten Jahrhundert zu zwei Weltkriegen geführt hatten. Die Einbindung in Nato und EU waren die Antwort auf diese deutsche Frage. Heute erscheint sie mit umgekehrten Vorzeichen neu: Wie verhindert man, dass Deutschland durch Nichtstun die Stabilität Europas gefährdet. Die Antwort darauf können wir nur selber geben. Für uns Deutsche sollte die politische Botschaft absolut klar sein: Europe – whatever it takes. Eigentlich sollte sie uns nicht schwerfallen. Denn wenn es bei der alten deutschen Frage um Leben und Tod ging, geht es heute nur ums Geld. Was für ein glückliches Land sind wir, dass es nur noch ums Geld geht.

Der Autor war Vorsitzender der SPD und mehrfach Bundesminister. Er gehört dem Bundestag an.

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